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Ezra Furman

Tonja Thilesen

Ezra Furman und ihr neues Album „All Of Us Flames“

Die US-Musikerin Ezra Furman veröffentlicht mit "All Of Us Flames“ den letzten Teil einer Trilogie von Alben, die vor vier Jahren mit der von Bruce Springsteen beeinflussten Road-Saga „Transangelic Exodus“ begann und ein Jahr später mit der Punkrock-Wut von „Twelve Nudes“ fortgesetzt worden ist. Ezra Furman ist angekommen.

von Eva Umbauer

Ezra Furman bedankt sich gleich zu Beginn unseres Zoom-Meetings bei FM4 für all den Support, als sie noch eine ziemlich unbekannte Musikerin aus den USA war und in Europa tourte. Wir waren gegen Ende der 00er Jahre praktisch die ersten in Europa, die Ezra Furman und ihre Musik mochten. Dann, ein wenig später, entdeckte Großbritannien Ezra für sich. Dieser ganz eigene Rock’n’Roll - ein Mix aus Punk, Folk und Indie-Rock,... niemand war wie Ezra Furman. Das Londoner Plattenlabel Bella Union, betrieben von Simon Raymonde, der in der wegweisenden britischen Dreampop-Band The Cocteau Twins gespielt hatte, nahm Ezra Furman unter Vertrag.

All Of Us Flames

Bella Union/PIAS

„All Of Us Flames“ von Ezra Furman ist bei Bella Union/PIAS erschienen.

Es war ein langer Weg für Ezra Furman, die aus Chicago stammt und zur Zeit in Massachusetts an der US-Ostküste lebt. Ezra definiert sich seit dem Frühjahr 2021 als Transfrau, vorher als gender-queer. Mit dem neuesten Album, „All Of Us Flames“, ist Ezra Furman erstmals soetwas wie glücklich, ja, endlich angekommen. Dennoch geht das Kämpfen weiter und ist der Zorn nicht aus ihrer Musik gewichen, auch wenn es auf „All Of Us Flames“ insgesamt weniger um Ezra selbst als um universelle Themen wie etwa Gemeinschaft und das einander Unterstützen geht.

Gleich vorweg: „All Of Us Flames“ ist ein Meister*innenwerk. Ein Höhepunkt jagt den nächsten auf diesem Album, in das wir mit dem Opener „Train Comes Through“ einsteigen. „It´s too late to get out of the way by the time the train comes through“, heißt es hier ganz Ezra-Furman-like.

Das ist noch die alte Ezra Furman, die von früher. Lasst uns diese Zeilen lieber so interpretieren: Sobald der Ezra-Zug eingefahren ist, ist es zu spät, man wird unweigerlich zum Fan dieser Musik und des Menschen, der sie erschaffen hat, etwa den Song „Forever In Sunset“, die Lead-Single vom Album mit ihren Synths, oder „Book Of Our Names“, das dem neuen Album von Ezra Furman den Titel gibt, nämlich „All Of Us Flames“, weil Ezra hier singt „none of us ashes, all of us flames“. Hell brennt die Flamme, durch die gesamte Platte hindurch.

Ein weiterer Höhepunkt von „All Of Us Flames“ ist der Song „Ally Sheedy in The Breakfast Club“, eine zärtliche Hommage an die US-Schauspielerin Ally Sheedy und ihre Rolle im 80er Jahre Film „The Breakfast Club“. „I watch her flicker on my TV“, singt Ezra Furman, „the teenage girl I never got to be, and when we run away together, we’ll have all supplies we need and we’ll do what we have to do and scatter lilac seeds among the weeds.“

Warum Ezra Furman gerade Ally Sheedy und „The Breakfast Club“ gewählt hat? Ezra und ein Freund hörten gerade den Song von Sufjan Stevens über die tragische US-Eiskunstläuferin Tonya Harding und beschlossen, dass Ezra auch einen über einen Star schreiben sollte, einen mit einem Außenseiter-Appeal - Ally Sheedy in „The Breakfast Club“ war perfekt dafür:

„Queer people are just not given a model for how to be that works, so we find it in the trash of pop culture. And I believe in finding treasure in the trash.“

Die Spannung hält das ganze Album hindurch - von „Poor Girl A Long Way From Heaven“ über „Temple Of Broken Dreams“ bis zum Album-Closer, der unter die Haut gehenden Ballade „Come Close“, wo es heißt „And this one’s for Stephen who stands out on Belmont most days with a trench coat and a bottle of booze.“ Ezra Furman spürt den „rough kiss“ vom Stricher Stephen bis heute.

„Come Close“ ist inhaltlich ein klassischer Ezra-Furman-Song. Das ist keine heile Welt, von der sie erzählt, keine schöne Welt, hinaus aus der Psychiatrie, aber wohin, wenn man obdachlos ist? Born to run, Thelma & Louise, so mancher popkultureller Bezugspunkt kommt einem da in den Sinn.

Es ist eine Welt voller Außenseiter, zerbrechlich und verwirrt, oft komplett am Rand der Gesellschaft, aber wenn sie einander unterstützen, wird es besser. Gemeinschaft, gegenseitige Unterstützung - „to care for each other“ -, das ist das zentrale Thema am neuen Album. Was, wenn es im Supermarkt kein Gemüse mehr zu kaufen gibt? Dann, so Ezra Furman, müssen wir lernen, es selbst anzubauen, zu ernten, und es dann auch anderen bringen, die das nicht können.

Seit über drei Jahren ist Ezra Mutter, hielt das aber erst geheim, aus Angst damit anzuecken und verurteilt zu werden. Das passierte dann auch tatsächlich, als Medien wie CNN davon berichteten. Der Outsider-Pop von Ezra hatte die Musikerin näher zum Mainstream gebracht, sobald ihre Musik in der Netflix-Serie „Sex Education“ zu hören war. Ezra Furman war nun ein Star, über den auch US-Massenmedien wie das People-Magazin sprachen.

„One problem with being trans is that we have so few visions of what it can look like to have an adult life, to grow up and be happy and not die young. When our baby was born I had approximately zero examples that I had seen of trans women raising children.“

Ezra Furman schrieb und komponierte viel von „All Of Us Flames“ während dem ersten Lockdown der Pandemie. Sie hörte damals gerade viel Bob Dylan und die US-Folkrock-Musikerin Lucinda Williams, und auch ein wenig klassischen Girl Pop von den Shangri-Las. Ein Song von letzteren, „Dressed In Black“, inspirierte einen Song, den Ezra Furman ebenfalls „Dressed In Black“ nennt.

„I kept thinking about this world-weary protest music, but also this feminine vitality of teenage girls. I wanted these things to coexist.“

„All Of Us Flames“ wurde von John Congleton produziert. Der US-Musiker - seine Band hieß The Paper Chase - hat als Produzent schon viele Musiker*innen betreut, von St. Vincent über Angel Olsen bis zu Anna Calvi oder Regina Spektor. Ezra Furman kannte John Congleton, weil dieser ihr „12 Nudes“-Album abgemischt hatte. Ezra wollte die Zusammenarbeit vertiefen und ließ John das neue Album komplett produzieren. Die Songs wirken dadurch ausgefeilter als in der Vergangenheit, wirken künstlerischer und haben weniger DIY-Approach.

Früher wendete Ezra Furman weniger Zeit auf, um einen Song zu schreiben und aufzunehmen, sie sah sich dabei in der Folktradition oder im Punk. Erst später lernte Ezra, dass es sich lohnen kann, sich länger mit der Entstehung von Songs zu beschäftigen. Und nun jemanden wie John Congleton hinzuzuholen war auch eine richtig gute Entscheidung.

Live in Österreich

Ezra Furman spielt am 8.11. in der Arena in Wien und am 9.11. im Dom im Berg in Graz.

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