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Ausstellung: Auf einem Podest liegt "Die Schwarze Decke". Es sieht so aus, als liege darunter ein Mensch.

FM4 | Aischa Sane

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Mary Mayrhofers “Schwarze Decke”

Im Rahmen des Linzer Ars Electronica Festivals wird jedes Jahr ein Prix Ars Electronica verliehen. In der Kategorie „u19 – create your world“ wurde heuer das Kunstprojekt „Die Schwarze Decke“ ausgezeichnet. Es ist dem Thema Depressionen gewidmet.

Von Aischa Sane

Mary Mayrhofer setzte sich in ihrer Matura-Diplomarbeit mit Kunst und Krankheit auseinander. Weil es ihr nur schwer gelang, ihre eigene Depression mit Worten zu beschreiben, wählte sie eine alternative Ausdrucksform. Ihr Kunstprojekt „Die Schwarze Decke“ für den Prix Ars Electronica einzureichen, daran hat sie anfangs nicht gedacht. Schon gar nicht, dass sie dafür die Goldene Nica gewinnen würde. „Mich hat ein Freund darauf hingewiesen und ich hab es am allerletzten Tag eingereicht“, erzählt Mary Mayrhofer.

Ausstellung: Auf einem Podest liegt "Die Schwarze Decke". Es sieht so aus, als liege darunter ein Mensch.

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„Die Schwarze Decke“ von Mary Mayrhofer hat den Prix Ars Electronica in der Kategorie u19–create your world gewonnen.

Das Werk der mittlerweile 20-Jährigen wird aktuell, neben weiteren Einreichungen aus der u19-Kategorie, in der Mensa der Johannes-Kepler-Universität ausgestellt. Das Kunstwerk setzt sich aus einer Skulptur, einem Gedicht und einer Polaroid-Fotoserie zusammen.

"Die schwarze Decke umhüllt einen Menschen,
Aber der Mensch ist nicht mehr da.
Der Stoff ist fest geworden,
Hat sich versteift und ist erstarrt,
Als sich die Existenz in Nebel auflöste.
Der Mensch ist schon weg,
Vielleicht seinen Gedanken entflohen,
Oder den Grund der Donau erforschen.

Die schwarze Decke hat bereits Tränen aufgesogen
Und Gebete mitgehört.
Sie hat Schreie gedämpft
Und sich mit Blutflecken geziert.
Die schwarze Decke
Wie die letzte Ruhestätte einer Mumie,
Wie ein Sarg für jene, die noch leben.
Als letzte Erinnerung an alle,
Die zu müde waren,
um sich am Ende des Tages
einfach wieder hinzulegen"

Die Skulptur lässt die Konturen einer unter einer schwarzen Decke liegenden Person erkennen. Auf der Decke hat Mary das Gedicht verewigt, welches sie um drei Uhr nachts an einem Tiefpunkt verfasst hat. Fast hätte es einem Abschiedsbrief beigelegen, sagt sie.

„Wie ein schwarzer Film“

Die Fotos zeigen in die Decke gehüllte Personen, welche sich in den unterschiedlichsten Kontexten befinden, etwa in den Öffis, beim Fortgehen oder in der Badewanne. Mary möchte mit den Fotos veranschaulichen, dass Depressionen jede Person betreffen können, unabhängig von Alter oder Herkunft. Deshalb erlaubt auch die Skulptur nur vage Spekulationen darüber, wer sich tatsächlich unter der Decke befindet. Das ist für dieses Projekt nämlich unerheblich. Die Depression laste auf einem, egal in welcher Situation: „Ich würde mich auch selbst zum Beispiel als sehr glücklichen Menschen beschreiben. Aber wenn du depressiv bist, es liegt einfach etwas über dir drüber. Wie ein schwarzer Film“, erklärt sie.

In der Schule erzählte Mary über Jahre, sie habe Migräneattacken, wenn sie wegen ihrer Depression nicht anders konnte als im Bett zu bleiben. „Es ist halt nicht möglich, in der Schule anzurufen und zu sagen: Hey, ich kann nicht kommen, weil ich bin einfach zu traurig, ich kann nicht aufstehen. Das geht halt immer noch nicht.“

Heute fällt es Mary leichter, ehrlich über ihre psychische Erkrankung zu sprechen. Sie berichtet davon so eloquent und nüchtern, als würde sie nicht von ihrem eigenen Leiden sprechen. Das musste sie sich über mehrere Jahre erarbeiten und aneignen. Die Kunst hilft ihr dabei, mit ihrer Trauer und Apathie umzugehen, fast wie eine Therapie. Aktuell ist sie Trafikantin am Linzer Hauptbahnhof. Irgendwann möchte sie aber Menschen, denen es ähnlich geht wie ihr, als Kunsttherapeutin helfen.

Ausstellung: Verschiedene Fotos mit Menschen und ein Gedicht

FM4 | Aischa Sane

Eine Depression kann jede*r haben.

Dass ihr Werk „Die Schwarze Decke“ auf so viel Bewunderung trifft, freut die junge Künstlerin. Gleichzeitig besorgt es sie enorm, dass so viele junge Menschen genau nachempfinden können, was sie mit ihrem Projekt ausdrücken möchte.

„Es macht mich traurig, dass das so viele Leute wirklich auch so verstehen. Weil ich mir denke, das ist doch eigentlich total schlimm, dass vor allem so viele Jugendliche diesen Kern in sich haben, auf den das Kunstwerk so anspringt. Ich würde mir wünschen, es würden nicht so viele Leute verstehen und nicht so viele Leute fühlen", sagt Mary.

Gleichzeitig fürchtet sie, dass ihr Kunstwerk nur in einer Bubble stattfindet, in der Mentale Gesundheit längst kein Tabuthema mehr ist. Gelegentlich stößt sie auch in ihrem privaten Umfeld auf Ablehnung. Aber dass in der Kategorie „u19 – create your world“ mehrere Projekte mit dem Schwerpunkt Mental Health eingereicht wurden, befeuert ihren Optimismus. Es sei auch in Ordnung, wenn manche nur an dem Kunstwerk vorbeigehen. Hauptsache sei, es hat seinen Platz.

Und das hat es sowieso. Kaum einige Sekunden nach Ende des Interviews bildet sich eine Traube um „Die Schwarze Decke“. Und sie besteht nicht nur aus Jugendlichen. Die Aufsicht, die das interessierte Publikum durch die Ausstellung führt und Marys Projekt erklärt, scheint die Jüngste in der Gruppe zu sein. Und sie stellt Mary die wenigsten Fragen. Nicht wenige Betrachter*innen sprechen Mary Lob für ihren Mut und die künstlerische Umsetzung ihrer Gefühlswelt aus, bevor sie zum nächsten Kunstwerk schlendern.

Vielleicht ist es jede*r Schüler*in irgendwann möglich, in der Schule anzurufen und sich wegen einer Depression zu entschuldigen. „Depression hat kein Gesicht“, sagt Mary, „Depression kann jeden treffen, und das sollte man auch wissen. Man sollte überhaupt und allgemein einfach ein bisschen freundlicher zueinander sein. Man weiß nie, was in wem abgeht. Und da kann’s dich schon richtig herhauen, wenn dir halt einfach in der Bim irgendwer was Deppertes nachschreit.“

Maybe the kids will be alright.

Bist du selbst von Depressionen betroffen oder brauchst einfach wen zum Reden? Rund um die Uhr erreichst du den Rat auf Draht unter der Nummer 147 und auch die Telefonseelsorge unter 142.

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