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Hannah Tögel

waves vienna

Das Grande Finale dieser Festival-Wundertüte

Das zwölfte Waves Vienna hat mit einer großen Party am Samstag geendet, Hoffnungsträgerin Farce gewinnt den XA Export Award, und Superorganism reißen die Hütte ab.

Von Michaela Pichler

Drei Tage neue Musik entdecken, drei Tage von einer Venue zur nächsten hüpfen, drei Tage sich eine Meinung über den Status quo der aktuellen Popszene in Europa bilden: Was sich am Waves Vienna für das Publikum als eine kuratierte Wundertüte der up-and-coming Artists entpuppt, muss sich auf der anderen Seite wesentlich stressiger anfühlen. Immerhin spielen Musiker*innen auf einem Showcase-Festival nicht nur für Fans und Leute, die es hoffentlich noch werden, sondern vor allem auch für Menschen aus dem Business, Booker*innen, Festivalorganisator*innen, Journalist*innen und so weiter.

Beim Waves Vienna gipfelt dieser Branchentreff für die österreichische Szene immer Samstagnacht mit der Verleihung des XA Export Awards. Seit 2017 wird dieser Förderpreis an eine heimische Musikhoffnung vergeben, die damit nicht nur finanziellen Support erhält, sondern vor allem auch auf dem Weg über die österreichische Grenze unterstützt wird, mit Auftritten bei anderen Showcase-Festivals zum Beispiel. Für den diesjährigen XA Export Award waren ausschließlich Solo-Acts nominiert: Berglind, Lisa Pac, Oskar Haag, Bibiza, W1ZE und Farce. Den gläsernen Award mit nach Hause genommen hat Samstagnacht dann Letztere, die die internationale Jury mit ihrer ausgeklügelten Performance am Donnerstag überzeugt hat.

Farce erhält den Preis

Patrick Münnich

Farce gewinnt den gläsernen XA Export Award 2022.

„Ich hätte es nie für möglich gehalten“, erklärt sich Veronika König alias Farce sichtlich überrascht und erfreut auf der Bühne im WUK, als man ihr den XA Export Award in die Hand drückt. „Ich bin so dankbar, dass ihr meine Arbeit seht und ich hoffe, ich darf diese Musik noch an viele weitere Orte tragen.“ Es ist ein bisher ausgezeichnetes Jahr für die 25-jährige Wahlwienerin. Im Frühling hat Farce ihr Händchen für elektronische Popperlen ein weiteres Mal auf Langspielplatte demonstriert, im Mai ist ihr Album „Not to Regress“ erschienen. Im Hochsommer hat Farce dann als Headlinerin am Popfest vor der Karlskirche ihr Publikum bekehrt - und wie FM4 Kollegin Katharina Seidler damals richtig voraussagte, war dieser Auftritt „einen wichtigen Schritt in Richtung Welteroberung“. Nun folgt also der nächste Baustein im Erfolgsplan, congrats, liebe Farce!

Beachpeople eröffnen den letzten Tag des Wave Festivals im The Loft, einer der Venues am Wiener Gürtel dieses Jahr. Acht Stunden ist die Band aus Deutschland dafür mit dem Auto angereist, es ist das erste Konzert im Ausland, wie Malte Huck auf der Bühne erzählt. Er ist der Dreh- und Angelpunkt der fünfköpfigen Band, die 2020 als Soloprojekt gestartet hat. Damals ist Huck als Bassist von AnnenMayKantereit ausgestiegen. Das ist deshalb im Waves-Kontext auch ein bisschen lustig, weil noch am Vorabendfreitag der Münchner Newcomer Ennio im WUK Foyer stand, der offensichtlich auf den stimmlichen Henning-May-Reibeisen-Zug mit aufgestiegen ist.

Beachpeople

Hannah Tögel

Beachpeople eröffnet den letzten Abend am Waves.

Nun aber zu Beachpeople und den Palmwedeln auf der Bühne, die die Stimmung schon mal vorgeben. Für sein eigenes Bandprojekt hat Malte Huck den Bass gegen die E-Gitarre und die Vocals eingetauscht, er spricht von Bühnenangst und der Wahnvorstellung, die ihn vor jedem Gig ereilt, niemand werde zum Konzert erscheinen. Doch die Bude ist knackevoll und das trotz der frühen Uhrzeit. Das Publikum wird belohnt mit americana-angehauchten Songs der Sparte MacDemarco, aber in seiner „Here Comes the Cowboy“-Phase. Songs über self-fulfilling prophecies, entgangene Anrufe und die Frage, wie oft man eine vergessene, müffelnde Wäsche in der Waschmaschine noch einmal einschalten kann, werden mit einer Trompeterin noch trauriger, noch besser.

Der nächste Schaukasten im Festivalreigen versteckt sich im Keller des Weberknechts, wo sich bekannte Gesichter der Wiener DIY-Szene schon vor der Bühne versammelt haben. Alle warten auf eine Band, die man sich vor wenigen Wochen als Geheimtipp noch mit Wetransfer-Link hin- und hergeschickt hat.

Laundromat Chicks

Nico Hafner

Laundromat Chicks überzeugen und gehören zu den jüngsten Mitstreiter*innen.

Beim Waves Vienna darf man junge und aufstrebende Künstler*innen entdecken, und fast niemand ist dieses Wochenende so jung wie das Quartett Laundromat Chicks (außer Teenie-Sternchen Oskar Haag natürlich). Ein schüchtern-sympathischer Lockenkopf betritt die Bühne, es ist Tobias Hammermüller, der gerade mit Sommerbeginn seine Matura bestanden und parallel dazu mit seiner Band den ersten Release auf Siluh Records gefeiert hat: „Trouble“ heißt die Platte, oder nein, Pardon, das Tape, auf dem sich sieben knackige Gitarrensongs über unsere unbegreifliche Welt tummeln.

Laundromat Chicks kratzen an frühen Post-Punk-Tagen, sie holen die Mundharmonika raus, verlieren mehrere Plektren und grinsen schelmisch in Richtung Publikum, als sie merken, da kommt was an bei den Leuten. Die Wiener Newcomer stehen exemplarisch für die musikalische Klammer, die das Waves-Line-up an diesem Abend am Gürtel bildet: Dunkle Gitarrenmusik, die immer mehr Richtung Synth Wave schielt - wie mit der deutschen Truppe Plattenbau - oder sogar voll in die Neue-Deutsche-Welle-Kerbe einschlägt, wie die Neoromantiker Levin Goes Lightly. Hauptsache, es kommt in Wellen, lautet die Devise hier.

Girli

Patrick Münnich

Im WUK gibt es währenddessen andere Töne zu hören, alles steht unter dem großen Deckmantel Pop an diesem Abend und seinen unterschiedlichsten Auslegungen. Eines der Dinge, die das Waves neben seinem zukunftsweisenden Line-up ausmacht, ist der selbstverständliche Austausch über Musik und den neuesten heißen Scheiß, der automatisch hinter den WUK-Toren passiert. In einem dieser schönen Musikgespräche erzählt das Gegenüber, dass es mittlerweile fast ausschließlich Musik von Künstlerinnen höre. „Momentan bringen die einfach die beste Musik raus.“ Einen Namen, den man sich in dieser Hinsicht gleich merken kann, ist Girli. In Großbritannien ist die Solokünstlerin schon groß, im Wiener WUK füllt sie die Halle zu einer Uhrzeit, die gerne auch später hätte sein können. Girli hat ihr Projekt gestartet, um pink punk auf die Bühnen zu bringen, wie die Britin selbst ihren Sound beschreibt. Passend zu ihrem an Avril Lavigne erinnernden corporate design wurde deshalb auch ihre rosa Mähne zu einem Markenzeichen.

Girli

Patrick Münnich

Britischer Power-Pop mit Girli

Samstagabend prangert ein projiziertes „Smash the Patriarchy“ an der Bühnenwand, this Girli is on fire und präsentiert ihre Power-Pop-Tracks, die nur wenig mit einem ursprünglichen Punk-Kontext zu tun haben. Sie springt ins Publikum, sorgt für die lautesten Kreischer des Abends und präsentiert sich von der professionellen Popstarseite, die sie diesen Sommer ausgiebig bei großen Auftritten trainiert hat. Festivals wie das Sziget standen dabei auf dem Plan, genauso wie die unterschiedlichsten Pride-Events. Auf der tschechischen Regenbogenparade ist Girli zum Beispiel als Headlinerin aufgetreten. Auch in Wien erstrahlt das WUK in Regenbogenfarben, wenn Girli zu ihrem bisher größten Hit und der letzten Nummer des Abends ansetzt: „More Than A Friend“ erzählt vom bisexuellen Outing der Künstlerin, auf Youtube regnet es Kultvergleiche à la Katy Perrys „I Kissed A Girl“.

W1ZE

Patrick Münnich

W1ZE sorgt für hitzige Partystimmung.

Ein bisschen später und ein paar Meter entfernt betritt dann die RnB-Newcomerin W1ZE die Bühne des Foyers. In Wien konnte man die afro-österreichische Solokünstlerin bisher schon beim Popfest bewundern, wo sie sich als Königin der Nacht mit exklusiver Soulband inszeniert hat. Beim Waves gibt es stattdessen Musikkollegin Skofi als MC und W1ZEs beste Freundin Bex als stimmlichen Support, die Zeichen stehen auf dance-induzierten Party-Exzess. Was W1ZE mit ihrer Bühnenshow entfacht hat, müssen andere nun gekonnt zu Ende bringen. Wie soll man nun ein Waves Vienna Festival abschließen, das nur so vor unterschiedlichen Musikflavours übergeht? Genau, man bucht eine Band, die zur eklektischen Supernova einlädt, und damit wären wir schon beim Headliner Superorganism.

Die sind natürlich alles andere als unbekannte neue Gesichter im Popzirkus: Superorganism haben schon am FM4 Fest gefeiert, mit Billie Eilish gemeinsame Konzerte gespielt (die damals noch Vorband von Superorganism war!) und diesen Sommer hat das fünfköpfige Monstrum von einer Band mit „Into the Sun“ auch einen FM4 Sommerhit geliefert. Man stelle sich eine Band vor, die dem Comic-Universum von Scott Pilgrim entsprungen sein könnte, eine Bühnenshow, die sich wie ein Walkthrough durch die Welt von Super Mario anfühlt und einen Sound, der das Post-Internetzeitalter genauso gut einfängt wie Indie-Versatzstücke, eine gewisse Sample-Verliebtheit und jede Menge Fun, Fun, Fun.

Superorganism

Hannah Tögel

Superorganism setzen zum Grande Finale an.

Superorganism sind nicht gekommen, um einfach nur eine Setlist runterzuspielen, sie möchten eine hibbelige Meute im Raum sehen und stacheln die Festivalbesucher*innen dementsprechend an. Und so entsteht die vermutlich erste Wall of Death (aber eh nur eine sehr freundliche) beim Waves Vienna Festival. Personen werden auf die Bühne geholt (wie FM4s Christoph Sepin zum Beispiel), gemeinsam wird gelacht, getanzt, Bier verschüttet. Superorganism fahren das volle Programm auf, Glitzerpompons inklusive, das Publikum dankt.

Und zu guter Letzt gibt es an dieser Stelle noch drei Erkenntnisse eines Waves-Wochenendes:

1) Die beste Musik passiert immer noch live, in kleinen dunklen Underground-Löchern, in denen man sich wieder und wieder in E-Gitarrenmusik verlieben darf. (Laundromat Chicks!, The Psychotic Monks!, Bryan’s Magic Tears!, Batsbait!)

2) Der Wiener Gürtel ist länger als gedacht und vier U-Bahnstationen können sich wie eine Ewigkeit anfühlen.

3) Das Waves Vienna ist immer noch der beste Abschluss für einen Festivalsommer, der mit seinem kuratierten Feingefühl auch schon den Ton für die nächste Livesaison angibt. Danke dafür, liebes Waves Vienna, und bis zum nächsten Jahr!

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