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Meine Oma ist eine Königin

Nein, ich bin nicht verrückt geworden, weil die Königin von England gestorben ist. Die Royals in Großbritannien interessieren mich eigentlich kaum. Aber meine Oma hat auf jeden Fall was Königliches.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Meine Oma wohnt in einem Pensionist*innenwohnheim in Bulgarien und die anderen Bewohner*innen nennen sie „die Königin“. Und das, obwohl sie eine große Anhängerin der Republik ist und glaubt, dass Monarchen nur dazu dienen, um vom Palastbalkon zu winken, und mit Steuergeld gefüttert werden.

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Seit ich meine Oma kenne, benimmt sie sich wie eine Königin. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben war die Frage, mit welchem Hut sie das Haus verlässt. Sie besitzt hunderte von Hüten: Strohhüte, Barette, Hüte aus Seide. Die Menschen im Viertel waren so gewöhnt an ihre Hüte, dass sie, hätte es meine Oma eines Tages gewagt, ohne Hut rauszugehen, geglaubt hätten, dass die Welt endet.

Meine Oma trägt einen Hut schon seit 70 Jahren. Sie erinnert sich ganz gut an den Tag, als der bulgarische Thronfolger Simeon II geboren wurde, im Jahr 1937, so, als ob das gestern passiert ist. Um seine Geburt zu feiern, bekamen alle Schüler eine Note höher im Jahreszeugnis. Meine Oma war damals in der ersten Volksschulklasse und war sowieso eine ausgezeichnete Schülerin. Daher konnte ihre Schulnote nicht erhöht werden. Das hat sie verärgert, da sie nicht von der royalen Geburt profitieren konnte, und sie mochte den Thronfolger gar nicht.

Er kam in den 1990er Jahre zurück nach Bulgarien und wurde triumphal empfangen, als eine Art Dissident gegen den Kommunismus. Inmitten des allgemeinen Gefühls der Liebe zum bulgarischen König war meine Oma eine Ausnahme. „Die schlimmsten Gauner in meiner Klasse bekamen eine bessere Note, weil dieser kleine König geboren wurde. Dann stellten genau diese Gauner unsere neue kommunistische Volksregierung.“ Für meine Oma war die Geburt des bulgarischen Königs die Ursache für alles Schlimme, was folgte.

Später wurde dieser König bulgarischer Premierminister. Meine Oma schüttelte nur ihren Kopf mit einem seidenen Hut darauf. Sie hatte recht. Es stellte sich heraus, dass dieser König seine Regierungszeit nutzte, um seine in der Zwischenzeit enteigneten Schlösser und Landesgut wieder an sich zu reißen. Es werden diesbezüglich bis zum heutigen Tage immer noch Gerichtsverhandlungen geführt.

„Ich habe es euch gesagt!“, meinte meine Oma. Nicht, dass jemand in meiner Familie je die Monarchie geliebt hatte. Meine Oma saß auf ihrem Thron zu Hause und strahlte Gerechtigkeit aus. Ich rief sie an, als ich erfahren habe, dass die britische Königin gestorben ist. „Jetzt bin nur ich geblieben, um über mein Altenheim zu regieren“, sagte sie. Das stimmt, sie wird immer meine einzige Königin sein.

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