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Eine Umarmung in harten Zeiten: „KARGO“ von Kraftklub

Wenn Alben es schaffen, dass man sich verstanden fühlt, abgeholt genau da, wo man sich gefühlstechnisch gerade befindet, dann sind das gute Alben. „KARGO“ fühlt sich an, wie ein grauer, kalter Herbst, in dem irgendwo eine wärmende Umarmung wartet.

Von Alica Ouschan

Es klingt nach Kraftklub, schaut aus wie Kraftklub aber irgendwie ist doch alles neu. Die treibenden Indie-Gitarrenriffs nehmen uns in eine vertraute Umarmung, die neckisch-klugen Zeilen spenden Trost und geben Bestätigung, in diesen seltsam trostlosen Zeiten. Aber genau wie die Zeiten sind auch Kraftklub ernster geworden. Die Umstände und das Weltgeschehen haben die einst blutjungen ostdeutschen Indie-Punker erwachsen werden lassen. Die Melancholie schwingt mit auf „KARGO“, dem vierten Album der Band.

Ganze fünf Jahre, also beinahe die Hälfte ihrer Zeit als Kraftklub, haben sie uns warten lassen. Vielleicht wegen der Pause, vielleicht wegen dem eingeschobenen Solo-Trip des Frontmanns, der viel länger gedauert hat als geplant, vielleicht aber auch wegen der kaum greifbar veränderten Grundstimmung fühlt sich „KARGO“ nicht wie ein typisches Kraftklub-Album an. „Es fühlt sich viel mehr an wie ein erstes Album“, erzählt Frontman und Songtexter Felix Kummer im FM4-Interview.

Kein Gott, Kein Staat, kein Druck

Weil es keine Deadlines gab, keine Tour, für die man neuen Stoff liefern musste, haben sich die fünf Karl-Marx-Städter zurückgezogen und einfach nur Mukke gemacht: „Es war so drucklos“, sagt Felix. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass irgendwer sagt: ‚Boah, das vierte Kraftklub-Album, da müssen die aber mal richtig abliefern!‘ - es ist ja auch schon schwer genug, dass es uns fünf gefällt. Da wollten wir uns keine Gedanken drüber machen, wie die Leute da draußen das finden. Wichtig war für uns, dass wir es schön finden.“

Und das ist ihnen gelungen. Klassische Kraftklub-Crowd-Pleaser gibt es wenige, die Moshpit-Hits wurden nicht auf Teufel komm raus erzwungen, trotzdem fühlt man sich als Fan der Band näher als je zuvor. Gefühle werden klarer ausformuliert, Gedanken ehrlich mitgeteilt - fast so wie bei Felix’ Soloprojekt Kummer. „Beim letzten Album hatte ich das Gefühl, ich hab mich textlich in einer Sackgasse verrannt“, erzählt Felix.

„Ich dachte, ich muss immer aus Perspektiven von Figuren schreiben, weil das Eigenleben nicht mehr ausreicht. Und während Kummer habe ich dann festgestellt, dass es nun mal so ist: ich bin der Typ, der die Texte schreibt und das ist mein Leben und das muss reichen.“ Tut es. Gleich der erste Release „Ein Song reicht“ schlägt die Brücke zwischen Kummers letztem Song und der neuen Kraftklub-Ära, bringt die vertrauten, popkulturellen Referenzen mit und katapultiert einen schonungslos zurück in die Zeiten, in denen man vielleicht das erste Mal einen Kraftklub Song gehört hat, in einer Playlist gemeinsam mit Lykke Li oder den Streets.

Heute findet man Kraftklub vermutlich eher in den „Wilde Herzen“-Playlisten dieser Welt mit Künstler*innen wie Casper, den Ärzten, der Formation Blond oder Mia Morgan. Alle genannten sind Mitglieder im Klub der Kraftklub-Features - erstere sind schon länger fixer Bestandteil, mit Blond und Mia Morgan holen sich Kraftklub zwei Acts der Stunde mit aufs Album, ohne die sich die beiden Songs inhaltlich vielleicht gar nicht ausgegangen wären.

Schönheitsideale polemisch zu hinterfragen geht gefühlt irgendwie nur mit Blond. Und wenn man sich von Gott und Staat verabschieden will, um eine einzelne, geliebte Person bedingungslos anzubeten und ihr die eigene Seele zu verkaufen, dann kann so etwas derartig Sündhaftes nur in Begleitung einer Mia Morgan geschehen. Die größte Kollabo-Überraschung ist aber eine Band, die wohl keiner auf einem Kraftklub Album erwartet hätte, die aber unerwartet viele Gemeinsamkeiten aufweist.

Die Hass-Liebe zur Heimat

Gemeinsam mit Tokio Hotel haben Kraftklub den Track „Fahr mit mir (4x4)“ aufgenommen, ein Song der das Fliehen aus der verhassten Heimatprovinz romantisiert. Während dieses Feature vielleicht die feuchten Jugendträume einer ganzen Generation von Fans erfüllt, war es alles andere als geplant, sagt Felix: „Es war kein Jugendtraum von mir. Ich hätte nicht ansatzweise gedacht, dass wir etwas mit denen gemeinsam haben, weil die ja auch schon Weltstars waren, bevor es uns überhaupt gab.“

„Aber die sind ja genauso alt wie wir. Und dann, Jahre später, entdeckt man, dass die wahrscheinlich relativ ähnlich sozialisiert wurden, aus einer ähnlichen Gegend kommen und die Sachen, die wir mit vierzehn als HipHopper oder Skater in Karl-Marx-Stadt erlebt haben, vielleicht gar nicht so weit davon entfernt sind, wie das, was die erlebt haben im Magdeburger Umland mit Kajal um die Augen“, meint Felix.

Die Hass-Liebe zu ihrer Heimatstadt ist eines der Markenzeichen von Kraftklub, das vermutlich nie aus ihrer Musik verschwinden wird. Jedoch weicht die ironische Selbstverarschung aus früheren Songs wie „Karl-Marx-Stadt“ nun selbstkritischer Reflexion. Im Track „Vierter September“ werden die ausbleibenden Auswirkungen des riesigen „Wir sind mehr!“-Konzerts aus dem Jahr 2018 verarbeitet, welches Kraftklub in Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen, nach rechtsradikal motivierten Ausschreitungen in Chemnitz vor über 60.000 Menschen veranstaltet haben.

Der Track „Wittenberg ist nicht Paris“ analysiert zynisch und radikal ehrlich die im beinahe selben Atemzug noch romantisierte Flucht aus der eigenen Stadt und erinnert thematisch irgendwie an „Ich will nicht nach Berlin“, obwohl der neuere Track einen sehr viel ernsteren Ton anschlägt. Bezüge auf sich selbst verstecken sich auf „KARGO“ hinter so manchen Ecken, die Bezüge auf die Musik von anderen verschwinden aber fast vollständig aus den Songs.

„Ich muss nicht zwangsläufig noch ne Referenz unterkriegen, einfach weil wir das immer so machen, oder? Ich muss auch nicht immer einen pfiffigen ‚Komm, wir saufen jetzt, wir sind auf der Autobahn und stellen uns einen Trichter rein‘-Song machen, nur weil das Gefühl da ist, das wäre unsere DNA. Wenn ich da gerade keine Lust drauf habe, dann habe ich eben darauf einfach keine Lust“, sagt Felix.

Lust und Mut zur Rebellion, Wut und Widerstand sind dafür umso spürbarer vorhanden. „Auf unserem ersten Album haben wir einen Song drauf, in dem es buchstäblich darum geht, dass man gegen nichts rebellieren kann“, sagt Felix über „Zu jung“. „Das war auch einfach diese Zeit, der frühen 2010er Jahre, da gab es nichts, was wir tun konnten, außer auf den Tisch zu hauen. Wir haben immer versucht, das zu spiegeln was uns bewegt.“ Heute sind das eben so viele Dinge, dass es sich einfach nicht mehr ausgeht, einen allgemeingültigen Song übers Dagegensein zu schreiben.

„Ich mochte noch nie, wenn Leute sich beim Texten in einer Allgemeingültigkeit zurückgezogen haben. So nach dem Motto: Das könnte jetzt irgendwie alles sein und nichts. Ich fand’s schon immer besser, wenn es konkreter wurde.“ Den Hang zur Selbstironie haben Kraftklub aber noch nicht vollständig abgelegt: „Einen kleinen Spaß an der Selbstreferenz, das hat uns immer schon ausgemacht. Die Running Gags mit sich selbst und mit den Leuten, die uns hören.“ So findet sich auf der Platte mit dem Opener „Teil dieser Band“ eine typisch-ironische Selbsterhöhung mit Augenzwinkern.

Blau bleibt blau

Obwohl die jugendliche Naivität der Band aus den meisten Songs fast vollständig verschwunden ist, funktioniert auch „KARGO“ nach dem altbekannten und treffsicheren Kraftklub-Erfolgsrezept: Ein „Wir sind die beste Band der Welt“-Song als Opener, ein bis zwei Liebes(kummer)lieder, ebenso viele Songs mit politischer Message, Features mit angesagten Leuten und Easter-Eggs für die Fans. So bleibt die Farbe Blau, die ja schon auf früheren Alben vorkam und das farbliche Thema der Kummer-Soloprojekts war, bestehen.

„Blaues Licht“ ist der vielleicht schönste und schmerzhafteste Lovesong und lässt gerade so viel Interpretationsspielraum, dass unklar bleibt, ob das blaue Licht von draußen der heller werdende Himmel nach einer aufregenden Nacht ist oder von herannahenden Polizeiautos kommt. Raum für Interpretation lässt auch der unscheinbare Albumname „KARGO“ - so heißt nämlich auch eine Textsammlung vom Autor Thomas Brasch aus der DDR, genauer: „Kargo - 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu entkommen“. Ein Inhaltssatz, der irgendwie ebenso random wie passend im Verhältnis zum Album steht.

Gewinn Tickets zum Krafklub-Konzert in Wien!

Am 19. November 2022 machen Kraftklub mit ihrer „KARGO“-Tour Station in der Wiener Stadthalle. Wir haben letzte Stehplatz-Tickets zu verlosen. Alle Infos dazu gibt’s hier.

Außerdem bezeichnet Brasch darin alte weiße Männer als „Kargo“, die quasi schon zu Geistern geworden sind, aber einfach nicht sterben wollen. Ein bisschen Selbstironie ist also auch hier vorhanden. Was bleibt von „KARGO“ also am Ende übrig? Das Gefühl einer inneren Zerrissenheit, die von leidenschaftlichem Weltschmerz erzählt. Eine verständnisvolle Umarmung, die über Gefühlszustände spricht, die man selbst nicht greifen kann. Ein blaues Leuchten, das bei genauerem Hinsehen auch ein wärmendes Glühen sein kann, das Trost in harten Zeiten spendet.

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