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Filmstills aus "Blonde": Ana de Amas als Marylin Monroe

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FILM

„Blonde“: Ein beklemmender Hollywood-Fiebertraum

Ein Anti-Biopic mit Horror-Faktor: Regisseur Andrew Dominik zeigt halluzinogene Vignetten aus dem tragischen Leben von Marilyn Monroe.

Von Christian Fuchs

Wer mit Filmen aufwächst, hat frühe Leinwand-Lieben. Der Schreiber dieser Zeilen fühlte sich mit 11 oder 12 Jahren magisch zu Marilyn Monroe hingezogen. Dabei spielte nicht das Kino eine Vermittlerfunktion, sondern der Bildschirm. Im TV aufgeschnappte Klassiker mit der Hollywood-Ikone weckten pubertäre Sehnsüchte. Das Trademark-Grinsen in Filmen wie „Gentlemen Prefer Blondes“ verdrehte mir den Kopf, „River Of No Return“ berührte mein Herz.

Trotzdem spürte ich schon als unreifer Bub, dass hinter all dieser vermeintlichen Komödien-Naivität etwas Dunkles ruhte. Eine radikale Unverstandenheit. Ein melancholischer Sog.

Als Erwachsener schockierte mich die Geschichte der Monroe dann total. Der Weg vom unehelichen Arbeiterkind, das nie seinen Vater kennenlernte, führte über aufwändige Filmsets und Premierenpartys in ein einsames Hotelzimmer. 1962 schluckte die Starschauspielerin eine Überdosis Tabletten, die Umstände bleiben mysteriös, „Suizid“ wurde in der Todesurkunde vermerkt.

Filmstills aus "Blonde": Ana de Amas als Marylin Monroe

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Ein wilder Szenenreigen

Als „Blonde“, der neue Versuch einer Annäherung an den Mythos Marilyn Monroe, nun über meine Heimkino-Leinwand flackerte, musste ich mittendrin an einen anderen, aktuellen Film über ein legendäres Idol der Popkultur denken.

Baz Luhrmann verzichtet in „Elvis“ auf die langweilige Struktur klassischer Biopics. Stattdessen reanimiert er den Spirit des Rock’n’Roll-Königs in einer wilden, elektrisierenden Choreografie der Bilder und Sounds. Auch sein Kollege Andrew Dominik nähert sich in „Blonde“ der Hauptfigur auf entgrenzte Weise an, geht dabei aber noch einen Schritt weiter.

Völlig auf eine konventionelle narrative Struktur verzichtend lässt er Momentaufnahmen aus dem kurzen, tragischen Leben der Monroe aufeinanderprallen, beschränkt sich auf halluzinogene Vignetten. Ein wild durcheinandergewürfelter Szenenreigen, berauschend visualisiert, inhaltlich durchgehend erschütternd.

Filmstills aus "Blonde": Ana de Amas als Marylin Monroe

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Spezialist für schmerzhafte Intensitäten

Was die beiden Anti-Biopics nämlich drastisch unterscheidet: Im Gegensatz zum „Elvis“-Epos von Baz Luhrmann rückt Andrew Dominik in „Blonde“ die dunklen Seiten nicht in den Hintergrund. Er stellt die Trauer, die Depression, die Leere von Marilyn Monroe ins grelle, gleißende Rampenlicht.

Dominik hat mit schmerzhaften Intensitäten Erfahrung. Der Australier, künstlerisch eng verbandelt mit Brad Pitt und Nick Cave, steht für Filme über menschliche Extremsituationen. In „The Assassination of Jesse James by The Coward Robert Ford“ zeigt er einen Western-Outlaw als Existentialisten. In „One More Time With Feeling“ folgt er seinem Freund Cave ins Tonstudio, wo dieser den Tod seines Sohnes zu verarbeiten versucht.

Auch „Blonde“ wurde als künstlerisches Kollaborations-Projekt geboren. Brad Pitt machte als Coproduzent den schwer verkaufbaren Film erst möglich. Nick Cave zeichnet zusammen mit Warren Ellis für die atmosphärische Musik verantwortlich. Immer wieder blitzen auch Songfragmente der beiden aus den letzten Alben „Ghosteen“ und „Carnage“ auf.

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Gespenstisch-grausame Schlüsselbilder

Die Geschichte der jungen Norma Jeane Baker, die zum sogenannten Sexsymbol von Generationen wurde, folgt dabei nicht biografischen Fakten. „Blonde“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Joyce Carol Oates, der sich weit von der Wirklichkeit weg bewegt. Es geht dem Buch und noch mehr dem Film um eine Gefühlsstimmung, um ein Gespür für die absolute Verlorenheit seiner Figur.

Die kubanisch-spanische Darstellerin Ana De Amas ist ein Glücksfall für „Blonde“. Hinter dem roten Lippenstift, dem berühmten Blick, den gebleichten Haaren lässt sie konstant in Abgründe blicken. Das gefeierte Lächeln der Monroe droht ständig zu gefrieren, angesichts der glotzenden, geilen, gewalttätigen Männer, die sie in jedem öffentlichen Augenblick einkesseln und oft auch missbrauchen. Andrew Dominik stürzt sich auf Schlüsselbilder aus der Monroe-Ikonografie und transformiert sie auf gespenstisch-grausame Weise.

Dabei brilliert in diesem Ausbeutungs-Drama nicht nur Ana De Amas, das ganze Ensemble wirkt perfekt gecastet. Julianne Nicholson verstört in der Borderline-Mutterrolle, Bobby Cannavale gibt überzeugend den prügelnden Boxer-Ehemann, Adrian Brody schlüpft glaubwürdig ambivalent in den Part des Autors Arthur Miller, der Norma Jean sowohl begehrte als auch belächelte.

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Dass sich der Film punkto Traumatisierung gänzlich auf naheliegende Daddy Issues beschränkt, mag psychologisch etwas dürftig sein. Aber „Blonde“ ist keine filmische Analyse, Andrew Dominik präsentiert einen fast dreistündigen Fiebertraum über den Horror von Hollywood. Schade, dass man dieses ambitionierte Werk nur auf Netflix und nicht im Kino sehen kann, „Blonde“ würde ein gruseliges Double-Feature mit „Mulholland Drive“ abgeben.

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