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Philipp Muerlings Aktion für barrierefreie Uni

Ursula Knapp

FM4 AUF LAUT

Kunstaktion für barrierefreie Uni

Diese Woche startet das neue Unisemester. Das ist ohnehin schon eine große Herausforderung. Doch etwa 39.000 Studierende mit Behinderungen sind mit zusätzlichen Hürden konfrontiert. Ein Kunstunistudent gibt eine Lektion in Sachen Awareness.

Von Barbara Koeppel

Philipp Muerling hievt sich aus seinem Rollstuhl auf die Treppe der Akademie der Bildenden Künste. Sitzend richtet er sich mit den Händen seine Beine zurecht. Er langt ans Stiegengeländer und zieht sich eine Stufe höher. „Besuch am Schillerplatz“ nennt er seine künstlerische Protestaktion, die er nun zum Semesterauftakt mehrmals durchführen und dabei jedesmal scheitern wird. Nach etwa 15 Minuten lassen die Kräfte des Zeichners, Musikers und Kunstunistudenten nach. Er bleibt einfach auf den Betonstiegen liegen und demonstriert mit vollem Körpereinsatz, dass der Haupteingang der Kunstuni eindeutig nicht barrierefrei ist.

FM4 Auf Laut zum Thema „Barrierefrei Studieren“

Wie barrierefrei ist deine Uni? Welche Angebote gibt es vonseiten der Hochschulen? Was braucht es noch? Diese Fragen bespricht Claus Pirschner am 4. Oktober ab 21 Uhr mit Studierenden mit Behinderungen und Anrufer*innen.

Philipp ist der erste und bisher einzige Studierende mit Rollstuhl in der über 300-jährigen Geschichte der Kunstakademie. Er hat Friedreich Ataxie, eine fortschreitende neurologische Krankheit, die ihn motorisch einschränkt. Will er ins Gebäude, muss einen umständlichen Weg durch den Nebeneingang nehmen: Übers Kopfsteinpflaster, durch automatische Türen, über eine Rampe zu einem Lift. Nicht immer funktionieren die Türöffner, aber fast jedesmal blockiert sein E-Rollstuhl über den Rillen zwischen den Betonplatten der Rampe. „Da wäre ich schon öfter beinahe rausgefallen“, erzählt Philipp.

Philipp Muerlings Aktion für barrierefreie Uni

Ursula Knapp

Vizerektor Werner Skvara, der für die Infrastruktur der Bildenden zuständig ist, sagt, dass Gummileisten dieses Problem bald lösen sollten. Er beteuert auch, dass es Ideen für eine Rampe bzw. einen Treppenlift am Haupteingang gegeben habe. Umgesetzt wurden die bisher allerdings nicht. Dabei wurde das Akademiegebäude aus dem 19. Jahrhundert erst bis Mitte 2021 aufwändig renoviert. Kostenpunkt 70 Millionen Euro. Denkmalschutz und andere behördliche Vorgaben ließen sich dabei nicht so leicht umgehen.

„Man hat sich für eine pragmatische Lösung entschieden“, so der Vizerektor. „Wir als Akademie sind auch unbedingt der Auffassung, dass Aktionen wie die von Philipp Mürling sehr wichtig sind. Wenn die Aushandlung von Fragen unterschiedlicher Bedürfnisse zu pointierten künstlerischen Positionen führt, ist das ganz im Sinne des kulturellen Auftrags der Akademie der bildenden Künste.“

Philipp Muerlings Aktion für barrierefreie Uni

Ursula Knapp

Was bedeutet barrierefrei?

Diplomatische Worte. Echte Barrierefreiheit ist damit aber noch lange nicht erreicht. Sie ist in der UN-Behindertenrechtskonvention, die auch in Österreich seit 2008 in Kraft ist, vorgeschrieben, und Voraussetzung dafür, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt leben und gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können. Im hiesigen Behindertengleichstellungsgesetz heißt es dazu explizit: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“

„Echte Inklusion betrifft halt auch das Menschliche“, bringt Philipp es auf den Punkt. „Bloß, weil etwas auf dem Papier barrierefrei ist, heißt das nicht, dass es im Alltag zumutbar ist.“ Behindertenklos, die als Abstellkammern genutzt wurden und zwar zuvorkommende, aber auch oft überforderte Lehrende gehörten lang zu seiner Studienrealität.

Philipp Muerlings Aktion für barrierefreie Uni

Ursula Knapp

Was brauchen Studierende mit Behinderungen?

Philipp Mürling ist bei weitem nicht der einzige Studierende, der sich mit derartigen Hürden herumschlagen muss. Etwa 39.100 Studierende mit Behinderungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind an Österreichs Hochschulen inskribiert. Diese Zahl geht aus der jüngsten Studierenden-Sozialerhebung 2019 hervor. Eine parlamentarische Anfrage von Anfang September zeigt aber deutlich, dass Barrierefreiheit an den Universitäten ein noch immer relativ unerforschtes Gebiet ist. So ist bis dato etwa völlig unklar, wieviele Menschen mit Behinderungen ihr Studium überhaupt abschließen und wie hoch die Dropout-Rate ist.

Was man hingegen schon weiß, ist welche Unterstützungen Menschen mit Behinderungen im Studium zur Verfügung gestellt werden müssten.

Das beginnt ganz grundsätzlich mit höheren finanziellen Mitteln, einer erhöhten Studienbeihilfe oder dem Erlass des Studienbeitrages nach Ablauf der Toleranzsemester. Der jüngste Rechnungshofbericht zum Thema hat auch festgestellt, dass Studierende mit studienerschwerender Beeinträchtigung deutlich stärker von finanziellen Problemen betroffen sind. Solche „studienerschwerenden Beeinträchtigungen“ sind vielfältig:

Gehörlose Personen brauchen für Vorlesungen etwa Gebärdendolmetscher*innen oder Aufzeichnungen mit Untertiteln. Blinde und Sehbehinderte benötigen in den Gebäuden taktile Leitsysteme und Arbeitsplätze mit Vergrößerungssoftware und Braillezeile, die Texte in Blindenschrift darstellen. Studierenden mit Sozialphobien müssen abweichende Prüfungsmethoden angeboten werden, bei denen sie allein im Raum sein können.

Die meisten Lösungen für Personen mit körperlichen, psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen müssen individuell gefunden werden. Dafür muss logischerweise auch das Lehrpersonal entsprechend geschult werden. Das funktioniert an vielen Unis teilweise, an manchen sehr gut, aber leider auch immer wieder gar nicht.

FM4 Auf Laut zum Thema „Barrierefrei Studieren“

Wie barrierefrei ist deine Uni? Welche Angebote gibt es vonseiten der Hochschulen? Was braucht es noch? Diese Fragen bespricht Claus Pirschner am 4. Oktober ab 21 Uhr mit Studierenden mit Behinderungen und Anrufer*innen.

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