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Leerer Konzertraum

Ivan Lom

Gehören kleine Konzerte der Vergangenheit an? So steht’s um die Zukunft von kleineren Shows

SOHN, OSKA, Mavi Phoenix: Alle diese Künstler*innen haben innerhalb der letzten Wochen Shows oder ganze Tourneen in Europa absagen müssen. Der Grund: miese Ticketverkäufe. In jüngster Vergangenheit geht es vielen Acts ähnlich.

Von Aischa Sane

„I’m just gonna rip off the band-aid: I could not sell enough tickets to my ‚Marlon‘ tour. The rest of the tour in Germany and Switzerland is cancelled. I really, really wanted to play this tour, especially after 2 years of COVID and cancelling my other tour because of it.“ So wandte sich Marlon aka Mavi Phoenix vor einer Woche an seine Fans und Instagram-Follower*innen und schrieb, dass seine Deutschland-Schweiz-Tour gecancelt ist – das sind zehn Shows, die er nicht spielen wird.

Konzerte: Ein Ding der Unmöglichkeit?

Mit Screenshots aus der Notes App wandte sich auch SOHN an sein Publikum. Ebenso musste sich die US-Band Animal Collective auf Instagram für gecancelte Shows in Großbritannien und Kontinentaleuropa entschuldigen. In ihrem Statement legten sie dar: „From inflation, to currency devaluation, to bloated shipping and transportation costs, and much, much more, we simply could not make a budget for this tour that did not lose money even if everything went as well as it could.”

FM4 Session mit SOHN

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SOHNs Erklärung für die abgesagten UK-Termine spannt sich über mehrere Slides. Zusammengefasst: Die Ticketpreise explodieren im dritten Pandemiejahr. Künstler*innen, Veranstalter*innen und Ticketverkäufer*innen bleiben auf ihren Kosten sitzen, wenn diese Tickets sich nicht verkaufen. Und im Zweifelsfall finden die Shows dann eben nicht statt.

Aufgeblasener Markt

Oeticket vertreibt als größtes Ticketing-Unternehmen in Österreich die Eintrittskarten für durchschnittlich 75.000 Events im Jahr. Laut CEO Christoph Klingler haben es besonders Nachwuchskünstler*innen in diesem Jahr schwer. Veranstaltungen, die in den vergangenen Jahren pandemiebedingt nicht stattfinden konnten, wurden in den letzten Monaten aufgeholt. Das hatte eine Übersättigung des Marktes zur Folge, teilweise sammelten sich an einem Tag bis zu 300 Events im Land.

Käufer*innen hatten also teilweise keine andere Wahl, als Shows von weniger bekannten Künstler*innen zu meiden. Die durchschnittliche Konzertgänger*in kauft zwei bis fünf Tickets im Jahr, was unweigerlich zu einer Selektion führt. Es gibt keine endlosen zeitlichen und ökonomischen Ressourcen, deshalb entscheiden sich viele im Zweifelsfall eher für Konzerte von Mainstream- statt Indie-Acts.

Mavi Phoenix

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Mavi Phoenix

Insgesamt verkaufen sich Konzerttickets also so gut wie vor der Pandemie, aber nicht alle bekommen ein Stück vom Kuchen. Weltstars wie Dua Lipa und Harry Styles hatten kaum Schwierigkeiten, die Stadthalle in Wien zu füllen. Gleichzeitig konnten und können Nachwuchskünstler*innen teilweise nicht einmal in kleinen Venues spielen. Marterias anstehende Konzert in der Stadthalle wurde beispielsweise erst abgesagt und dann in die wesentlich kleinere Arena verlegt.

Darüber hinaus macht die Teuerungswelle keinen Halt vor der Musik- und Veranstaltungsindustrie. Die Produktion von Live-Events ist angesichts aktueller Krisen deutlich teurer. Damit sich Konzerte für Veranstalter*innen und Künstler*innen rentieren, müssen sie also (fast) ausverkauft sein, sonst lassen sich die Kosten nicht decken. Das ist aktuell keine Selbstverständlichkeit. Vor allem, wenn sich die erhöhten Produktionskosten in den Ticketpreisen widerspiegeln.

Luxus: Tournee

Die Musikindustrie hat die Aufgabe, Newcomer und Künstler*innen aus dem Mittelfeld trotzdem über Wasser zu halten. Musikmanagerin Annemarie Treiber arbeitet mit OSKA zusammen, die zuletzt auch Shows in Deutschland absagen oder verschieben musste.

Diese Situation macht neue Überlegungen dringend notwendig: „Wir versuchen jetzt mal noch einen kühlen Kopf zu bewahren und zu überlegen, wie man zum Beispiel eine Tour kostengünstiger gestalten könnte.“

In der Praxis schaut das zum Beispiel wie eine Solo- oder Acoustic-Tour aus, für die keine Band engagiert werden muss. Auch bietet sich etwa ein längerer Kartenvorverkauf an. Das ist eine Erkenntnis aus den letzten Monaten. Künstler*innen sollten jetzt vielleicht auch „nicht nur auf das Live-Pferd setzen“, sondern müssten eventuell auch Deals mit Publishing- und Plattenfirmen in Erwägung ziehen.

“Wir trocknen von innen aus“

Ink-Labelchef Hannes Tschürtz sieht hier ein großes Problem, das sich nicht in den nächsten Monaten von selbst lösen wird. Auf Twitter deutete er die Tour-Absage von Mavi Phoenix als eines von vielen Warnsignalen in der Branche.

Um das Fortbestehen des musikalischen Mittelfelds macht er sich große Sorgen: „Ein kleines Konzert, sagen wir im rhiz, ist unverhältnismäßig teuer zu veranstalten geworden, weil die Grundkosten so enorm sind, dass sich das einfach nicht lohnen wird. Und hier beginnt ein Riesenproblem zu wirken: Wenn das so bleibt, trocknen wir von innen aus.“

Als Worst-Case-Szenario malt Hannes Tschürtz sich aus, dass kleine Konzerte - und in Konsequenz kleine Lokale - aussterben. Künstler*innen wäre es in dem Fall unmöglich, sich mit Liveshows eine Fanbase zu erspielen und wichtige Erfahrungen zu sammeln. Künstler*innen und Veranstalter*innen würde das Einkommen wegbrechen. Das wäre „für die kulturelle Vielfalt und musikalische Entwicklung eine Katastrophe“.

Um das zu verhindern, brauche es Unterstützung für kleine Lokale und Vereine. Ohne kleinere Shows verliert der Musikbetrieb nämlich seine Grundlage. Für neue, nicht so gehypte Künstler*innen, wäre es so nahezu unmöglich, sich „hochzuspielen“.

Worauf es jetzt ankommt

Klingler und Treiber blicken optimistischer in die Zukunft. Die Verantwortung verorten sie aber nicht nur bei Künstler*innen und ihrem Umfeld. Wenn es nach OSKA-Managerin Treiber geht, müssen sich die Ministerien mit Künstler*innen und der Musikindustrie kurzschließen. Es brauche Förderungen an den richtigen Stellen und einen gesunden Austausch.

Oska

Alexander Galler

OSKA

Klingler schielt nicht in Richtung Politik, sondern nimmt in erster Linie Fans in die Verantwortung: Künstler*innen - und auch die Branche – verließen sich auf Fans, die sich ihre liebsten Acts live anschauen. Er ist sich außerdem sicher, dass sich der Markt beruhigt und Konzerte in den nächsten Monaten wieder weiter auseinanderliegen.

Auch betroffene Künstler*innen bleiben hoffnungsvoll. Das müssen sie wahrscheinlich. Unterdessen freut sich Mavi Phoenix schon auf das nächste Wiedersehen: “See you soon, always look forward." Mavi

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