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Valeria Anna Lampert

FM4 / Zita Bereuter

Mit „Unvoll“ gewinnt Valeria Anna Lampert den 2. Platz bei Wortlaut

Ein Mann, der für alles Ausreden hat und eine Frau, die ihre Sätze nicht ausredet. Mit „Unvoll“ gewinnt Valeria Anna Lampert Platz 2 bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Von Zita Bereuter

1 Im Kondom war ein Loch.
2 Der Vater raucht „die Zigarette danach“ vor einer anderen.
3 Die Mutter geht „Das große Buch der Vornamen“ alphabetisch von hinten nach vorne durch und bleibt bei Karlo stehen.
4 Aus Karlo mit K hätte ein Carlo mit C werden können. Ausgesprochen klingt das gleich.

„Unvoll“ ist eine Aufzählung, eine Liste von 99 Punkten. Listen braucht Valeria Anna Lampert. „Ja, ich bin eindeutig ein Listenmensch. Ich habe Listen. Ich habe Listen für Listen.“ Sie lacht. „Ich darf ja nicht vergessen, was auf welcher Liste steht.“

Schließlich ist Valeria in mehreren Gebieten aktiv. Sie hat Psychologie und Kommunikationswissenschaften studiert, die Schreibakademie Leonding absolviert, schreibt einerseits als Redakteurin und ist andererseits in Ausbildung zur Psychotherapeutin.

Psychologie

Dieses psychologische Fachwissen ist beim Schreiben durchaus von Vorteil. „Gerade, wenn man irgendwie Charaktere ausarbeiten möchte. Da ist immer Psychologie in allem drin. Also es geht ja auch immer um ein ‚Want‘ und ein ‚Need‘ - was will die Person, was braucht sie eigentlich? Da entwickelt sich dann eine Geschichte. Und Psychologie kann da sicher auch nicht schaden.“

Auch Erfahrungen aus ihrer Arbeit fließen mitunter in ihre Texte. So hat Valeria etwa ein Praktikum in einer Einrichtung für Menschen mit Suchterkrankungen absolviert und dabei viele Geschichten gehört. „Und natürlich kann man überall ein bisschen was rausnehmen und so auch einen Charakter zum Beispiel entwickeln.“ Aber, das ist ihr wichtig – es sind immer Zusammensetzungen von verschiedenen Personen. „Und es bleibt natürlich immer komplett anonymisiert.“

Valeria Anna Lampert
* 1991 in Feldkirch, studierte an der Universität Wien Psychologie und Kommunikationswissenschaften. Arbeitet selbstständig als Redakteurin und ist in Ausbildung zur Psychotherapeutin. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien, Projektstipendium der Stadt Wien, Aufenthaltsstipendium vom Land Vorarlberg. Absolventin der Leondinger Akademie für Literatur. Lebt seit 2010 in Wien.

Valeria hat früh begonnen zu schreiben. Ihre Cousine hat ihr vor kurzem ein Foto geschickt, das zeigt die sechseinhalbjährige Valeria mit ihrem ersten Buch, das sie gemeinsam mit der Kinderbuchautorin Christina Rettl geschrieben hat. Valeria lacht, natürlich habe da jedes Kind nur einen Satz beigesteuert. Klar war aber, dass sie gerne schreibt. Es folgten Tagebücher, Blogs und seit sie die Leondinger Akademie absolviert hat, begreift sie Schreiben auch als Handwerk. Feilt an Worten, setzt sich ernsthaft damit auseinander.

Auf ihre Schreibgewohnheiten angesprochen,
schluckt sie kurz. Sie habe ihren Freund noch gefragt, was sie darauf antworten solle, falls man sie fragt. Ihr Freund meinte, sie solle die Wahrheit sagen: „Es ist eine Katastrophe.“ Sie selbst sieht das etwas differenzierter. „Ich würde es nicht als Katastrophe bezeichnen, aber es ist so, dass Schreiben zum einen für mich so eine Notwendigkeit ist. Und ich liebe das. Und gleichzeitig ist es aber auch das, wo ich mich am meisten mit meinen Selbstzweifeln konfrontiert sehe. Hinsetzen und Schreiben kann schon oft eine große Überwindung sein und da muss man dann halt zuerst mal durch und das muss man aushalten.“

Valeria Anna Lampert

FM4 / Zita Bereuter

12 Der Cousin schubst Karlo ohne Schwimmflügel in den Pool. Karlo geht unter.
13 „Welcher ist der größte Fisch der Welt?“, fragt Karlo die Mutter, die es nicht weiß.
14 „Warum ist das Walhai-Weibchen größer als das Männchen?
Warum hat der Walhai keine Feinde?
Warum ist der Walhai so friedlich, wenn er doch Hai heißt?“
Die Mutter sagt:
„Warum,
warum,
warum“,
und nimmt das Essen zu früh aus der Mikrowelle.
15 Karlo zeichnet mit Bleistift den Plan für ein Segelboot. Er will ein Walhai-Weibchen sehen.
16 Die Mutter will es ihm ausreden, aber die Millionen-show beginnt.

Große Dramen in kurzen Sätzen

Es sind kurze Sätze, in denen sich aber ganze Dramen abspielen. Das war das Ziel von Valeria. Eine Freundin meinte mal zu einem Satz aus einem andern Text „In diesem einen Satz steckt eine ganze Geschichte.“ Und dieser Satz war ein Satz, der sich mit einer Unvollständigkeit beschäftigt hat. Also war das Nichtausreden das Leitmotiv für den ganzen Text, das Unvolle. Valeria wollte dann genau solche Sätze, „die alle irgendwie eine Unvollständigkeit behandeln und gleichzeitig sehr viel aussagen in einem kurzen Satz.“

23 „Warum wollen Sie bei uns arbeiten?“, fragt der Mann mit dem Easy-Drivers-Shirt.
„Mein Konto ist schneller leer als der Monat vorbei.“
24 Bei ihrer ersten Fahrstunde trägt Irma ein blaues Kleid mit vielen kleinen Ankern drauf. Einen gelben Socken und einen roten.
25 Nach der Fahrprüfung sagt Irma: „Gib mir deine Nummer und dann können wir
„Was können wir?“
Irma steigt aus.
26 Irma sagt manchmal Sätze nicht zu Ende und merkt es nicht.
27 Irma isst eine Vorspeise und eine Nachspeise und dann küsst sie Karlo.“

Im Mittelpunkt stehen Karlo und Irma. Er verwendet ständig Ausreden, sie redet nicht aus. Lässt ihre Sätze unvollständig. „Sie ergänzen sich ganz gut, würde ich sagen und fordern sich gegenseitig auch raus.“
„Unvoll“ klingt ausgesprochen auch wie der Dialektausdruck für „Unfall“. Auch diese Anspielung ist bewusst.

52 Irma schreibt auf das Whiteboard in Karlos Büro:
„Karlo ≠ Walhaifutter
Karlo =
53 Karlo trägt weiße Hemden und schwarze Anzüge und fährt jeden Tag mit der 1er Richtung Prater Hauptallee, aber hat die Endstation noch nie gesehen.
54 „Wegen eines technischen Problems können wir leider nicht weiterfahren. Bitte alle aussteigen!“ Karlo steht zwischen zwei Stationen auf der Straße.
55 Irma führt eine Liste mit dem Titel „Things we never did & why“ und macht einen Song daraus.

Musik

Der Soundtrack zum Text:

  • DMA’S – Silver
  • Boy - New York
  • Alex The Astronaut - I think you’re great

Songtexte hat Valeria noch nie geschrieben, Musik ist ihr jedoch sehr wichtig. „Nur ich bin nicht der Mensch, der den ganzen Tag Musik hört.“ Weil sie häufig auch einfach Stille mag. „Aber ich brauche Musik dann für die wichtigen Momente. Ich brauche Musik, wenn es mir nicht gut geht. Ich brauche Musik, wenn es mir sehr gut geht.“ Als sie etwa erfahren hat, dass sie auf der Longlist ist, hat sie sofort ein Lied aufgedreht und dazu getanzt.

Jury

Wortlautjury 2022

Die Jury war von diesen kurzen Dramen gleich angetan. „Ein Text, der die Kunst der Ellipse vorführt." „Ein sehr raffiniert geschriebener Text." „Sehr dicht. Sehr schön.“ „Die Dichtheit hat mich überzeugt.“ „Was für eine Geschichte von Mangel und Liebe, Verlust und Angst und Mut und Ausreden. In nur 99 Sätzen - ein starkes Stück.“ „Und dabei ist er so einfach und so zugänglich.“ „Eine große Empfehlung.“

Valeria ist von den Jurykommentaren gerührt. Aus der Schreibakademie kennt sie Bewertungen von Kolleg*innen aus einem Übungskontext. Aber von der Jury, die alle Texte anonymisiert erhalten hat, beeindruckt sie das umso mehr.
„Ich muss dazu sagen, ich bin ein großer Fan vom Text ‚Chemie‘ von Luca Manuel Kieser, dem letztjährigen Gewinner. Deshalb freut es mich sehr.“

Mit Fischen scheint man erfolgreich zu schwimmen. Während Luca Manuel Kieser von einem Tintenfisch schrieb, ist es bei Valeria ein Walhai. Der Hai und das Bauen eines Segelbootes stehen dabei für Träume, die Menschen haben. „Das ist austauschbar. Das ist für Karlo das. Aber das ist für andere Personen ganz was anderes. So etwas, das man sich immer vornimmt, aber dann irgendwie nie macht.“

„AUSREDEN“ war 2022 das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Das ist die heurige Longlist, und das die Shortlist.

Und das sind die besten drei:
Platz 1 - Eva Scheidweiler
Platz 2 – Valeria Anna Lampert
Platz 3 - Elisa Past

Alle Infos zu Wortlaut

Endlich Wortlaut ...

Zum fünften Mal hat Valeria einen Text bei Wortlaut eingereicht und sie freut sich, da auch eine Entwicklung zu erkennen. „Ich habe zwei Texte eingeschickt, die waren echt schlecht, aus denen ist auch nichts geworden. Dann der dritte Text, den habe ich danach überarbeitet, ihn woanders eingeschickt, habe den dritten Platz dort gemacht. Letztes Jahr war ich auf der Longlist von Wortlaut und jetzt am zweiten Platz. Und ich freue mich sehr, dass ich dran geblieben bin, muss ich sagen.“

...endlich live

Wir freuen uns auch darauf, Valeria Anna Lampert lesen zu hören - bei der Buchpräsentation, am Freitag 18. November, ab 19 Uhr im Literaturhaus Wien (Zieglergasse 26a, 1070 Wien)
Der Eintritt ist frei.

Die Buchpräsentation gibt es auch als Livestream vom Literaturhaus. Die drei besten Texte werden von den Autor*innen vorgelesen. Die weiteren sieben Autor*innen werden ihre Preise erhalten. Danach kann darauf angestoßen werden...

Der Standard

WERBUNG

Ein Auszug aus dem Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Valeria Anna Lampert gewinnt

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