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Eva Scheidweiler

Martin Gröbner

Eva Scheidweiler gewinnt Wortlaut 2022

Eva Scheidweiler hat neben Beruf, Familie und Hund nur wenig Zeit zum Schreiben. Exakt eine Geschichte schreibt sie jedes Jahr – die für Wortlaut, den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb. Heuer hat die in Salzburg lebende Grafikerin damit die Jury beeindruckt.

Von Zita Bereuter

Es war nicht leicht, Eva Scheidweiler von ihrem Wortlautgewinn zu erzählen. Mehrfach drückte sie den Anruf von FM4 weg. Hinter der Nummer aus Wien vermutete sie ein Callcenter. „Lästig ohne Ende“ ärgerte sie sich und nahm schließlich etwas ungehalten das Telefon ab. Umso größer war dann die Überraschung, die in Fassungslosigkeit gemischt mit Freude endete. Ein „emotionaler Ausnahmezustand“, der ihre beiden Töchter derart verunsicherte, dass diese zu weinen begannen. Eva beruhigte also erst die Kinder, ging dann in ihr Büro, druckte ihre Kurzgeschichte aus, „weil ich gar nicht mehr so ganz genau gewusst hab, was ich da eigentlich eingereicht habe. Also die Grundgeschichte schon, aber die Feinheiten, das Drumherum, das habe ich mir nicht mehr abrufen können.“ Sie las dann ihren Text nochmal. Und „dann ist mir heiß und kalt gleichzeitig geworden und ich war mir nicht sicher, ob das jetzt toll ist oder nicht. Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich mich an den Gedanken gewöhnt habe, dass den noch jemand lesen wird. Und vor allem Menschen, die mich kennen.“

Drei Hälften

Die Oma hat immer ein bisschen nach dem Opa gerochen, der sie ab und zu verdroschen hat, wenn ihm etwas nicht geradeaus gegangen ist. Ich weiß nicht, warum die Oma keinen eigenen Geruch hatte, vielleicht weil sie sich nicht getraut hat. Die beiden sind seit 4 Jahren tot. Die Oma ist am Brustkrebs gestorben, der Opa am Kummer, weil die Oma nicht mehr da war. Ich hab einmal gehört, dass sich der Krebs von der Angst, den Sorgen und der Verzweiflung der Leute ernährt.

Eva Scheidweiler

Martin Gröbner

Eva Scheidweiler
*1981 in Lienz. Studierte an der KunstUni in Linz „Grafik Design & Fotografie“, als die Matrikelnummern noch mit einer Zahl aus dem letzten Jahrtausend starteten. Nach Zwischenstopps in den USA, Steyr und back home in Osttirol lebt sie nun in Salzburg und arbeitet dort als selbständige Grafikerin. Zwischen Familie, Kunden, Hund & Heim schreibt sie ihre Geschichten ständig und überall im Kopf … für den FM4 Wortlaut bringt sie hin und wieder eine davon tatsächlich zu Papier.

Eva Scheidweiler arbeitet als selbstständige Grafikerin. Neben Beruf, Familie und Hund hat sie nur wenig Zeit zum Schreiben. „Das ist ja der Witz an der Sache.“ Vor vier Jahren hat sie sich vorgenommen, wenigstens eine Geschichte im Jahr fertig zu schreiben - die für Wortlaut, den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

„Da gibt es eine Deadline und einen gewissen Druck.“ Ansonsten schreibt Eva nur im Kopf. „Ich habe Geschichten, Texte, Fetzen davon im Kopf und komm so gut wie nie dazu, die zu Papier zu bringen. Ich schreib zwischen Tür und Angel. Ich schreib im Kopf.“ Manchmal notiert sie was im Handy, auf Papierschnipseln oder Servietten. „Ich habe zu Hause neben dem Küchenblock ein A4 Heft liegen, in das versuche ich sehr viel von dem, was ich so im Kopf sammle, reinzuschreiben bzw. das, was ich sonst so notiere, dort zu sammeln. Ja und das passiert immer zwischen zwei oder drei anderen Tätigkeiten. Da find ich eine Minute Zeit oder zwei Minuten. Und wenn ich dann einen guten Satz im Kopf hab, der vielleicht eh schon länger darauf wartet, dass er mal raus kann, dann wird er in das Heft notiert.“

„Das Handy zeigt noch 2% Akku an. Ich mühe mich leise schimpfend von meinem Sessel auf, weil das eigentlich für die nächste Stunde nicht geplant war und tausche mein Telefon gegen Andis aus. Die face-ID erkennt mich nicht gleich, weil ich zu geplagt dreinschaue. Beim zweiten Mal klappt’s. Ich öffne die Nachrichten-App und fange an zu wischen. Frankreich ist schon gar nicht mehr auf der Startseite zu sehen, so viel tut sich in 10 Stunden auf der Welt. Eine Nachrichtenvorschau poppt am oberen Ende des Bildschirms auf „miss u like hell“. Ich verstehe nicht, reagiere nicht sofort. Ich nehme die Ladehemmung in meinem Hirn wahr, kann mich nicht organisieren. Ich verharre einen Moment, schaue ins Loch neben dem Bildschirm.“

Eva Scheidweiler

FM4 / Zita Bereuter

Alle Textschnipsel und -teile notiert Eva Scheidweiler von Hand. Irgendwann tippt sie diese Teile in den Computer. Währenddessen passiert die erste große Überarbeitung. „Der Text landet nie so im Computer, wie ich ihn händisch aufgeschrieben habe.“ Dann passiert erst mal nichts. „Ich lasse ihn liegen. Meistens lang.“ Im Kopf allerdings arbeitet sie weiter. „Und irgendwann, nach eine Woche oder zwei oder drei geh ich dann wieder drüber und dann fange ich an zu streichen.“ Im Streichen ist sie großzügig. Blumiges oder zu ausführliches muss weg. „Und so streiche über Wochen herum und irgendwann glaube ich dann, das ist fertig und dann lass ich es gut sein damit.“

„AUSREDEN“ war 2022 das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Das ist die heurige Longlist, und das die Shortlist.

Und das sind die besten drei:
Platz 1 - Eva Scheidweiler
Platz 2 – Valeria Anna Lampert
Platz 3 - Elisa Past

Alle Infos zu Wortlaut

„Andi kommt von oben und setzt sich zu mir an den Tisch. Ich schiebe ihm tonlos das Handy hin. Er schaut auf das Display und schweigt. Er schaut mich nicht an und schweigt. Das reicht mir als Antwort auf die Frage, die ich nicht gestellt habe. Ich stehe auf und gehe. Ich ziehe meine Jacke an und verlasse das Haus, befinde mich in einer Art Schockstarre, bewege mich mechanisch und kann meine Beine nicht kontrollieren. Sie stelzen hölzern vor sich hin, ohne die Richtung zu kennen, in die sie stolpern. Ich fühle mich an wie ein leerer runzeliger Luftballon, der schon 4x aufgeblasen und wieder ausgelassen wurde.“

„Er schaut mich nicht an und schweigt. Das reicht mir als Antwort auf die Frage, die ich nicht gestellt habe.“

Zum Titel

Die Ich Erzählerin hat zwei große Probleme. Einerseits hat ihr Mann eine Affäre und andererseits hat sie gerade einen Knoten in ihrer Brust entdeckt. Und beides spiegelt sich in der Geschichte der Großeltern wieder.
Den Teil mit der Affäre schrieb Eva zuerst, gefolgt von dem Teil mit dem Krebs. „Mit den beiden Teilen war ich eigentlich schon recht zufrieden, aber die haben doch nichts miteinander zu tun gehabt.“
Aus der Lösung dieses Problems ergab sich auch der Titel „Weil ich das Gefühl hatte: ’ich habe jetzt zwei Hälften, aber die zwei Hälften, die treffen sich nicht in der Mitte. Das heißt, es braucht eine dritte Hälfte, die das Ganze verbindet. Und dann ist der Opa ins Spiel kommen mit der Oma und diese kurzen Passagen zwischendurch, die das Ganze verbinden.“

Der Soundtrack zum Text:

  • Fink: Looking too closely
  • Foo Fighters: What if I do?
  • Julia Stone: Bloodbuzz Ohio

„Ich erinnere mich an einen Abend vor 2 Jahren, als wir uns bei einer Flasche Rotwein darüber lustig gemacht haben, dass er sich jetzt ein „russisches Pupperl“ als Sekretärin einstellt. „Assistentin“, hat Andi gelacht und dass sich seine Kollegen da anschauen werden mit ihren alten Schragen in den Vorzimmern. Tatjana. Mehr als diesen Vornamen hab ich seither nie gehört. Hin und wieder hatte ich sie am Telefon, wenn’s wieder ganz wichtig war und sie Andi nicht erreicht hat am Samstag. Mit ihrem komischen Akzent, der eine Mischung aus englisch und unterbelichtet ist. Nicht russisch, weil russisch ist sie ja nicht, nur der Name und die Plastikfingernägel. Dann hab ich mein Telefon weitergegeben und im nächsten Moment vergessen, dass da gerade etwas war. Jetzt hat wichtig eine neue Dimension bekommen.“

Der Siegertext „Drei Hälften“ von Eva Scheidweiler in voller Länge.

Text vs. Bild

Eva arbeitet als selbständige Grafik-Designerin. Beruflich beschäftigt sie sich also mit Visuellem. Dennoch denkt sie nicht in Bildern, wenn sie schreibt. Das trennt sie klar. „Die Grafik, das visuelle Gestalten, das ist für mich eine komplett andere Baustelle als das Schreiben, das Spielen mit Wörtern. Vielleicht, weil das eine einfach so direkt an Beruf, Geldverdienen und Pflicht gekoppelt ist und das andere reines Hobby ist.“

Wortlautjury 2022

Die Jury

Die Jury war beeindruckt und voll des Lobes. "Drei Hälften ist ein Text, dessen Ton und Humor ich sehr gelungen finde.“ „Er spiegelt die Zerbrechlichkeit des Lebens und zwischenmenschlicher Beziehungen wundervoll wieder.“ „Herausragend in den Details, im Rhythmus.“ „Auch die Szenen bewundere ich geradezu, weil mit so wenigen Strichen so viel gesagt wird, ohne ins Klischee zu verfallen.“ „Ein schöner und sehr gelungener, sehr dichter Text.“ „In sämtlicher Hinsicht gut gemacht.“

Eva Scheidweiler live

Am Freitag wird Eva ihren Text lesen, und zwar um 19 Uhr im Literaturhaus Wien, Zieglergasse 26a, 1070 Wien.

Die Kinder werden auch mitkommen. Und falls es Tränen gibt, dann hoffentlich nur aus Freude!

Der Standard

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Ein Auszug aus dem Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Eva Scheidweiler gewinnt

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