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England gegen Iran bei der WM in Katar: Die iranische Mannschaft hört zu, während die iranische Hymne gespielt wird.

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interview

„Sport ist eben eine super Bühne, um Protest zu äußern“

Warum Sport und Politik nicht voneinander zu trennen sind und warum das die FIFA dennoch so krampfhaft versucht, darüber haben wir mit Fabian Sommavilla, Journalist und Autor des Buches „33 Sportereignisse, die die Welt verändern“ gesprochen.

Von Simon Welebil

Der englische Stürmer Harry Kane, der holländische Verteidiger Virgil Van Dijk und auch nicht der deutsche Tormann Manuel Neuer: Kein Spieler darf bei der WM in Katar wie geplant die sogenannte One-Love-Armbinde tragen, die für Vielfalt, Offenheit und Toleranz stehen soll. Die FIFA hat die Situation eskaliert und gelbe Karten für die Spieler angedroht, sollten sie mit einer solchen Armbinde aufs Spielfeld laufen. Die FIFA hatte schon der dänischen Nationalmannschaft gedroht, sollten ihre Spieler auf den T-Shirts, wenn auch nur während des Trainings, die Botschaft „Menschenrechte für alle“ tragen.

Die FIFA möchte alles Politische von dieser WM fernhalten, das sei aber unmöglich, meint jedenfalls Fabian Sommavilla. Der Autor und Journalist hat das Buch „33 Sportereignisse, die die Welt verändern“ geschrieben, für das er eine Menge Geschichten darüber gesammelt hat, wie Sport und Politik sich wechselseitig beeinflussen, und auf welche Weise Athlet*innen immer wieder ihren politischen Protest vor großem Publikum äußerten.

Fabian Sommavilla

Franz Preschern

Fabian Sommavilla

Radio FM4: Die FIFA hat alle Statements, die politisch gelesen werden könnten, bei der WM aus den Stadien verbannt, zuletzt sogar die „One Love“-Armbinden. Sport soll möglichst unpolitisch sein. Warum eigentlich?

Fabian Sommavilla: Politik ist einfach immer eine Auseinandersetzung mit unangenehmen Fragen, und da würde sich die FIFA eben gerne raushalten. Da geht es eben darum, dass man sagt: Wenn wir jetzt großflächig für breite Unterstützung der LGBTIQ+ Community auftreten, dann könnten uns eventuell einige Geldgeber abspringen oder aufstrebende Nationen, vor allem was das Geld betrifft, wie jetzt Katar im aktuellen Fall. Deshalb versucht sie, möglichst unpolitisch zu sein. Aber sie schafft es eigentlich nicht, weil es unmöglich ist bei so vielen verschiedenen Verbänden, die auch im realpolitischen Leben Krieg führen oder diplomatische Zwiste haben. Man kann das nicht einfach alles ausblenden, sobald man auf dem Platz steht.

Politik ist einfach immer eine Auseinandersetzung mit unangenehmen Fragen, und da würde sich die FIFA eben gerne raushalten.

Radio FM4: Im Vorwort zum neuen Buch „33 Sportereignisse, die die Welt verändern“ schreibst du, Sport war, ist und wird immer politisch sein. Wie kommst du zu diesem Schluss?

Der englische Spieler Declan Rice kniet nieder, kurz vor dem Kickoff zum Spiel gegen den Iran bei der WM in Katar.

APA/AFP/Adrian DENNIS

Taking the knee

Fabian Sommavilla: Da muss ich wirklich niemanden mehr erst überzeugen, der in den letzten Wochen nicht ganz die News gemieden hat, dass Sport eine sehr politische Komponente haben kann. Es gibt einfach viel zu viele Beispiele. Sei das Antirassismus, der in den USA zum Beispiel ein riesengroßes Thema ist, begonnen auch durch dieses „taking the knee“ von Colin Kaepernick, diese Demonstrationen gegen systemischen Rassismus, aber auch andere Ausgrenzungsfragen oder Fragen wie: Sollen Sportlerinnen und Sportler das gleiche Geld verdienen? Bis hin zu ganz heiklen Fragen: Wann ist eine Athletin eine Athletin? Wenn es über die Teilnahme von Transpersonen im Sport geht. Das sind ganz heikle politische Fragen, die sich in einer wandelnden Gesellschaft auftun und die sich natürlich auch im Sport wiederfinden - oftmals eben gerade im Sport, weil der Sport eben eine super Bühne ist, um Protest zu äußern.

Wenn wir da zum Beispiel an Nordafrika denken, ist das Stadion für viele Fußballfans immer noch der einzige Ort, wo wirklich Protest geäußert werden kann. Da sind 40.000 in einer Kurve in Algier oder in Casablanca und nur da können sie wirklich frei ihre Meinung rausbrüllen, weil die Staatsmacht nicht die Kontrolle über eine ganze Kurve haben kann, weil es da eine gewisse Anonymität gibt. Das ist kein neues Phänomen, das war immer schon so, und deshalb bin ich zu diesem Schluss gekommen, dass Sport immer schon politisch war, es aktuell ist und es noch sehr lange bleiben wird. Wenn man das ignoriert, dann finde ich das ein bisschen naiv, weil es diese Komponente einfach gibt.

Vor dem Spiel England gegen Iran bei der WM in Katar: Die iranische Mannschaft hört zu, während die iranische Hymne gespielt wird.

APA/AFP/FADEL SENNA

Vor dem Spiel England gegen Iran bei der WM in Katar: Die iranische Mannschaft hört zu, während die iranische Hymne gespielt wird. Mehr dazu auf ORF.at

Radio FM4: Die FIFA probiert alles, um Politik aus den Stadien rauszuhalten, aber anscheinend gelingt es ihr nicht. Es bewirkt quasi das Gegenteil, zumindest bei uns im Westen. Ist es also eine falsche Strategie?

Fabian Sommavilla: Ich schreibe in meinem Buch auch, dass Menschen nicht, sobald sie ein Stadion betreten, ihre politische Meinung wie eine Jacke an der Garderobe abgeben. Daher ist es naiv zu glauben, dass Menschen das absolut trennen können. Aus taktischer Sicht der FIFA kann man natürlich drüber diskutieren, was ist schlauer, da wirklich rigoros einen möglichst großen Riegel vorzuschieben oder alles zu erlauben? Wenn man alles erlaubt, dann kommt es natürlich zu keinen Trotzreaktionen, wie wir sie aktuell sehen. Aber wir sehen, dass die FIFA zum Teil Erfolg hat. Das Verbot der „One Love“-Armbinde, zum Beispiel, das ist jetzt vielleicht leider aus taktischer Sicht der FIFA nicht unklug, aber am Standing der FIFA nagt es schon nochmal ziemlich. Die FIFA macht sich in den letzten Wochen, Monaten, schon seit Jahren sehr viele Feinde.

In the long run könnte sich dieses Investment für Katar schon ausgezahlt haben.

Buchcover mit verschiedenen Sportereignissen

Katapult

Radio FM4: Die WM in Katar ist ja Teil eines großen „Sportswashing“-Programms für das Land. Im Moment schaut es so aus, als würde das aber nicht besonders gut aufgehen. Würdest du dem zustimmen oder glaubst du, das ändert sich noch im Laufe der WM?

Fabian Sommavilla: Ich bin mir da nicht so sicher. In Katar kassiert man momentan in westlichen Medien in Europa sehr viel negative Berichterstattung. Es gibt aber auch sehr viele Länder der Welt, wo das kein großes Thema ist. Da muss man sagen, die haben das schon geschafft, auch mit diesen etlichen Milliarden, die sie da reingesteckt haben, der Welt zu sagen: Hey, wir sind ein extrem reiches Land und wir können alles schaffen, was wir wollen. Auf diplomatischem Wege, auf dubiosen Wegen zum Teil. Also Sportswashing ist wirklich ein sehr effektives Instrument, wenn man das beherrscht, wenn man die nötigen Milliarden im Hintergrund hat. In the long run könnte sich dieses Investment für Katar schon ausgezahlt haben.

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