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16 Tage gegen Gewalt an Frauen

Brauchen wir mehr zarte Männlichkeiten?

Zu den 16 Tagen gegen Gewalt an Frauen: Wie kann man Burschen helfen, damit sie nicht zu Tätern werden?

Von Aischa Sane

Jonas Pirerfellner ist Sozialpädagoge und hat in seiner Masterarbeit über neue Männlichkeitsentwürfe und antisexistische Männerarbeit geschrieben. Seit ungefähr vier Jahren ist Jonas im Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark tätig. Die 1996 gegründete Non-Profit Organisation orientiert sich an der kritischen Männerforschung. Die geht grob zusammengefasst davon aus, dass es unterschiedliche Typen von Männlichkeit gibt. Und auch die stehen, genauso wie die „typischen“ Geschlechter - Mann und Frau - in einem hierarchischen Verhältnis zueinander.

Der Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark ist eine der Männerberatungsstellen, welche die Männerinfo betreiben. Das ist eine bundesweite Hotline, die 24/7 besetzt ist. Männer werden hier bei Sorgen, Krisen oder psychischen Problemen beraten.

Zu erreichen ist sie unter 0800/400777.

Die Männerarbeit möchte Männer sozial einbinden und sie bei der Lebensbewältigung beraten und unterstützen. Außerdem verpflichtet sie sich der Gewaltprävention, Täterarbeit sowie der Erarbeitung sexismuskritischer Positionen.

Anlässlich der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen hat Aischa Sane mit Jonas Pirerfellner über seine Arbeit gesprochen.

Was sind die Schwerpunkte deiner Arbeit?

Jonas Pirerfellner: Ich habe meinen Schwerpunkt in der Fachstelle für Burschenarbeit, wo ich viel mit Jugendlichen zusammenarbeite. Thematisch liegt mein Schwerpunkt in der sexuellen Bildung sowie in der Gewaltprävention und der Burschen- und Männergesundheit. Mit erwachsenen Männern arbeite ich in der Männerberatung, vor allem im Männercafé. Das ist ein Gruppenangebot für Männer, wo es um Austausch, Info und Gesundheitskompetenz geht.

Bei all unseren Angeboten gilt, dass Mann - oder männlich - unter Anführungszeichen steht. Wir heißen zwar Männerberatung oder Fachstelle für Burschenarbeit, das heißt aber nicht, dass bei uns nur jene willkommen sind, die sich als Mann identifizieren. Willkommen sind alle, die sich von unserem Angebot angesprochen fühlen.

Was macht der Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark genau?

Jonas Pirerfellner: Männerberatung ist unser erster großer Geschäftsbereich. Das ist vor allem psychosoziale Beratung für Männer, die in irgendeiner Form von Krise stecken. Darunter fällt die Beratung, aber auch ein Therapieangebot und Gruppenangebote wie das Männercafé. Außerdem haben wir gesundheitsfördernde Veranstaltungen, wie zum Beispiel Männergesundheits-Wanderungen.

Der zweite große Bereich ist die Täterarbeit, oder Opferschutz-zentrierte Täterarbeit, wie es in der Fachsprache heißt. Wir arbeiten also mit Männern, die in irgendeiner Art und Weise Gewalt ausgeübt haben.

Der dritte Fachbereich ist die Fachstelle für Burschenarbeit, wo wir mit Jugendlichen arbeiten, vor allem im Schul- oder Workshopsetting. Wir arbeiten auch mit Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten: also Pädagog*innen, Sozialarbeiter*innen oder Lehrer*innen.

Unser vierter Fachbereich ist die Forschung und Bildung. Das Institut für Männer- und Geschlechterthemen setzt auf Landes- und internationaler Ebene verschiedene Forschungsprojekte um. Aktuell mit einem Fokus auf Caring Masculinities, also an Sorge oder Fürsorge orientierten Männlichkeiten.

Warum ist die Arbeit, die ihr macht, wichtig?

Jonas Pirerfellner: Männer suchen Hilfe weitaus seltener auf oder nehmen sie seltener an. Darum ist es wichtig, solche Angebote für Männer zu stellen. Dabei sehen wir uns in Zusammenarbeit mit den Angeboten, die es für Frauen und Mädchen gibt. Wir versuchen, das so gut wie möglich mit Projekten und Kooperationen auszubauen. In der Jugendarbeit arbeiten wir zum Beispiel mit den Einrichtungen der Mädchenarbeit zusammen. In der Täterarbeit kooperieren wir mit Opferschutzeinrichtungen wie dem Gewaltschutzzentrum oder den Frauenhäusern Steiermark.

Außerdem ist es wichtig, eine Diversifizierung von Männlichkeit aufzubauen. Männlichkeit ist auch für Männer ein einschränkendes Konstrukt. Das schlägt sich etwa in unverhältnismäßig hohen Suizidraten nieder. Also gilt es Männlichkeit aufzubrechen, um zu entdecken, dass es da noch viel mehr gibt.

Was für Männlichkeiten möchtet ihr kultivieren?

Jonas Pirerfellner: Die Feministin und Autorin bell hooks hat ein Buch zu Männlichkeit und Feminismus geschrieben, The Will to Change. Da formuliert sie, dass Männlichkeit sehr oft an Stärke gekoppelt ist und dass es ein Umdenken von dieser Stärke braucht. Die wird nämlich traditionell so definiert, dass du dich über jemanden oder etwas hinwegsetzen kannst. Diese Stärke sollte aber umformuliert werden, zu einer Stärke, die bedeutet, dass du für dich und andere Verantwortung übernehmen kannst. In dem Sinne möchten wir Männlichkeit fördern, die genauso Fürsorgetätigkeiten aufnehmen kann und die Geschlechtergerechtigkeit fördert. Eine Männlichkeit, die allen ein gutes Leben ermöglichen kann.

Wie lässt sich das niederschwellig und in der Praxis gestalten?

Jonas Pirerfellner: Da gilt es zu schauen, welche Bilder von Männlichkeit die Kids oder die Männer haben und welche Erwartungen daran geknüpft sind. Wir schauen uns an, welche „männlichen“ Eigenschaften ihnen bekannt sind und analysieren sie. Außerdem beschäftigen wir uns auch mit ihren Lebensvorstellungen. Ich formuliere es immer so: ‚Es ist okay, wenn du einen Norm-Lebensverlauf haben willst mit Heiraten, Haus bauen, Kinder, Hund, Auto. Aber es ist genauso in Ordnung, wenn du alles nicht machst und einen ganz anderen Lebensentwurf hast.‘ Die Burschen sollen die Möglichkeit haben, selbst auszuwählen wie sie ihr eigenes Leben gestalten möchten. Natürlich auf eine Selbst- und sozial verträgliche Art und Weise.

Wo liegt deiner Ansicht nach die Wurzel des Problems bei sexualisierter Gewalt?

Jonas Pirerfellner: Das gesellschaftliche Problem ist nach wie vor, wie Sexualverhalten dargestellt wird. Vor allem in den Medien herrscht dieses raubtiermäßige Bild von männlichem Sexualverhalten vor, also der Jäger muss sich seine Beute gefügig machen. Wahrscheinlich jede männlich sozialisierte Person hat im Laufe ihrer Sozialisation schon mal gehört, dass man Frauen rumkriegen und hartnäckig sein muss. Das wird über so viele Medien, Serien, Filme und Songs vermittelt. Wenn das nicht aktiv hinterfragt und verlernt wird, bleibt das im Bewusstsein.

Und das beschränkt sich nicht nur auf K.O.-Tropfen. Das Abfüllen ist ja der Klassiker beim Fortgehen. Da sind wir weit weg von irgendwelchen konsensualen Gedanken. Es muss einfach mehr Öffentlichkeit und Medienarbeit dazu geben, wie Konsens passiert. Es ist sehr gut und wichtig, Betroffene zu schützen. Aber viel besser wäre es, wenn wir soweit kommen, dass Personen gar nicht von Übergriffen betroffen sind.

Wie kann man Burschen helfen, damit sie nicht zu Tätern werden?

Jonas Pirerfellner: Wir versuchen, über die Lebenswelten der Jugendlichen, etwa über die Musik die sie hören, zu entdecken welche Arten von Gewalt es gibt. Also wie sie sich ausdrückt und in welchen Kontexten sie entsteht. Mir persönlich ist das Thema Konsens ein großes Anliegen. Da geht es um die Frage, wie sich Beziehungen und Sexualität einvernehmlich gestalten lassen. Und ich persönlich behandle Konsens in all meinen Workshops, egal was das Überthema ist, weil es einfach so wichtig ist.

Wir müssen Jugendlichen Alternativen bieten. Wir müssen erarbeiten, wie man Konsens gestalten kann und das in Beziehungen, Sexualität und im Alltag umsetzt. Und wir müssen auch benennen, wie Konsens vielleicht eingeschränkt ist und welche Arten von Konsens es gibt. Es ist wichtig, das Kids und Jugendlichen mitzugeben. Da braucht es auch eine gewisse Fehlerkultur. Die Themen können nicht verschwiegen oder unter den Tisch gekehrt werden.

Da wird es viel Kommunikation, aber auch Reflexion bei den Erwachsenen brauchen. Konsens muss normalisiert werden, aktuell wird’s ja oft als etwas Optionales, Zusätzliches gesehen. Konsens ist aber grundlegend für alle Beziehungen, sei es jetzt sexuell, romantisch oder freundschaftlich. Und es ist nicht die Person verantwortlich, die den Konsens verneint. Die Person, die Aktionen setzt, ist verantwortlich dafür, vorher Konsens einzuholen.

Welcher Themenbereich ist dir oder euch sonst noch wichtig?

Jonas Pirerfellner: Wir arbeiten jetzt seit einigen Jahren am Thema Pornografie-Kompetenz, das wir als einen Teil der Medienkompetenz sehen. Da geht es darum, was die Jugendlichen sich mitnehmen, denn Konsens wird in Pornografie wenig dargestellt. Das geschieht abseits der Kameras und es wird nicht offengelegt, dass das nach Drehbuch und im Konsens passiert. Das kann für Jugendliche ziemlich verwirrend sein. Denn oft spielen sich Handlungen ab, die sehr gewaltvoll wirken, aber vielleicht im Konsens passieren. Sicher kann man sich da aber beim Schauen nicht sein, weil kein Konsens ausgesprochen wurde.

Da ermutigen wir Jugendliche ins Reflektieren zu gehen, das Gespräch zu suchen und zu schauen, was das eigentlich mit ihnen macht. In der Pädagogik haben wir ganz lange einen beschützenden Zugang zu Pornografie gehabt. Also: Jugendliche dürfen das nicht konsumieren und deswegen thematisieren wir das gar nicht. Damit haben wir aber ein Tabu geschaffen und Jugendlichen, die das Gespräch gesucht hätten, die Türen verschlossen. Mittlerweile haben wir einen begleitenden Zugang, der sagt: Okay, gut, reden wir darüber.

Was glaubst du, welche Rolle Männerarbeit und Gewaltprävention in der Zukunft spielen werden?

Hoffentlich eine größere. Wir sind glücklich, in der Gewaltprävention immer mehr arbeiten zu dürfen. Gleichzeitig sehen wir aber, dass es immer noch sehr viel Andrang auf die Täterarbeit gibt. Unser Wunsch wäre natürlich, irgendwann die Täterarbeit komplett dichtmachen zu können, weil wir obsolet geworden sind.

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