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Kiepenheuer & Witsch

Glaube, Hoffnung und Gemetzel

Das Interview Buch vom Journalisten Sean O´Hagan und Nick Cave gibt tiefe Einblicke in das Leben des Musikers und behandelt große Themen wie Gott, Trauer und Liebe.

Von Susi Ondrušová

Wer glaubt, dass man bei Büchern über Musik und einem Interview-Buch im Speziellen ein Fan oder große Kennerin des Oeuvres sein muss, irrt. Im Falle von „Glaube, Hoffnung und Gemetzel“ muss man nicht einmal die erste Zeile aus „Into My Arms“ mitsingen können, man muss das Lied noch nicht auf einer Hochzeit oder einem Begräbnis gehört haben. Man muss eigentlich nicht einmal wissen, wer Nick Cave ist oder seine Lieder besonders gut finden. Man kann sie auch richtig schlecht und überbewertet finden und die Wahrscheinlichkeit ist trotzdem sehr groß, dass man im Buch „Glaube, Hoffnung und Gemetzel“ einige wunderbare Ideen und Denkanstöße findet, die staunen lassen und inspirieren. Ein Must-Have für Fans und ein Must-Have für alle, die keine Scheu vor 300 Seiten Gespräch über Gott und die Welt haben.

1979 hat Nick Cave mit der Birthday Party sein erstes Album veröffentlicht, dabei wollte der Musiker, wie man im Buch erfährt, immer Maler werden. Seine aktuell favorisierte Kunst-Disziplin: Keramik! Er war als junger Mann Junkie und jetzt mit 63 Jahren fertigt er kleine Keramikfiguren vom Teufel an, die heuer in einem Museum in Tampere, Finnland ausgestellt wurden. Allein dieser biografische Spannungsbogen lässt erahnen: Das Leben von Nick Cave ist faszinierend.

„Glaube, Hoffnung und Gemetzel“ ist allerdings keine Autobiografie, sondern ein Interviewbuch. Mit dem befreundeten Journalisten Sean O´Hagan hat Nick Cave zu Beginn der Pandemie im März 2020 angefangen, lange Gespräche zu führen. Das gemeinsame Buch ist das Protokoll dieser Gespräche, die sich über mehrere Monate erstrecken und mehrere kreative Schaffensperioden (Musik, Keramik) und auch persönliche Schicksalsschläge (Todesfälle) behandeln und dabei immer wieder die ganz großen Fragen aufgreifen, die im Titel schon so perfekt zusammengefasst werden.

„All diese Systeme die angeblich die Welt am Laufen halten und wir werden von einem Virus niedergestreckt…Ich hege eine Empathie für Menschen wie ich sie nie zuvor gespürt habe. Es fühlt sich dringlich und neu und grundsätzlich an.“

Nick Cave auf Burg Clam - er reicht einem Fan seine Hand, während er singt

Nikolaus Ostermann

Es geht nicht darum, den Leser*innen zu helfen, biografische Wissenslücken aufzufüllen oder Fußnoten-Details von bestimmten Studio-Arbeiten chronologisch einzuordnen, was manchen Musikbüchern eine lähmende Note verleiht. Beim Lesen fühlt man sich eher, als ob man stiller Gast bei einem Kamingespräch wäre. Ein Journalist, der davon lebt, Fragen zu stellen, und ein Künstler, der Interviews immer gehasst hat, besprechen auf Augenhöhe (=interessiert und respektvoll) universelle Themen. Zum Beispiel was einen überhaupt antreibt sich künstlerisch auszudrücken.

„Religion ist eine mit Strenge einhergehende Spiritualität, nehme ich an, und ja, sie stellt Anforderungen an uns. Für mich bedeutet das ein Ringen mit der Idee des Glaubens – dieser rote Faden eines Zweifels, der sich durch die meisten glaubwürdigen Religionen zieht. Dieser Kampf mit der Vorstellung des Göttlichen bildet die Wurzel meiner Kreativität.“ meint Nick Cave im Buch.

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Kiepenheuer & Witsch

„Glaube, Hoffnung und Gemetzel“ von Nick Cave und Seán O´Hagan (aus dem Englischen von Christian Lux) ist im Verlag Kiepenheuer&Witsch erschienen.

Fragen über Gott nehmen im Gespräch eine große Rolle ein. Genauso wie das Thema Trauer und Tod. Nick Cave reflektiert zum Beispiel die Bedeutung seines Albums „Ghosteen“ und meint: „Ich glaube, dass Ghosteen, also Musik wie auch Texte, ein erfundener Ort ist, wo Arthurs Geist eine Art Hafen oder Unterschlupf finden kann.“ 2015 ist Arthur Cave bei einem Unfall in Brighton tödlich verunglückt. Der Umgang mit diesem Verlust, die Trennung in ein Davor/Danach-Leben ist zentral im Buch, bestimmte Passagen sind brutal, wie könnten sie es nicht sein.

Aus einem Labyrinth der Schmerzen einen Weg finden, diesen Schmerz vertonen und alle möglichen dazugehörigen Gedankengänge in „Glaube, Hoffnung und Gemetzel“ protokollieren: Das Interview-Buch von Nick Cave und Sean O´Hagan ist eine Inspirationsquelle. Nick Cave´s Leben ist wie eine Art Schablone - an den Rändern können wir uns als Leser*innen entlangtasten und Denkanstöße für unser eigenes Leben finden, annehmen, verwerfen, ausprobieren, weinen, lachen. Alles halt. Eine ähnliche Rolle hat auch die Musik von Nick Cave. Die Fans werden es wissen, andere brauchen noch ein bisschen und wenn nicht, dann nehmt dieses folgende Zitat als einen möglichen Wert an für die Vermessung eines Lieblingsliedes oder Lieblingsalbums, egal ob aus der Feder von Nick Cave oder jemandem anderen.

An einer Stelle im Gespräch meint Nick Cave nämlich: „Ich hoffe, dass die Leute die Songs hören und dabei auf eine Zeile oder einen Vers stoßen, der etwas mit ihnen macht, spirituell und unerklärlicherweise. Ich glaube, dass eine instinktive, rätselhafte Verbindung einen tieferen Einfluss auf die Psyche des Zuhörers haben kann. Es scheint, als würde eine andere Verbindung mit dem Zuhörer entstehen, als wären wir über den Song und seine implizite Bedeutung gemeinsam gestolpert. Es fühlt sich wie eine Entdeckung an, die man teilt und die verbindet, wodurch dieser erhabene und verblüffende Moment zwischen Künstler und Zuhörer entsteht. Ich hoffe zumindest, dass es so ist!“

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