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ROBERT ROTIFER

Rache an den Superreichen

In Filmen und Serien reflektiert sich die Moral der krisengeschüttelten 2020er: Die Superreichen erhalten ihre gerechte Strafe. Aber sind „The Menu“, „White Lotus“, „Glass Onion“ oder „Triangle of Sadness“ mehr als bloß Hofnarrenstücke der Gegenwart?

Von Robert Rotifer

Spoilerwarnung gleich vorweg an alle, die „The Menu“, „White Lotus“, „Triangle of Sadness“ oder „Glass Onion“ noch nicht gesehen haben: Ich komme ohne Referenzen auf deren jeweiligen Ausgang nicht aus, gleich im nächsten Absatz.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Daher hier noch eine extra Zeile Barriere.

Bevor ihr weiterscrollt.

Okay, wir sind unter uns.

Ich muss zugeben, im Nachhinein verschwimmen sie alle: Die Seekrankheitsszene und der Überfall auf den Luxuskreuzer, die Explosion des Inselrestaurants, die klirrenden Glasstatuetten und Edward Nortons zerdepperter Porsche, das Gemetzel auf der Yacht in Sizilien oder die Rezeptionistenscheiße im Koffer des Oberwiderlings auf Hawaii.

Ist auch nicht so wichtig, denn im Prinzip bestehen all die Serien und Filme, auf die ich mich hier beziehe, ja aus dem selben Stoff. Und solche Synchronität ist natürlich nie zufällig, schon gar nicht in der Popkultur.

Sicher, endloser Reichtum war immer schon ein beliebtes Plot-Werkzeug der Drehbuchschreiber*innen (bzw. überhaupt der Autor*innen, fragt einmal Charles Dickens). Eine magische Zutat, die zauberhafte Happy Ends ermöglicht.

Aber die Darstellung des Reichtums als moralisches Problem bzw. die Bestrafung der Todsünde der Völlerei, die gehörte bis vor kurzem eigentlich nicht unbedingt so sehr zum Standardrepertoire einer gelungenen Abendunterhaltung.

Da versucht die Film- und TV-Industrie offenbar ein gesteigertes Bedürfnis zu befriedigen, da liegt eindeutig was in der Luft.

Doch bevor ich mich gleich mit meiner ersten Schnellschussthese zur neuen Kapitalismuskritik im Kino zufrieden gab, ließ ich vor siebzehn Tagen (damals hatte ich „White Lotus“ noch nicht gesehen) folgenden Tweet als Testballon in die Welt hinaus fliegen:

Bzw. diesen identischen Toot. Als Service übersetzt (mangelhaft, weil „trope“ und „comeuppance“ keine richtigen, deutschen Entsprechungen haben, aber dieses Nuancen-Problem teile ich ja offenbar mit den Synchronfassungen erwähnter Filme und Serien):

„Ehrliche Frage, auf das Risiko hin, blöd auszusehen: Seit ich Glass Onion, The Menu, Triangle of Sadness gesehen und von White Lotus gelesen habe, frage ich mich: Gibt es irgendwo da draußen einen guten Text, der das derzeit beliebte Thema verblödeter Reicher analysiert, denen ihre wohlverdiente Strafe zuteil wird? Links und Hinweise willkommen.“

Obwohl meine followers erwiesenermaßen die klügsten Menschen überhaupt sind, war die Ernte dieses Aufrufs einerseits relativ dürftig (drei Hinweise insgesamt), andererseits in ihrer Bescheidenheit dann doch auch aufschlussreich.

Da war einmal @jackhutton@mstdn.social, der mir als historischen Vorgänger aus dem Jahr 1932 den oscarprämierten Film „Grand Hotel“ ans Herz legte, „arguably better than all of them“ (na was sonst!). Mit Greta Garbo und Joan Crawford, spielt in Berlin, basierend auf der Romanvorlage von Vicki Baums „Menschen im Hotel“. Schändlicherweise hab ich das Buch nie gelesen, den Film nie gesehen*, aber eine Themenverwandtschaft wäre einmal grundsätzlich nicht unschlüssig, fiel diese Darstellung vermögender Hotelgäste doch genau in die Zeit der heutigen Zuständen nicht ganz unverwandten, großen Depression.

Da war weiters, empfohlen von @sauer_lauwarm (Danke!) via @groebchen (Danke!) der an Referenzen reiche Text eines Tom Beckman von der New Yorker Marketingfirma Weber Shandwick, der einerseits einsichtig erklärt, warum wir im derzeitigen ökonomischen Klima der bedrohlich steigenden Lebenskosten die abgehobenen Superreichen als die Bösen dargestellt sehen wollen, andererseits diese hochpolitische Sehnsucht erst recht wieder zynisch als Ansatzpunkt für die Werbewirtschaft verkauft.

Der Clou liegt dabei weniger in der, übrigens eine alte, schon 1987 als Filmtitel verwendete Stehphrase zitierenden Überschrift „Why ‘eat the rich’ will be the dominant creative narrative of 2023“ als in der verräterischen URL der Story: „eat-the-rich-is-the-dominant-creative-narrative-for-advertising“.

Als Werbefutzi soll man das also lesen und sich denken: Obacht vor dem Zeitgeist, der Kino-Clip von vorletzten Weihnachten mit Beyoncé und Jay-Z, wo sie De-Beers-Diamanten mit Darstellung ihres hyperluxuriösen Lebensstils samt Maybach-Limo bewarben, könnte dieser Tage ganz schlecht kommen.

„Heute“, schreibt Beckman, „sind die Reichen in ihrer Losgelöstheit von der Wirklichkeit die Bösewichte. Sie werden von schweren Zeiten nicht berührt, ganz im Gegenteil, die Luxusindustrie sagt für das kommende Jahr ein signifikantes Wachstum voraus. Aber außerhalb dieser Nischenindustrie verwandelt sich der Amerikanische Traum in einen immer schwerer erreichbaren Mythos.“

Also: Die De-Beers-Werbung nicht mehr im Kino zeigen, sondern für so Nischenmedien wie die „How To Spend It“-Beilage der Financial Times aufheben, deren im kontemporären Zusammenhang allzu offensichtlich obszöner Titel übrigens im vergangenen Jahr auf das Akronym HTSI verkürzt, Verzeihung, „modernisiert“ wurde.

Beckman beschreibt in seinem Artikel das stetige Abnehmen des Wohlstands von einer Generation von US-Amerikaner*innen zur nächsten, den materiellen Niedergang einst satter Gesellschaftsschichten, „und plötzlich braucht das ganze Medien- und Marketing-Universum, das darauf ausgerichtet war, die Middle Class und ihre Träume anzusprechen, eine neue Spielanleitung: Von der Bourgeoisie zur Post-Bourgeoisie.“ Der Mythos eines besseren Lebens sei nicht mehr glaubhaft, „es gibt kein Verlangen nach diesen Ideen. Die hochpolierten Aufstiegsmärchen der Marken wurden für eine Mittelklasse erfunden, die sich in der Welt nach oben bewegte, nicht für die 99 Prozent, die in der großen Kluft fest sitzen.“ In dieser Rezession, so der Schluss Beckmans, „werden die Leute und die Marken den sozialen Realismus zelebrieren – das ist die größte Story unserer Zeit.“

In eine ähnliche Kerbe schlägt der mir von @OsaFeisty_ (thanks!) verlinkte Substack-Artikel „The other vibe shift“ der Soziologin Ana Andjelic, die – so wie ich das verstanden hab – ebenfalls ihre Forschung zum Thema „aspiration“ (soziales Aufwärtsstreben) dazu nützt, Marken beim Konsument*innenfang zu beraten. Die Unter-Überschrift ihres Artikels, der übrigens sehr richtig den südkoreanischen Film „Parasite“ als Prototyp der oben beschriebenen Welle an filmischen Zerstörungsorgien in Luxusszenarien identifiziert, ist bezeichnenderweise: „The court jester era“ - die Hofnarrenphase.

Sie schreibt: „Die hier repräsentierte aspiration ist, dass wir die Reichen, wenn wir sie schon nicht schlagen, dann doch wenigstens veräppeln, austricksen, überlisten und als gewöhnliche Menschen entlarven können. Dieser Vibe-Shift ist nicht der revolutionären Art; er ist existentieller Natur. Das System ist ein Spiel; dieses Spiel mag unfair sein, aber die Regeln sind arbiträr; alles ist erfunden, also warum nicht Spaß damit haben? Ein Underdog zu sein garantiert keinen Sieg. Auszusteigen auch nicht. Wir sind in der Hofnarrenphase. Alles, was wir tun können, ist die Wahrheit in Form eines Witzes zu erzählen.“

Es wird Leser*innen meiner Texte hier wenig wundern, wenn ich Andjelic im Kern des Obigen widerspreche: Die „unfairen“ Regeln, nach denen sich der Reichtum verteilt, sind natürlich nicht „arbiträr“, sie wurden, wie Nesrine Malik in ihrer jüngsten Guardian-Kolumne sehr schön erklärt von einem korrupten System den Bedürfnissen der Superreichen gerecht erschaffen.

Der Reichtum des obersten Prozents der Weltbevölkerung, schreibt Malik unter Berufung auf die jeder antikapitalistischen Tendenz unverdächtige Quelle CNN Business sei in den „Roaring Twenties“ der Pandemieperiode von 50 Prozent auf zwei Drittel des globalen Privatvermögens, in absoluten Zahlen auf 26 Billionen Dollar (Englisch „26 trillion“) gestiegen.

„Spaß“ (Andjelic) ist das, gerade angesichts der im selben Zeitraum gestiegenen Armut unter großen Teilen der verbleibenden 99 Prozent, eigentlich keiner.

Es gibt in allen hier genannten Filmen und Serien Momente, wo das Unrecht dieser Ungleichheit ernsthaft angesprochen wird: Der entwürdigende Arbeitsalltag der Bediensteten in „Triangle of Sadness“ oder „Parasite“, das gedemütigte Küchenpersonal in „The Menu“, die schwangere Hotelangestellte und die zu Kompliz*innen einer spotthaften Exotisierung der eigenen verdrängten Kultur verdammten Hawaiianer*innen in „White Lotus“, zu einem vielleicht geringeren Grad auch die beiden als oberflächlich unbekümmert dargestellten Prostituierten in der zweiten Staffel derselben Serie.

Demgegenüber steht Daniel Craigs Monolog in „Glass Onion“, in dem er den Musk/Bezos/Zuckerberg-Mythos des Superreichen als Genie demontiert. Oder die „Balenciaga... H&M“-Szene der posierenden Models in „Triangle...“, die uns zu einem skeptischen Blick auf die Heuchelei der Werbewirtschaft einlädt.

Aber, und da hat Andjelic wohl leider recht, Autor/Regisseur Ruben Östlund tut letzteres tatsächlich nicht als Revolutionär, sondern im Stil des Hofnarren, der mit seinem Spott die Souveränität des Herrschers über den Umweg der ihm erteilten Gnade in Wahrheit nicht in Frage stellt, sondern vielmehr affirmiert.

Denn genau wie Bong Joon-Ho („Parasite“), Mike White („White Lotus“), Mark Mylod, Seth Reiss und Will Tracy („The Menu“) oder Rian Johnson („Glass Onion“, „Knives Out“), zeigt uns auch Östlund in hochästhetisierter, begehrlich pornographischer Bildsprache die schimmernden Früchte des Reichtums, bevor er sie zeremoniell zertrümmert.

Die Objekte der „aspiration“ bleiben trotz ihrer demonstrativen Entweihung immer noch begehrenswert, und wo „The Menu“ die kulinarischen Genüsse der Reichen als lustfernen Prestigefraß bloßstellt, erhebt es wiederum – frei nach dem Ratatouille der kochenden Ratte in äh... „Ratatouille“, das den bösen Kritiker zum Guten bekehrt – den WIRKLICH GUTEN EINFACHEN BURGER zur Speise im Mund der Gerechten (Anya Taylor-Joy).

Wie überhaupt „The Menu“ als Plädoyer für Rechtschaffenheit und einfache Freuden in dieser Runde hier die biederste Version der Rache an den Reichen anbietet. Die differenzierteste, einfühlsamste dagegen vermittelt wohl „White Lotus“.

So differenziertest und einfühlsamst, dass man zum Beispiel vor lauter Mitleid mit Jennifer Coolidge glatt vergisst, dass die von ihr verkörperte schwerreiche Witwe ihre Assistentin in der zweiten bzw. die Masseuse in der ersten Staffel ja auf eigentlich unverzeihliche Weise wie Leibeigene behandelt.

Keine Frage, diese ersten, emblematisch moralischen Parabeln der großen Ära der Lebenshaltungskostenkrisen der 2020er (noch viele werden ihnen folgen) verbringen weite Strecken ihrer vermeintlich ikonoklastischen Spieldauer damit, uns Empathie für superreiche Arschlöcher zu entlocken.

Und sie tun das ausgerechnet auf Plattformen (allen voran Prime), die in den Händen genau jener Superreichen sind, über die wir hier zu lachen glauben („Dabei lachen sie über uns“, darf jede*r Spaßverderber*in hinzufügen. „Ja eh“, dürfen wir antworten).

Und trotzdem ist es unter all diesen Produkten der avancierten Werbewirtschaft deren vermutlich sanfteste, nachgiebigste, hofnärrischste Version, nämlich „White Lotus“, in der inhaltlich und emotional die meiste Substanz steckt. So wie’s das immer wieder spielt mit der problematischen Kunst, verdammt noch einmal. Also her mit der dritten Staffel, solang’s für den rachsüchtigen Pöbel noch Strom zum Fernsehen gibt.

*PS Korrektur: Hab den Film nun seit Posten dieser Story letzte Nacht gesehen, ist tatsächlich großartig, und ja, es gibt gewisse Parallelen, vor allem zu „White Lotus“. Entgegen gestriger Fassung dieser Story spielt er nicht in Wien, das habe ich korrigiert.

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