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Der Millionär im Altersheim

Herr Gamhor ist nur mit der Kleidung auf seinem Leib nach Österreich gekommen. Geboren wurde er in Palästina, als es ein solches Land noch gar nicht gegeben hat.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

„Ich kam aus Nirgendwo und war Niemand und konnte die deutsche Sprache nicht. Damals war es nicht wie heutzutage, wo alle Englisch sprechen“, erzählt Herr Gamhor. Ich frage ihn, ob er denn Englisch konnte. „Nein, konnte ich auch nicht“, sagt er und lacht, „ich konnte nur zwei Wörter: Bubblegum und noch ein zweites, wo ich mich schäme, es zu sagen“. Ich bestehe darauf, dass er es mir sagt. „Love“, sagt der 83-jährige Herr Gamhor.

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Alle sprechen ehrfürchtig mit ihm. Ich sage bai Gamhor zu ihm. Die bulgarische Anrede bai stammt aus dem osmanischen bey, was so was wie „Herr“ bedeutet und womit ganz wichtige Menschen angesprochen werden. „Bai Gamhor“ findet er sehr lustig. Er nennt mich hingegen „bai Todor“.

Bai Gamhor mag es, mir zu erzählen, wie er aus dem Nichts kam und nichts hatte. Er lernte Deutsch in den Hinterhöfen, während er den Mist ausgetragen hat. Er lernte Deutsch, während er Teller wusch und Karotten schälte. „Wenn man alle Karotten nimmt, die ich geschält habe, dann werden sie von hier bis zum Fluss Euphrates reichen“, sagt er. Bai Gamhor war geschickt und konnte leicht jede technische Tätigkeit erledigen. Somit stieg er langsam auf. Anfangs Junge für alles auf Baustellen, irgendwann Baumeister. Irgendwann verkaufte er Fertighäuser. Er sagt, die Inspiration dazu kriegte er vom nomadischen Lebensstil seiner Vorfahren. Bai Gamhor wurde Fertighausfabrikant und Millionär. Heute ist er im Altersheim.

Während wir sitzen, gesellt sich Herr Hausner zu uns. Er hingegen ist ein Urwiener mit Heroinvergangenheit, der sein ganzes Leben lang auf Sozialhilfe angewiesen war und somit ein beinharter Sozialist. Der kapitalistische Palästinenser und der Wiener Sozialist sind Nachbarn im Altersheim. Sie setzen sich nebeneinander und schauen sich die Raben auf den Bäumen im Hof an. Und die Raben krächzen ihnen entgegen.

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