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Johanna Mikl-Leitner

APA/HELMUT FOHRINGER

Was ist da gestern in Niederösterreich passiert?

Bei der Landtagswahl in Niederösterreich hat die ÖVP mit 39,9 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis seit 1945 eingefahren und verliert damit auch die Mandatsmehrheit im Landtag. Die FPÖ erreicht mit 24,2 Prozent Platz zwei und ihr mit Abstand bestes Ergebnis. Politikwissenschafterin und Meinungsforscherin Eva Zeglovits analysiert das Ergebnis.

Von Lena Raffetseder

Radio FM4: Es ist das historisch schlechteste Ergebnis für die ÖVP in Niederösterreich. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat das mit einer Protestwelle erklärt, die auch vor Niederösterreich nicht Halt gemacht hätte. Wo sehen Sie als Meinungsforscherin Gründe für dieses Minus von zehn Prozentpunkten bei der ÖVP?

Eva Zeglovits: Die Wählerinnen und Wähler, nicht nur in Niederösterreich, haben jetzt mehrere Jahre lang eine Krise nach der anderen erlebt und sind in einem hohen Ausmaß unzufrieden mit der Politik an sich. Das macht auch vor Niederösterreich nicht halt. Insofern ist das Argument der Protestwelle natürlich richtig. Aber die Protestwelle kommt ja für die ÖVP nicht aus dem Nichts, sondern die ist schon auch hausgemacht.

Inwiefern hat da der Bund mitgespielt und inwiefern ist es hausgemacht von der ÖVP in Niederösterreich?

Es ist ja nicht so, dass die Bundespolitik und die ÖVP Niederösterreich zwei völlig voneinander unabhängige Einheiten sind. Die niederösterreichische Volkspartei ist ja schon personell in der Bundesregierung stark vertreten, und ich halte es daher für nicht ganz zulässig, dass man hier so tut, als wäre die Bundespolitik etwas anderes von außen, wo man keinen Einfluss gehabt hätte.

Die FPÖ legt stark zu Platz zwei mit 24,2 Prozent. Wovon hat denn die FPÖ profitiert?

Also die FPÖ profitiert immer vom Thema Zuwanderung, egal in welcher Form es auftaucht. Wir hatten das Thema in den letzten drei Jahren eigentlich nur sehr wenig sichtbar, das hat sich aber im Herbst geändert, wo das wieder sehr stark hochgekocht ist. Wir erinnern uns an Zelte für Asylwerber etc. Die ÖVP hat hier sicher das Thema auch mit groß gemacht, nur ist es mittlerweile so, dass das Thema Zuwanderung einfach wieder am stärksten von der FPÖ bedient wird und die deshalb auch am meisten profitiert. Es war nur für einen relativ überschaubaren Zeitraum unter Kanzler Sebastian Kurz so, dass die ÖVP vom Thema Zuwanderung so stark profitieren hat können. Das ist jetzt nicht mehr so. Und wenn die ÖVP dazu beiträgt, das Thema zu pushen, dann muss sie damit rechnen, dass sie damit der FPÖ Stimmen zutreibt. Wir sehen auch in der Wählerstromanalyse, dass sehr viele ÖVP-Wählerinnen und -Wähler von der letzten Landtagswahl zu den Freiheitlichen gewechselt haben. Und da hat das Thema Zuwanderung sicher das seinige dazu beigetragen.

Eva Zeglovits

Fotostudio Wilke

Eva Zeglovits ist eine österreichische Politikwissenschafterin und Meinungsforscherin.

Spielt das Thema Corona und eine Unzufriedenheit mit dem Pandemiemanagement noch rein in die Wahlentscheidung?

Also die Coronapolitik hat jetzt sicher überhaupt nicht mehr den Stellenwert, den sie vor einem Jahr gehabt hätte. Wenn wir uns die Themen anschauen, die den Menschen Sorgen bereiten, da ist das Corona-Thema fast schon verschwunden. Aber die Coronapolitik hat eben in Summe auch dazu beigetragen, dass die Menschen in Österreich - und auch in Niederösterreich - den Eindruck haben: Da passieren Krisen und die Politik löst die nicht in ihrem Sinne. Ich würde sagen, das ist kein wahnsinnig brennendes Thema, aber eines, das viel dazu beiträgt, dass es diese Unzufriedenheit mit der Politik in Summe gibt.

Wenn man sich die Wahltagsbefragungen anschaut: Wenn jetzt nur über 60-jährige gewählt hätten, hätte die ÖVP immer noch eine absolute Mehrheit. Was kann man denn über die Präferenzen der unter 30-jährigen sagen?

Also bei den unter 30-jährigen sieht man in den Wahltagsbefragungen, dass dort die ÖVP und die Freiheitlichen ungefähr gleich stark sind und die ÖVP deutlich unter ihrem durchschnittlichen Ergebnis liegt. Die ÖVP hat einen sehr starken Altersunterschied im Ergebnis. Je älter, desto mehr ÖVP-Stimmen, kann man etwas vereinfacht sagen. Bei den jungen Menschen ist die Themenlage nicht ganz anders als in anderen Altersgruppen. Dominierende Themen sind die Teuerung, der Klimawandel, auch das Thema Zuwanderung. Bei den unter 30-jährigen sticht das Thema der Inflation und der steigenden Preise noch deutlicher hervor. Das Thema Wohnen ist dort zum Beispiel auch relevant. Insofern ist hier die ganze Thematik der Preissteigerungen und der Ausgaben fürs Leben besonders wichtig.

Es gibt eine geschwächte ÖVP und eine gestärkte FPÖ, was bedeutet das denn jetzt für Niederösterreich?

In Niederösterreich wird die Regierung ja durch den sogenannten Proporz gebildet. Das heißt, die Anzahl der Mandate im Landtag bestimmt, wer wie viele Personen in die Regierung entsenden kann. Da werden die ÖVP, die FPÖ und die SPÖ vertreten sein. Da können sich also nicht so wie im Bund zwei Parteien aussuchen, wer jetzt mit wem die Regierung bildet, sondern die drei Parteien sind drinnen. Das heißt, die ÖVP muss im Grunde entweder mit den Freiheitlichen oder mit der SPÖ in irgendeine Form von Übereinkunft finden, damit sie in der Landesregierung auch eine Mehrheit hat. Jetzt haben die Freiheitlichen aber schon gesagt, mit der ÖVP wollen sie nicht zusammenarbeiten. Damit bleibt eigentlich nur die SPÖ übrig, die das nicht ausgeschlossen hat. Das ist aber schwierig, weil das dann für die Wählerinnen und Wähler in Hinblick auf die nächste Wahl heißt: Es haben wieder die zusammengearbeitet, die verloren haben, die eigentlich abgewählt worden wären. Und damit ist es wahrscheinlich politisch schwierig, dass man eine Regierung erzielt, die eine besonders große Unterstützung hat.

Wichtige Themen waren eben Inflation, Zuwanderung, also eigentlich Themen, die jetzt nicht auf Landesebene entschieden werden, was bedeutet denn diese Niederösterreich-Wahl für den Bund?

Die Themenlage ist eine, die natürlich stark von der Bundespolitik mitbestimmt wird oder wo die Bundespolitik viel tun kann oder muss. Und ich denke, diese Unzufriedenheit, die sich jetzt im Wahlergebnis niederschlägt, wird im Bund nicht spurlos vorbeigehen. Vor allem die ÖVP wird sich hier Gedanken machen müssen, was sie tun kann, damit sie wieder mehr Unterstützung bekommt. Die bundesweiten Umfragen sehen ja die ÖVP im Moment auch relativ schwach und zum Teil hinter den Freiheitlichen. Ich gehe davon aus, dass es jetzt hier eine Diskussion geben wird, was man im Bund anders machen kann. Man muss aber auch dazu sagen, dass viele dieser Themen schon auch landespolitisch ihre Relevanz haben. Also wenn man zum Beispiel an das Zuwanderungs-Thema denkt mit der Betreuung oder der Integration von Asylwerberinnen und Asylwerbern, da ist es ja sehr bezeichnend, dass genau in der Stadt Traiskirchen, wo sehr viele Asylsuchende untergebracht sind, die SPÖ gewonnen hat.

Jetzt hat es immer wieder geheißen, es wird mal diese Wahl in Niederösterreich abgewartet, bevor dann wieder irgendwelche Themen in der Bundespolitik aufgemacht werden. Traut man sich jetzt vielleicht bundespolitisch an Themen ran, die man abgewartet hat, wie zum Beispiel das Klimaschutzgesetz?

Ich denke, der Bund muss vom Reagieren ins Gestalten übergehen. Wir haben jetzt sehr viele Krisen hintereinander gehabt, die auch immer noch eine große Auswirkung auf Österreich haben. Und es bleibt bei vielen Wählerinnen und Wählern das Gefühl, dass die Politik nur reagiert, aber nicht gestaltet. Ich glaube, es ist die größte Herausforderung, dass hier wieder ein stärkeres gestalterisches Element zu tragen kommt, egal in welchem Politikfeld. Am Beispiel Klimaschutz kann man sicher sagen: Das ist, wie die Befragung gezeigt hat, auch in Niederösterreich das zweitwichtigste Thema oder das am zweitmeisten diskutierte Thema gewesen. Als Wahlmotiv ist es bei den Grünen natürlich das stärkste Motiv gewesen. Das Thema an sich ist sehr präsent. Und hier gibt es sicher für die Bundespolitik eine Herausforderung, das Thema anzugehen und zu zeigen, in welche Richtung man das lenken möchte.

Schauen wir in die Zukunft: Zwei Landtagswahl stehen demnächst an, in Kärnten und in Salzburg. Welche Schlüsse müssen die Parteien da ziehen?

Ich nehme an, dass da die Nerven jetzt doch eher blank liegen. Dieses Muster - die ÖVP verliert, die Freiheitlichen gewinnen und die SPÖ kommt nicht so recht vom Fleck, Grüne und Neos haben leichte Zugewinne - das ist etwas, wo man bei den nächsten Landtagswahlen genau schauen wird, ob sich das fortsetzt oder ob das tatsächlich Einzelfälle sind in Tirol und in Niederösterreich. Ich gehe davon aus, dass vor allem die ÖVP mit Argusaugen drauf schauen wird, was sich bei den nächsten Landtagswahlen tut.

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