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Sam Smith

Michael Bailey Gates

Sam Smith ist „not here to make friends!“

Sam Smith steht für Selbst-Akzeptanz, Liebe und herrliche Lebensfreude. Mit „Unholy“, der ersten Single des vierten eben erschienenen Albums „Gloria“ hat Sam Smith das Schwarzweiß-Sakko gegen Gold und Glitzer eingetauscht. Nicht allen Menschen mit Internetanschluss gefällt das.

Von Susi Ondrušová

Vor zehn Jahren ist das erste Mal eine breite Öffentlichkeit auf die Stimmbänder von Sam Smith aus London aufmerksam geworden. „Now I’ve got you in my space. I won’t let go of you“, singt Sam Smith im Disclosure-Hit „Latch“. Sam ist im Chor groß geworden und hat Jazzgesang studiert; heute zählt Sam Smith mit vier Grammys und einem Oscar für den Bond-Song „Writing’s On The Wall“ zu den großen Pop-Superstars. Pop steht hier für Wandelbarkeit.

Bei „Gloria“ denkt Sam Smith an die Mutter, erzählt Sam lachend bei Graham Norton im Interview. Das Album handelt von „spiritual, emotional and sexual liberation.” Dramaturgisch ist das Album wie eine 7-Tage-Woche aufgebaut. Montag: Lass uns mit den besten Vorsätzen in die Woche starten: „Maybe I am learning how to love me more“, es werden Sehnsüchte thematisiert, niemand möchte verlassen werden, alle möchten gesehen und geliebt werden. Es geht um Akzeptanz, die bei einem selbst beginnt, also singt Sam Smith „I’m not perfect but I’m worth it“. Bei „Unholy“ nähern wir uns dem Wochenende: Einkaufen? „Give me Fendi, my Balenciaga daddy.“ Moment: JAAAA, es geht um kompromisslose Lebenslust. Ein Duett mit der deutschen Trans-Sängerin Kim Petras. Bei “Gimme” hören wir Koffee und Jessie Reyez an den Vocals.

Den Song “I’m Not Here To Make Friends” hat der EDM-Meister Calvin Harris für den Tanzfloor poliert, zu glänzen beginnt der Song schon, bevor der erste Beat einschlägt: Im Intro hören wir die unverkennbare Stimme von RuPaul „If you can’t love yourself. How in the hell you goin to love somebody else?“

Erwachsenwerden heißt eben nicht, ein Rezept für Spaghetti Carbonara perfektioniert zu haben oder ein Bügeleisen zu besitzen, sondern sich selbst zu akzeptieren und zu lieben. Für sich selbst einzustehen und mit dieser strahlenden Selbsterkenntnis erhobenen Hauptes von A nach B zu gehen. Eine Hand oder zwei auszustrecken, um an einem Ruhetag, dem Sonntag also, sagen zu können „It’s not wrong to want the world for someone. We love who we love.“ Sam Smith, nonbinary Pop-Star im Duett mit dem Vorzeige-Schmusesänger Ed Sheeran.

Sam Smith

Michael Bailey Gates

Im Jänner ist Sam Smith bei Saturday Night Live aufgetreten und hat „Unholy“ live performt. Auf die dramatische Art und Weise, denn mitten im Song kommen zwei Tänzerinnen auf die Bühne, reichen Sam Smith einen Zylinder-Hut mit Teufelshörnern und heben den Kleider-Rock hoch: die Co-Sängerin Kim Petras tritt in Erscheinung. Wow. Das gleiche Outfit trägt Sam Smith im Video zum neuen Song „I’m not here to make friends“. Ein Helikopter landet vor einem Schloss, wo Sam Smith umgeben von Party People die 2023er-Hymne performt. Es gibt nackte Haut zu sehen, Arschmuskeln in Hot Pants mit herzförmigem Ausschnitt. Perlenbehangene Korsette. Nippelbedeckungen für alle.

In goldenem Umhang reitet Sam Smith auf einem Luster. Es fließt Champagner. Es fliegen laszive Blicke. Im Video wird gefeiert, aber die Lebenslust dieser Party-Gesellschaft überträgt sich anscheinend schlecht im Internet. Vorsicht! Die glamouröse Wandlung des Sam Smith ist also ein Gesprächsthema, weil jemand statt mit Dackelblick Herzschmerz-Balladen zu singen jetzt in High Heels auf einem Luster schwebt. Und das alles in einer Konfektionsgröße, die nicht dem Schönheitsideal aus dem Schaufenster entspricht! Ja, es braucht auch 2023 nicht viel, um Menschen mit 5G-Empfang auf ihren moralischen „feel superiour“ Social Media Accounts alle wissen zu lassen: das ist obszön! Es braucht eine Altersbeschränkung beim Video!! HALLO!!!1

Live ist Sam Smith in Österreich am 18. Mai 2023 in der Wiener Stadthalle zu sehen.

Ein non-binärer Star mit Hüften veröffentlicht ein Album, das von „spiritual, emotional und sexual liberation“ handelt und setzt das visuell auch um. Weil das in dieser Star-Größenordnung nicht jeden Tag passiert, weil man sexuelle Lust in Popmusik hauptsächlich von Cis/Hetero/Artists in XS-Unterwäsche vorgetragen bekommen hat, herrscht bei manchen User*innen mit Internetanschluss Aufregung. NSFW-Disclaimer gibt es bei WAP von Cardi B und Megan Thee Stallion nämlich nicht. Miley Cyrus in Wrecking Ball? Harry Styles in Watermelon Sugar? Alles lasziv und schön. Und Sam Smith? Wunderschön. Punkt. Postings und Internetleben ist das eine, aber im Interview spricht Sam Smith auch von transphoben Anfeindungen und Bodyshaming-Kommentaren auf offener Straße in deren Heimatstadt London. Für den eigenen Safe Space zu kämpfen und über Selbstakzeptanz zu singen, aber dann im Alltag mit Hass konfrontiert zu werden, das stimmt Sam Smith nachdenklich.

Die Schauspielerin und Aktivistin Jameela Jamil hat die Doppelmoral rund um diese Diskussion gut auf den Punkt gebracht:

Also: hören wir doch alle besser hin. Wenn Lizzo in „Truth Hurts“ singt “I just took a DNA test, turns out I´m 100% that bitch” oder wenn Sam Smith in “Perfect” singt “I´m not perfect but I´m worth it” oder in “I´m not here to make friends”, wenn es heißt: “I am a blessing of a body to love on.”

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