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„Decision To Leave“: Liebe, Tod und unerfüllte Sehnsüchte

Mit früheren Filmen wie „Old Boy“ etablierte sich der Regisseur Park Chan-wook als Provokateur des koreanischen Kinos. In seinem neuen Werk gibt er sich zurückhaltend. Aber keineswegs schmerzfrei.

Von Christian Fuchs

Ein Mann wird tot am Fuß einer Bergklippe gefunden, die Polizei glaubt nicht an einen Unfall. Der zuständige Ermittler befragt die Frau des Verstorbenen, deren Reaktion ist kühl und abweisend. Der Kriminalbeamte Hae-joon (Park Hae-il) will aber mehr wissen. Bald stellt sich heraus, dass die chinesische Migrantin von ihrem koreanischen Ehemann äußerst schlecht behandelt wurde.

Aber die mysteriöse Seo-rae (Tang Wei) hat ein perfektes Alibi. Und auch wenn sie sich in Widersprüche verstrickt, können ihr die wenig anhaben. Denn Hae-joon, der zerstreut und verklemmt wirkende Detektiv, verliebt sich in die geheimnisvolle Witwe. Während er tief in den Fall eindringt, vertuscht er immer wieder auffällige Details.

„Sympathy For Mr. Vengeance“, „Oldboy“ und „Lady Vengeance“: Mit dieser eiskalten und verstörenden Rache-Trilogie wurde Park Chan-Wook in den Nullerjahren zu einem Starregisseur des südkoreanischen Kinos. Nach seinem eigenwilligen US-Debüt „Stoker“ und einer Fernsehserie mit Florence Pugh („Die Libelle“) kehrte der Filmemacher in sein Heimatland zurück. „Decision To Leave“, deutsch „Die Frau im Nebel“, heißt sein neuer Film, eine preisgekrönte Mischung aus Thriller, Liebesgeschichte und Tragödie.

Hört man nur eine vage Inhaltsangabe dieses Films, könnte man dahinter einen klassischen Fernsehkrimi vermuten. Auch die Idee, dass sich ein ermittelnder Polizist in eine Mordverdächtige verknallt, kennt man aus „Tatort“ Episoden. „Decision To Leave", bei uns "Die Frau im Nebel“ betitelt, ist allerdings eine überaus raffinierte Neo-Noir-Romanze von Park Chan-wook, gemacht für die große Leinwand.

Still aus dem Film "Decision to Leave"

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Moralisch verbotene Gefühle

Wer die visuell verspielten und inhaltlich fordernden Werke des koreanischen Meisterregisseurs kennt, weiß: Sie sind Lichtjahre von einem TV-Thriller entfernt.

Spricht man Park Chan-wook in Interviews auf seine Einflüsse an, dann erzählt er von seiner Begeisterung für den amerikanischen Film Noir. Das macht Sinn, denn auch in der stockdüsteren Welt des Südkoreaners wimmelt es vor gefährlichen Kriminellen, lasziven Femme Fatales und schwerkalibrigen Waffen. Aber gegen einige von Parks Streifen wirken selbst die dunkelsten Klassiker des Film Noir wie optimistisches Familienkino.

„Es gibt nur ganz wenige Filme, die von Hass und Rache aufrichtig erzählen“, erklärt Park Chan-wook einmal einem Journalisten. „Diese Gefühle empfindet doch jeder einmal, trotzdem ist es moralisch verboten, sich dazu zu bekennen“, meint der Regisseur. „Wenn ein Mensch die Lust hat, seine Rachegedanken rauszulassen, dann gibt es kein Ventil dafür. Es brodelt also nur in deinen Gedanken herum. Du wirst krank, wenn du das immer runterschluckst. Vielleicht lasse ich diese Gefühle in meinen Filmen raus.“

Still aus dem Film "Decision to Leave"

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Zorn und Wut in Comic-Einstellungen

Lange Zeit kreisen die Filme von Park Chan-wook um diese extremen Emotionen. Vor allem in der Manga-Adaption „Oldboy“, dem Kernstück seiner Vengeance-Trilogie, verpackt er 2004 den Zorn und die Wut in comichaft stilisierte Einstellungen.

15 Jahre verbringt darin das Entführungsopfer Oh Dae-Su in absoluter Isolation, nur der Drang nach Rache hält ihn am Leben. Eines Tages wacht der gequälte Mann plötzlich in Freiheit auf, von seinen Peinigern keine Spur. Eine einsame Odyssee beginnt, die Oh Dae-Su in die Abgründe der Unterwelt führt, eine Reise ans Ende der Finsternis ist das, bei der lebende Meerestiere verspeist werden, Knochen zersplittern, Blut in Strömen spritzt.

„Oldboy“ ist aber keine dumpfe Gewaltorgie. Park Chan-wooks preisgekröntes Meisterwerk wirkt wie eine moderne Antwort auf antike Tragödien, verpackt in einen Thriller mit perversen Hintertüren.

Still aus dem Film "Oldboy"

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Unzählige Details und Twists

Jetzt ist Park in seiner künstlerischen Entwicklung, die ihn über verstörendes Rachekino zu romantischen Komödien mit Dachschaden führte („I’m A Cyborg, But That’s OK“) an einem neuen Punkt angekommen. Die heftige Plakativität fällt weg, stattdessen scheint Alfred Hitchcock für seinen neuen Film Pate gestanden zu sein.

Aber auch wenn er sich von der Hardcore-Härte und brachialen Brutalität seiner frühen Filme verabschiedet hat, bildgewaltig und pessimistisch ist auch „Decision To Leave“. Aus der stereotypen Ausgangsposition vieler Krimis macht der Koreaner ein vielschichtiges, komplexes, elegantes Epos über Liebe und Tod.

Still aus dem Film "Decision to Leave"

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Zwei Stunden und 20 Minuten dauert „Die Frau im Nebel“ und sie sind vollgepackt mit unzähligen verwirrenden Details und Twists. Irgendwann kristallisiert sich aus diesem Film der verstohlenen Blicke und Gesten ein todtrauriges Melodrama heraus. Was als Krimi begonnen hat, wird zu einer Meditation über eines der erdrückendsten Themen überhaupt: Unerfüllte Sehnsüchte und eine unausgelebte Liebe.

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