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Mann in einem Boot im Sonnenuntergang winkt (Silouette)

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Wie groß ist die Welt?

Todor trifft einen alten Klassenkollegen in Sri Lanka und hofft, ihn nie mehr wiedersehen zu müssen.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Vor einigen Jahren ging ich in Colombo, Sri Lanka spazieren. Ich hatte das Gefühl, am Ende der Welt und in kompletter Anonymität versunken zu sein. Da hörte ich eine Stimme: “Todoreee!“. Unter einer Palme saß mein Mitschüler aus der Volksschule, Ivan „der Kopf“. Ich hatte den Kopf das letzte Mal mit 12 getroffen. Der Kopf war bekannt dafür, ziemlich dumm zu sein, und sein Spitzname entstand aus dem Verdacht, dass er nichts im Kopf hätte.

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Dort saß er nun und winkte mir von seiner Palme aus zu. Ich weiß nicht, wie er mich erkannt hatte, denn ich hatte eine Sonnenbrille und einen Hut auf. Er kam auf mich zu, umarmte mich und klopfte mir auf die Schulter. „Du hast den gleichen dummen Blick wie in der Volksschule!“, sagte er und lächelte mich an. Ich weiß nicht, wie mein Blick in der Volksschule war, aber in seinen Erinnerungen bin ich so geblieben. Der Kopf war schon immer ein arroganter Typ. Er erzählte mir, dass er in Dubai lebt und eine Firma mit vielen Mitarbeitern besitzt. Danach schlug er vor, dass wir zur Feier unseres Treffens etwas trinken sollen. Ich sagte, dass ich ihn später anrufen würde mit der tiefsten Überzeugung, ihn nie mehr sehen zu wollen.

Ich habe mich neulich daran erinnert, als mich der Kopf in den sozialen Netzwerken aufgesucht und mir eine böse Nachricht geschickt hat, dass ich mich damals nicht bei ihm gemeldet habe. Ich erfand eine Ausrede und versicherte, mich ab jetzt bei ihm zu melden.

Ich bekam Angst, dass ich jetzt unbedingt mit Ivan, dem Kopf kommunizieren müsse, aber dann war ich beruhigt. Ich habe so viele Freunde in den sozialen Netzwerken und muss gar nicht mit ihnen reden. Das wäre ja gar nicht möglich, mit allen diesen Freunden im Kontakt zu bleiben. Ich kenne ihre Namen nicht, ihre Probleme, Sehnsüchte und Schmerzen noch weniger. Die Welt ist klein, nicht größer als unser Herz. Und ein Herz hat nicht genug Platz für die ganze Welt.

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