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„Morgen, morgen, und wieder morgen“ feiert Gameskultur

In diesem Coming-of-Age-Roman begleitet man eine Handvoll kluger Köpfe vom Kindheitsalter bis ins mittlere Erwachsenenleben. Durch die gesamte Erzählung zieht sich digitale Spielkultur als identitätsstiftendes Element und als Rettungsanker in den Wirrnissen und Schicksalen des Lebens.

Von Robert Glashüttner

„Morgen, morgen und wieder morgen“ versetzt uns in die USA der 90er Jahre zurück, nach Los Angeles, Kalifornien, und Boston, Massachusetts. Dort treffen sich zwei Studierende wieder, die das letzte Mal als Kinder Kontakt hatten. Sie sind beide seit jeher große Computerspielfans und beginnen bald schon, gemeinsam Games zu entwickeln. Der Roman begleitet seine Figuren von der Kindheit bis zum mittleren Alter und verneigt sich dabei durchgehend vor digitaler Spielkultur.

„Sie kniete sich neben ihn und sah ihm eine Weile beim Spielen zu. Er war gut – am Ende des Levels ließ er Mario oben auf der Spitze der Fahnenstange landen, was Sadie noch nie geschafft hatte.“

Gemeinsam Welten erschaffen

Cover von "Morgen, morgen, und wieder morgen" von Gabrielle Zevin, Die große Welle von Kanagawa im Hintergrund

Verlag Eichborn

„Morgen, morgen, und wieder morgen“ von Gabrielle Zevin, ist in der Übersetzung von Sonia Bonné beim Verlag Eichborn erschienen. Der 2022 im englischen Original erschienene Roman soll demnächst auch verfilmt werden.

Sadie und Sam lernen einander in einem Krankenhaus in Los Angeles kennen. Sams Bein wurde bei einem Autounfall zertrümmert, Sadie besucht ihre schwerkranke Schwester. Aus einer ersten Begegnung im Spielzimmer wird eine Freundschaft und einige Jahre später eine Arbeitspartnerschaft. Die Leidenschaft für Computerspiele und ihr sich bald entfaltendes, großes Talent fürs Programmieren und Weltenentwerfen führen sie auf einen gemeinsamen Lebensweg. Diese Beziehung gestaltet sich emotional ebenso intim wie schwierig. Auch bedingt durch die Außenseiterrollen der beiden Hauptfiguren wird bereits ihr erstes gemeinsames Game ein erzählerisch umfangreiches, melancholisches Werk.

„Das Kind wird aufs Meer hinausgeschwemmt, und damit beginnt das Spiel. Mit einem begrenzten Wortschatz sowie Eimer und Schaufel als einzigem Werkzeug muss Ichigo den Weg nach Hause finden.“

„Morgen, morgen, und wieder morgen“ begleitet seine Protagonist*innen – darunter auch Sams WG-Kollegen Marx – vor allem durch die späte Jugend und das frühe Erwachsenenleben. Freundschaft, Sex, Kränkung, Liebe, Freude, Verwirrung und Streit geben sich abwechselnd die Hand und vermengen sich immer wieder auch mit dem Kernthema Gameskultur, das sich prägnant durch den gesamten Roman zieht.

„Sadie hatte sich oft überlegt, dass Sex und Videospiele sehr viel gemeinsam haben. Es gibt bestimmte Ziele, die man erreichen muss, und bestimmte Regeln, die nicht gebrochen werden dürfen. Es gibt eine korrekte Kombination von Bewegungen – Tastendrücken, Joystick-Drehungen, Befehle -, von denen abhängt, ob die ganze Sache funktioniert oder nicht.“

Glaubwürdige Referenzen, tiefgehende Momente

Gabrielle Zevin (dunkle Locken, geringelter Pullover)

Hans Canosa

Gabrielle Zevin

Die Autorin Gabrielle Zevin ist selbst passionierte Computerspielerin und weiß, wovon sie schreibt. Man nimmt ihren Figuren die Games-Leidenschaft ab, die ihnen auch bei der Bewältigung der Herausforderungen des Lebens hilft – seien es zwischenmenschliche Alltagsbanalitäten, eindringliche Schicksalsschläge oder besorgniserregende Dynamiken.

„Die Hassnachrichten brachten Sam dazu, weitere politische Statements in ‚Mapleworld‘ unterzubringen. Dabei betrachtete er sie nicht als solche, sondern als einen Ausdruck von vernünftiger Amtsführung und als erstklassige Werbung. Schon bald war es im Spiel nicht mehr möglich, Waffen zu kaufen oder zu verkaufen.“

„Morgen, morgen und wieder morgen“ brilliert durch flüssige Erzählung, plastisch beschriebene Szenen und tiefgehende Momente. Gleichzeitig erkennt Gabrielle Zevin das vielseitige emotionale und identitätsstiftende Potenzial von Games und webt es geschickt in ihren rund 550 Seiten umfangreichen Roman ein. Der Titel ist einem bekannten Monolog von Shakespeares Macbeth entlehnt, den die Figuren im Buch als die Unsterblichkeit von Games-Charakteren paraphrasieren. Niemand ist je tot, sondern man startet einfach neu.

„‚Und ich dachte, du hättest Angst, ich könnte sterben.’
’Nein. Du wirst niemals sterben. Und falls doch, starte ich das Spiel einfach neu‘, sagte Sadie.
‚Sam ist tot. Wirf eine weitere Münze in den Automaten.’
’Geh zurück zum Speicherpunkt und spiel weiter. Irgendwann werden wir gewinnen.‘“

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