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Collage mit Stills aus "Swarm" und "Daisy Jones and the Six"

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SERIE

„Swarm“ und „Daisy Jones & The Six”: Die Abgründe des Musikbusiness

Die eine will keine Muse mehr sein, die andere wird als Fangirl zum Monster: Zwei US-Serien mit zentralen Frauenfiguren beleuchten die Schattenseiten des Pop.

Von Christian Fuchs

Musik-Biopics, da rollen viele Kritiker*innen zurecht längst mit den Augen. Es gibt, nicht erst seit dem Welterfolg von „Bohemian Rhapsody“, ein Standardschema für solche Filme. Die Wirklichkeit wird kondensiert, vereinfacht, übertrieben poppig dargestellt – und im Fall von Freddie Mercury & Co. auch auf frustrierende Weise verharmlost.

Daisy Jones & The Six“ ist anders. Nicht nur, weil es darin um den Aufstieg und Fall einer fiktiven Band geht. Wir bekommen den Sex, die Drogen, den Rock’n’Roll und die dazu gehörigen Hangover serviert, aber auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Magie und dem Arbeitsprozess des Songwriting. Weil es sich um eine 10-teilige Serie statt eines Films handelt, bleibt auch genügend Zeit für Nuancen und Zwischentöne.

Langweilig wird einem dabei aber nie. Durchgehend temporeich, aber nicht hektisch, rollt die Bestsellerverfilmung die Geschichte der Erfolgsband The Six auf. Und wie eine Sängerin namens Daisy Jones (Riley Keough) ein essenzieller Teil dieser Gruppe wird, zuerst gegen den Willen von Band-Mastermind Billy (Sam Claflin). Dann wird die Sache kompliziert. Ähnlichkeiten mit der Poprock-Legende Fleetwood Mac sind durchaus beabsichtigt.

Still aus „Daisy Jones & The Six”

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Jeder Blick, jede Geste, jeder Akkord sitzt

Ganz zentral sind der Ort und die Ära: „Daisy Jones and The Six“ ist eine Liebeserklärung an das Los Angeles der frühen 70er, an das kalifornische Wetter, an fantastische Klamotten und Frisuren. Auch wichtig: der Blickwinkel. Frauen posieren hier nicht als Musen der Männer, sie stehen als Musikerinnen selbst im Rampenlicht. Und auch die weiblichen Darstellerinnen stehlen den Typen die Show.

Die US-Schauspielerin Riley Keough war unlängst im Zusammenhang mit dem tragischen frühen Tod ihrer Mutter Lisa Marie Presley in den Schlagzeilen. Jetzt steht Keough aber auf positive Weise im Rampenlicht. In der Serie „Daisy Jones & The Six“ spielt die Enkelin von Elvis Presley eine Rocksängerin im Los Angeles der 70er Jahre. Angelehnt an die legendäre Band Fleetwood Mac erzählt die Amazon-Serie von Musikerinnen, die mehr sein wollen als Musen.

Neben Camila Morrone, die einer schwierigen Figur (die Freundin des Bandleaders, die schwanger zuhause wartet) facettenreiches Leben einhaucht und Suki Waterhouse als selbstbewusster Keyboarderin begeistert vor allem die fantastische Riley Keough. Lange funkelte die talentierte Enkelin von Elvis nur in Nebenparts, jetzt rockt sie endlich in einer Titelrolle.

Wenn Daisy komponiert, im Studio diskutiert oder auf Bühnen singt, sitzt jeder Blick und jede Geste - und auch jeder Akkord. Der Soundtrack zur Serie eroberte die US-Charts, was sich nicht nur geschickt eingesetzten Song-Klassikern von Patti Smith oder Jefferson Airplane verdankt. Die fiktive 70s Band Daisy Jones & The Six gibt 2023 auch mit eigenen Liedern den Ton an.

Still aus „Daisy Jones & The Six”

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Wenn ein Fan zum Stalker wird

Das hört sich jetzt alles lässig und locker an, aber es geht ganz schön dunkel zu in den finalen Episoden dieser Serie. Allerdings stets unterbrochen von Momenten, in denen die kalifornische Sonne die Szenen mit Licht überflutet. Und auch Hoffnung flackert in „Daisy Jones and the Six“ immer wieder bis zum Ende auf, man wünscht den getriebenen Figuren Erlösung, Ruhe, inneren Frieden.

Komplett abgründig von Anfang an präsentiert sich dagegen eine andere Serie, die ebenfalls auf Amazon Prime abrufbar ist – und in der Gegenwart des Musikgeschäfts spielt.

Swarm“ taucht in das Universum der Stan Culture ein; ein Begriff, den einst Eminem erfunden hat, um eine manische Mischung aus Fan und Stalker zu beschreiben. Als der Rapper um die Jahrtausendwende das Wort ins Spiel brachte, ahnte er aber noch nicht die verheerenden Auswirkungen asozialer Netzwerke in diesem Zusammenhang.

Stills aus "Swarm"

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Junkfood und Musik sorgen für Glücksgefühle

„BeyHive“ nennen sich die eingefleischten Bewunderer von Beyoncé Knowles, eine weltweite Community, die ihren Star abgöttisch feiert. Vom Bienenstock zum Bienenschwarm ist es nicht weit. Die Serie „Swarm“ macht aus Beyoncé eine fiktive Sängerin namens Ni’jah, die ebenfalls von besessenen Anhänger*innen verehrt wird.

Eines dieser Fangirls ist die junge Afroamerikanerin Dre (Dominique Fishback), die einsam und entfremdet durch den Alltag taumelt. Ihre Gelegenheitsjobs hasst sie, ihre Existenz erscheint ihr trostlos, das Verhältnis zu Schwester Marissa (Chloe Bailey) ist angespannt. Glücksgefühle empfindet Dre nur, wenn sie Chips und Schokoriegel in sich hineinstopft. Und natürlich, wenn sie in der Musik und den Texten ihres Lieblings versinkt. Jedes Wort der Pop-Ikone Ni’jah ist Gesetz, jeder Angriff im Netz auf Ni’jah schreit potentiell nach Rache.

Gleich in der ersten von sieben halbstündigen Episoden brennen Dre dann sämtliche Sicherungen durch. Es ist der tragische Tod ihrer Schwester, der die junge Frau zum Kippen bringt. Die Schuld sucht sie beim Boyfriend von Marissa, der praktischerweise auch noch die angehimmelte Ni’jah belächelt. Dieser Mann verdient den Tod, beschließt Dre spontan. Weitere kaltblütige Exekutionen werden folgen.

Stills aus "Swarm"

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Horror, True Crime und R’n’B

Donald Glover und Janine Nabers greifen in ihrer abgründigen Serie „Swarm“ die bizarrsten Stories rund um den Beyoncé-Kult auf – und übersteigern sie ins gewalttätig Groteske. Wir folgen der psychopathischen Einzelgängerin Dre auf einem blutigen Trip durch die USA. Während reale Trolle auf Twitter und TikTok die Gegner ihrer Idole attackieren, manifestiert sich der Hass der Killerbiene auf handfeste Weise.

Als künstlerisch ambitionierter und politisch engagierter Rapper ist er unter dem Künstlernamen Childish Gambino bekannt, aber Donald Glover kennt man auch als Schauspieler, Komiker, Regisseur, Produzent und Drehbuchautor. Viele dieser Talente bündelt Glover in der Serie „Atlanta“, die seit mehreren Staffeln von Kritik und Publikum gefeiert wird. Jetzt präsentiert der Kalifornier aber - zusammen mit seiner Schreibpartnerin Janine Nabers - eine neue Serie mit Horror– und True-Crime-Touch. „Swarm“, zu deutsch „Bienenschwarm“, erzählt von einer jungen Frau, deren Fantum mörderische Züge annimmt.

Sympathieträger Donald Glover hat als höchst erfolgreiches Multitalent sicher Erfahrung mit der Stan Culture, darf man vermuten. Vor allem hat er als Vermittler zwischen Kunst und Kommerz auch die Macht, eine skurrile Serie wie diese durchzupeitschen. Ein grellbunter Mix aus Horror, True-Crime-Versatzstücken und Blitzlichtern aus dem R’n’B-Business, auf grobkörnigem 35mm-Material gedreht, voller Humor, Härte und einer geisteskranken Protagonistin.

Wer die Hauptfigur bei allem Mitleid auch irgendwann unerträglich findet, sollte sich zwei Dinge in Erinnerung rufen. Zum einen setzt uns die Filmgeschichte seit etlichen Dekaden verstörende Männer als Antihelden vor, vom „Taxi Driver“ bis zum „Joker“. Zum anderen darf man wohl dann erst von funktionierender Repräsention im Genrefilm sprechen, wenn es abseits von Superheldinnen und „Powerfrauen“ auch zwiespältige, neurotische oder gefährliche weibliche Charaktere gibt.

Stills aus "Swarm"

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Bei allem guten Willen und trotz der sehr kurz gehaltenen Folgen hat man dennoch irgendwann das Gefühl, ein zweistündiger Spielfilm wäre für diesen Stoff besser gewesen als 7 Episoden. Aber egal, „Swarm“ ist großartig gespielt, Dominique Fishback brilliert beklemmend als lakonische Serienkillerin, Billie Eilish fasziniert als esoterische Feministin in einem Gastauftritt. Von Beyoncé Knowles gibt es übrigens noch keinen Kommentar dazu.

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