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John Waters

Gartenbaukino / Greg Gorman

Der ewige Provokateur: John Waters im Interview

Am 3. April präsentiert der legendäre Regisseur, Autor und Trash-Papst im Wiener Gartenbaukino sein neues Stand-Up-Programm. Aus diesem Anlass ein Gespräch über den Zustand der Welt, das True Crime Phänomen und politische Korrektheit.

Von Christian Fuchs

Im Jahr 1946 wird der US-Regisseur John Waters geboren, genau wie sein Kollege Steven Spielberg. Beide Filmemacher beginnen früh mit der elterlichen Super-8-Kamera zu experimentieren und machen bei ihrer Karriere einen Bogen um Hochschulen. Im Gegensatz zum Blockbuster-Regisseur Spielberg taucht John Waters aber in den queeren Underground ab. Mit bewusst geschmacklosen Filmen über Kot fressende Drag Queens, anarchische Jungkriminelle und serienkillende Mütter mutiert er zum Trashpapst Amerikas. Mit dem Musical „Hairspray“ schafft Waters den Sprung in den Mainstream.

Sein letzter Film „A Dirty Shame“ liegt fast 20 Jahre zurück, seinen Ruf als provokante Ikone der Schwulen-Bewegung, Bad-Taste-Instanz und subversiver Komödiant hat John Waters aber nicht verloren. Er schreibt Bücher, kuratiert Listen, bringt seine Stand-Up-Show auf Bühnen. Am 3. April kommt das Multitalent aus Baltimore ins Wiener Gartenbau-Kino, aus diesem Anlass durfte der Schreiber dieser Zeilen online mit der Legende plaudern.

John Waters

Dreamland

Mr. Waters, ich muss zum Einstieg etwas persönlich werden. Als junger Postpunk in der österreichischen Provinz in den 80ern fühlte ich mich nirgendwo zugehörig. Ich hing mit Hippies und Punks ab und sogar in dieser Community fühlte ich mich fremd. Und dann bekam ich ihre Biografie “Shock Value” in die Hände. Und sie veränderte mein Leben. Ihre Filme habe ich erst viel später gesehen, aber der rabenschwarze Humor des Buchs hat mir als Landjugendlicher die Sicherungen gefetzt, wenn ich das so sagen darf.

John Waters: Oh, danke schön. Ich glaube, Sie sind ein besserer Mensch geworden. Die Leute sagen das ständig zu mir, und es ist so bizarr. Als das Buch herauskam und die Eltern der Leute das Buch fanden, riefen sie die Polizei und warfen das Buch aus dem Haus oder zerrissen es. Es gibt übrigens immer noch eine Menge verbotener Bücher in den Bibliotheken und in einigen Orten im Süden Amerikas. Aber lustig, weil Sie Punks und Hippies erwähnt haben, die konnten sich ja nie leiden.

Stimmt natürlich, aber im Kleinstadt-Österreich der 80ies waren das die einzigen subkulturellen Optionen.

J.W: Sie waren gezwungen miteinander abzuhängen. Es gab so wenige Rebellen, dass man einfach nahm, was man bekam, richtig. Es war auch toll, Schwule, Punks, Hippies, alle mussten zusammen abhängen, eine gute Sache. Das war schon immer mein Publikum - Minderheiten, die nicht einmal in ihre eigene Minderheit passen.

Sprechen wir anlässlich ihrer Stand-Up-Show „The End Of The World” also über ihre Weltsicht. Ist die immer noch so provokativ wie in ihren jüngeren Jahren? Oder wurden Sie mit dem Alter milder?

J. W.: Nein, machen Sie Witze? Mein letzter Roman „Liarmouth“ ist eines der verrücktesten Dinge, die ich je geschrieben habe. Und mein letzter Film „A Dirty Shame“ hatte in Amerika das Prädikat „Jugendverbot“. Ich denke also, ich habe mich kein bisschen verändert. Aber ja, hier in Amerika hat tatsächlich eine staatliche Stelle „Pink Flamingos“ als einen der großen amerikanischen Filme eingestuft, was sogar mich entsetzt hat. Also hat sich zumindest der Humor der Leute geändert.

Ich habe Ihren Underground-Klassiker “Pink Flamingos” von 1973 unlängst nach Ewigkeiten wiedersehen und der ist noch immer schockierend…

J. W.: Er wirkt heute noch viel schockierender als damals, wegen der ganzen politischen Korrektheit.

Pink Flamingo

Dreamland

Pink Flamingos

It’s the end of the world as we know it

Ihr komödiantisches Stand-Up-Programm dreht sich um das Ende der Welt, macht sie dieses Thema nicht eher traurig?

J. W.: Nun, am Anfang geht es darum, wie deprimiert ich bin. Wie alles nicht mehr funktioniert, wie alles schief läuft. Aber dann erzähle ich, wie wir alles mit meinem verrückten Optimismus auf die aberwitzigste Art und Weise wieder in Ordnung bringen werden. Dass wir die Dinge wieder besser machen können.

Die Apokalypse ist schon sehr lange allgegenwärtig. In den 80ern träumten wir ständig von Atompilzen. Was unterscheidet die aktuelle Weltuntergangs-Stimmung von früher?

J. W.: Sie belieben zu scherzen? Angesichts von Russland und allem, was dort vor sich geht? Worüber in Amerika übrigens kaum gesprochen wird. Sogar als das Atomkraftwerk in Tschernobyl durch den Krieg bedroht war, regte sich niemand hier auf. Wissen Sie, als ich jung war, haben wir im Haus meiner Eltern Schutzräume gegen radioaktive Strahlung eingerichtet, und ich denke, das wird wieder kommen, es ist beängstigend. Und für Sie ist es noch beängstigender, weil Sie näher dran sind.

Gibt es neben Kriegsgefahr und Klimawandel auch vielleicht eine Art drohender kultureller Apokalypse? Es scheint, als ob sich die Standpunkte in sämtlichen ideologischen Lagern so zuspitzen, dass Gegenmeinungen nicht mehr akzeptiert werden…

J. W.: Gewiss. Die Zensur, die ich früher fürchtete, kam von den Rechten, die attackierten mich lange Zeit. Wenn ich jetzt jemals zensiert werde, dann von den Linken. Dabei mache ich mich primär über mich selbst lustig, ich mache mich über die Regeln von Menschen lustig, die außerhalb der Gesellschaft leben, nicht über die Regeln, an die noch meine Eltern glaubten. Ich denke eine Kritik an Selbstgerechtigkeit ist gesund. Ich stimme mit vielen politisch korrekten Dingen überein, aber einige dieser Forderungen sind verrückt. Und die Gegenseite wählt sofort Trump, wenn sie diese Forderungen hören. Wir müssen uns unsere Schlachten genau aussuchen.

Das ist wirklich ein aktuelles Phänomen, dass sich Outsider und Minoritäten aller Fraktionen untereinander heftig attackieren.

J. W.: Das langweilt mich enorm. Ich spreche in meiner Show viel darüber, wie es früher war: schwul, hetero, alle bisexuell, alle kamen miteinander aus. Wie konnten wir miteinander herrlich streiten, jetzt ist der Diskurs so langweilig geworden. Weißt du, wenn du allen einen Vortrag hältst und immer auf einer Seifenkiste stehst, hören sie dir irgendwann nicht mehr zu. Du musst jemanden erst zum Lachen bringen, dann hören sie vielleicht zu. Vielleicht. Wir können uns also nicht in Mini-Fraktionen trennen. Wir müssen uns stattdessen an die smartesten Leute halten, die politisch gegen diesen Zustand sind. Und auch die dümmsten Leute von der politischen Gegenseite anhören, damit wir nicht selbst zu Reaktionären werden.

Bücher, Serien, Serienmörder

Wechseln wir zu einem positiveren Thema. Sie lieben Bücher über alles, können sich ein Leben ohne Lesen nicht vorstellen…

J. W.: Ja, so entspanne ich mich. Die Leute sagen oft: Ah, hast du diese neue Serie im Fernsehen gesehen. Und ich sage: Wie viele Episoden? 18 Episoden!? Nein, ich werde lesen. Das ist eine größerere Verpflichtung als eine Ehe.

Aber folgen Sie dann auch bestimmten Serien?

J. W.: Nun, einigen schon, ja. Eigentlich ist das Fernsehen heute besser als viele Filme. Und es wäre mir egal, wenn mein nächster Film im Fernsehen Premiere hätte und mehr Leute dadurch meine Arbeit sehen. Aber gleichzeitig spreche ich viel darüber, wie wir junge Leute dazu bringen können, wieder Kunstfilme zu mögen. Oder wie können wir alte Leute wieder ins Kino locken, die gehen nicht mehr hin. Wir müssen uns also neue Wege einfallen lassen, um die Leute zurückzuholen. Mir selber fällt es schon technisch schwer, meinen Fernseher einzuschalten. Ich brauche drei Assistenten, um überhaupt herauszufinden, wie alles funktioniert. Es gibt so viele Fernbedienungen und so viele verschiedene Dinge, die ich tun muss. Dabei will ich einfach nur zusehen.

Viele Ihrer radikalen Obsessionen sind heute Teil des Mainstreams. Das Verbrechen zieht sie etwa schon immer magisch an. Interessiert sie das immer noch, obwohl True Crime gerade das Massenphänomen schlechthin ist?

J. W.: Nicht so sehr. Ich meine, wer hat Jeffrey Dahmer so populär gemacht? Ich spreche in meiner Show über ihn. Im Grunde war er der ultimative Dom, er hat dich gefressen. Einen sexuell aggressiveren Sexualpartner kann man nicht bekommen. Also ich mag die Dahmer-Serie, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er darin wie Andy Warhol aussieht. Ich kann mir Andy Warhol aber schwer als Serienmörder vorstellen.

Welche Verbrechen sind denn immer noch faszinierend?

J. W.: Ich denke, dass Menschen, die vor Sekten fliehen, spannend sind. Denn wenn sie in eine Sekte eintreten, fühlen sie sich wahrscheinlich gut, aber irgendwann verlieren sie den Verstand. Das finde ich irgendwie faszinierend, wie sie ihr Leben zurückbekommen. Und ich denke, Verbrechen, die aus dem Nichts kommen, sind auch interessant. Wenn ich kein Filmemacher wäre, wäre ich Strafverteidiger, und ich wäre ziemlich gut darin. Ich würde die schlimmsten Leute verteidigen.

Puppenspieler und Marionetten

Sprechen wir doch über Ihre Muse, die legendäre und früh verstorbene Drag Queen Divine, die in ihren Schlüsselfilmen die Hauptrolle spielt. Wie würde Glenn Milstead, die Person hinter dieser Kunstfigur, die heutigen Genderdiskurse betrachten? Drag Queens sind ja wieder trendy.

J. W.: Divine war nie Teil eines Trends. Divine machte ihr Ding, bevor es die Bewegung gab. Er wollte auch keine Frauen parodieren, er wollte Godzilla sein. Divine war nie wie eine Frau gekleidet, nur eben wenn er seinen Job machte. Genauso ist es mit RuPaul. Und RuPaul sieht als Mann so großartig aus, dass ich glaube, dass das einen großen Anteil an seinem Erfolg hat. Ich glaube, dass Divine voll und ganz für die Trans-Bewegung eintreten würde, aber ich glaube nicht, dass Divine trans war. Er hätte sich nicht für das Wort them entschieden. Damals nannte man Divine einen Transvestiten, aber ich glaube, dieses Wort sollte man nicht mehr sagen. Er war jedenfalls eine Drag Queen und stolz darauf. Und fantastisch darin.

Divine in Pink Flamingo

Dreamland

Divine in „Pink Flamingos“

Steven Spielberg, der exakt gleich alt ist wie Sie, hat mit „The Fabelmans“ ein tolles Biopic vorgelegt, in dem er seine eigene Jugend als Super-8-Regisseur und DIY-Künstler zelebriert. Ich dachte mir, ich würde so einen Film sehr gerne über und von John Waters sehen.

J. W.: In gewisser Weise könnte ich das tun. Ich war Puppenspieler, als ich etwa zwölf Jahre alt war, das war meine erste Sache im Showgeschäft. Und viele Regisseure benehmen sich wie Puppenspieler, worauf Schauspieler immer sagen: Wir sind doch keine Marionetten! In gewisser Weise sind sie es aber doch. Darüber könnte ich einen Film machen.

Ihre Eltern wirkten in diversen Dokumentationen einerseits extrem bürgerlich, andererseits sehr unterstützend und liebevoll…

J. W.: Meine Eltern waren sehr unterstützend. Sie waren entsetzt über die Filme, die ich gemacht habe, und irgendwie erstaunt darüber, dass ich ein Publikum finde und mit ihnen um die Welt reisen konnte. Aber sie waren sehr stolz, als mein Musical „Hairspray“ den Tony Award gewann. Und es würde sie begeistern, dass ich es bis nach Österreich schaffe. Sie waren immer erstaunt, wenn ich sagte: „Meine Ideen breiten sich aus, Dad“. Und er sagte: „Ja, wie Krebs“. Sie hatten einen guten Sinn für Humor, ich glaube, den habe ich von meiner Familie geerbt.

Jedenfalls sind autobiografische Filme von Regisseuren gerade sehr angesagt…

J. W.: Fellini hat es vorgemacht. Ich habe zumindest viele Bücher geschrieben, in denen das Drehen der Filme vorkommt, meine Familie, alles. In „Shock Value“ gibt es ein Kapitel mit dem Titel „Hast du Eltern?“, denn das haben mich die Leute immer gefragt. Ich habe immer gesagt, dass ich von einem Alien ausgebrütet wurde.

Das Plakat ist besser als der Film

Eigentlich sind Sie der ultimative Trendsetter in vielen Bereichen. Heutzutage spricht man bei Firmen wie A24 von „Elevated Genre Films“, es war doch schon immer ihr Zugang, das Arthouse Kino mit dem Schundfilm zu verbinden?

J. W.: Ich habe Exploitation-Filme für Kunstkinos gemacht. Ich war der erste, der versucht hat, ein neues Genre zu schaffen. Meine Filme liefen am besten in den reichsten, intelligentesten Vierteln. Am schlechtesten liefen sie in echten Schmuddelkinos und Autokinos, weil das Publikum wusste, dass ich es persiflierte. Da steckt schon eine Ironie drin.

Aber es ist definitiv gerade ein Trend, diese konträren filmischen Welten zu verbinden…

J. W.: Quentin Tarantino ist einer der Hauptverantwortlichen dafür, dass Genrefilme in der Öffentlichkeit wahrgenommen und gefeiert werden. Er war die erste Person, die jemandem, der in einer Videothek arbeitet, eine Stimme gab. Und durch ihn wurden richtig hässliche Exploitation-Filme gewissermaßen umarmt. Ich habe mir all diese Filme noch in den echten Grind-Kinos in Baltimore angesehen. Das haben sich viele nicht getraut, denn dort war das Publikum oft unheimlich und beängstigend, aber gleichzeitig großartig.

Gibt es noch immer echte Schundfilme für so ein Publikum?

J. W.: Der einzige Film der letzten Zeit in dieser Richtung war „Cocaine Bear“. Ich glaube, das war der erste Exploitation-Film, der seit langer Zeit auf den Markt kam. Und dahinter steckte ein brillantes Konzept und ein toller Trailer. Das ist oft alles, was ein perfekter Exploitation-Film braucht.

In dem Fall ist der Trailer besser als der Film…

J. W.: Das ist bei Exploitation-Filmen immer so. Das Plakat ist immer besser als der Film. Roger Corman hat das immer gesagt: Du denkst dir zuerst den Titel und das Plakat aus. Dann muss man den Film machen.

John Waters

Gartenbaukino / Greg Gorman

Haben sie eigentlich die Oscar-Verleihung geschaut?

J. W.: Natürlich war ich dabei. Ich war beim Elton John Dinner und auf der Vanity Fair Party. Ich hatte ein ganzes Hollywood-Wochenende. Meiner Meinung nach lief es gut für die Academy, weil nichts schief ging. Sie war nicht zu lang, ein beliebter Film hat gewonnen. Die Reden waren herzlich, der Moderator hat keinen Ärger gemacht, also denke ich, dass die Academy sehr zufrieden damit war. Und ich bin froh, dass ein kleiner, schräger Film gewonnen hat. Und es ist erstaunlich für mich, dass der Film über 100 Millionen Dollar eingespielt hat.

Viele junge Leute identifizieren sich mit „Everything Everywhere All At Once“ sehr stark.

J. W.: Vielleicht ist es das, was die Oscars wollen - junge Leute, die zusehen, eigentlich war es ja vorher für Ältere gemacht.

Haben Sie eine Botschaft für junge Menschen da draußen?

J. W.: Ich wünsche mir von ihnen etwas, das mir Angst macht und mich zum Nachdenken bringt. Ich wünsche mir etwas wirklich Neues, mit dem sie mich erschrecken.

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