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„Kapitalismuskritik und Feminismus sind nicht voneinander zu trennen“

Von Anarchofeminismus und Kapitalismuskritik: Katharina Mückstein unternimmt mit ihrer Doku „Feminismus WTF“ den Versuch, den Status Quo des Feminismus zu erkunden.

Von Maria Motter

„Feminism WTF“ – so heißt eine neue Kino-Doku aus Österreich von Katharina Mückstein. Der Film bietet Erklärstücke und kombiniert die Aussagen von Wissenschaftler*innen, die nicht jede Woche in einer TV-Talkshow sitzen, mit Tanz und sozialen Experimenten.

Regisseurin Katharina Mückstein kennen wir von ihrem Coming-of-Age-Spielfilm „L’Animale“ und als laute Stimme gegen Übergriffe von Männern. Im vergangenen Sommer hat sie in Instagram-Postings eigenes Erleben und die Erfahrungen anderer geteilt und einen öffentlichen Austausch initiiert. In FM4 Auf Laut haben wir damals intensiv mit ihr darüber gesprochen. Nun war sie auch im FM4 Film Podcast zu Gast.

Mit ihrer Kino-Doku „Feminism WTF“ unternimmt Katharina Mückstein den Versuch, den Status Quo im Feminismus zu erkunden. Dabei spannt der Film einen breiten Bogen von Weiblichkeitbildern, Rollenzuschreibungen, Ungleichbehandlung vom ersten Lebensjahr an und dem Wahrnehmen von Privilegien, über ein Plädoyer der Biologin Sigrid Schmitz für eine Vielfalt an Geschlechtern, Zuschreibungen von außen und eigenem Erleben, hin zum unbezahlter, sogenannter „Care“-Arbeit und Gewalt in Beziehungen. Auch der Umstand, dass Männer schon in ihrer Kindheit für gewisse Gefühlsregungen geradezu sanktioniert werden, wird kurz erwähnt. „Feminism WTF“ bleibt dabei verständlich wie ein einführendes Proseminar.

Katharina Mückstein, dein Film „Feminism WTF“ bietet Erklärstücke. Die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan sagt da etwa: „Feminismus bringt die ganze gesellschaftliche Ordnung in die Krise und das wollen wir auch.“ Was sagst du dazu?

Katharina Mückstein: Ja, das stimmt. Das ist genau, was wir wollen. Wie es ist, soll es nicht bleiben. Wir brauchen eine Krise, damit sich was verändert.

Du hast einen schönen Weg gefunden, die interviewten Personen zu inszenieren. Wie bist du auf die Idee gekommen, dass du alle in Pastellfarben anziehst und Zwischenstücke mit beispielsweise soziologischen Experimenten bringst?

Katharina Mückstein

Elsa Okazaki

Katharina Mückstein ist Drehbuchautorin und Regisseurin, kürzlich hat sie bei einer „Tatort“-Folge Regie geführt.

Katharina Mückstein: Wenn ich Feminismus sage, meine ich intersektionalen Feminismus. Das ist ein Feminismus, der verschiedenste Diskriminierungskategorien in Betracht zieht und sich deshalb auch aus sehr vielen verschiedenen Ideen von Menschen speist, die sehr viele unterschiedliche Lebenserfahrungen und deshalb auch unterschiedliche Forschungsgebiete haben. Die Idee, dass ich meine Experts so farbig anziehe, war schon auch diese klassische Regenbogen- oder Spektrum-Idee: Zu zeigen, die sind alle sehr unterschiedlich, aber die Unterschiedlichkeit ist eigentlich die Stärke von dem ganzen Konzept. Darüber hinaus habe ich Leute eingeladen, die aus einer queer-feministischen Performanceszene kommen und die in dem Film tanzen.

Und es gibt die Ebene der sozialen Experimente. Eines ist etwa „Baby X“, es ist in den Sozialwissenschaften lange bekannt: Ein Kind wird ganz in Rosa oder ganz in Blau angezogen und fremde Erwachsene spielen dann mit dem Kind. Man merkt: Je nachdem welches Geschlecht die Erwachsenen an einem Kind lesen, verhalten sie sich extrem unterschiedlich. Es ist sehr entlarvend, traurig und witzig zugleich.

Du hast dich lange mit diesen Themen beschäftigt, dir verschiedene Positionen angehört. Du hast auch Gender Studies studiert. Gab es für dich im Zuge der Arbeit an „Feminism WTF“ etwas ganz Neues, von dem du sagst, das hat etwas für dich verändert?

Katharina Mückstein: Für mich war jetzt nichts neu an den Themen, die ich in den Film eingebracht habe. Aber ich habe schon an mir bemerkt, dass ich als weiße, europäische, relativ privilegierte Cis-Frau sozusagen sehr konkrete Prioritäten in meiner Politik habe. Zum Beispiel sich mit Dekolonialismus und antirassistischen Ideen im Feminismus zu beschäftigen, war für mich extrem wichtig, um irgendwie weiterzukommen.

Was für mich z.B. so eine Art Eye-Opener war, ist etwas, was eben auch Nikita Dhawan, die du vorhin schon angesprochen hast, in meinem Film erklärt. Da geht es darum, dass die Europäer oder die Briten, wie sie Indien und Uganda kolonialisiert haben, Homosexualität verboten haben, ihre europäischen Werte dort eingeführt haben. Das waren extrem prüde Werte. Jetzt, Jahrhunderte später, kommen wieder die Europäer und sagen, ja, schaut euch diese rückschrittlichen Länder an. Dabei sind es die Europäer, die auch diese ganze hassvolle Politik und Kultur dort überhaupt gepflanzt haben.

Jetzt stilisiert sich Europa als fortschrittlich und gibt wieder an, was sozusagen das Richtige zu tun wäre. Eine Kritik an einer eurozentrischen Idee von der Welt – wo immer Europa und die europäischen Ideen das Zentrum von allem Guten sind – war für mich sehr wertvoll, um mich damit zu beschäftigen und Vieles infrage zu stellen, was ich für ganz selbstverständlich gefunden habe.

Performer in "Feminism WTF"

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Dein Film ist sehr super, weil er von diesen T-Shirt-Slogans etwas abgeht. Es gibt sie ein, zwei Mal im Film auch, wo man sich denkt, ja schön und gut, aber was machen wir jetzt damit. Die Biologin Sigrid Schmitz sagt da beispielsweise: „Geschlecht ist der letzte Ort der Versicherung in einer Welt, die sehr unsicher geworden ist“. Wie gehe ich als Person jetzt damit um? Die Welt ist sehr unsicher geworden und jetzt kommen Queerfeministinnen daher und sagen, das dürft ihr jetzt auch nicht mehr, euch in diese zwei Kategorien einteilen oder ihr müsst jetzt akzeptieren, dass es zig Geschlechter gibt? Wie kann man das im Alltag integrieren?

Oder ist das nicht vor allem diese „trans“-Debatte eine sehr abstrakte, von diffusen Emotionen geleitete Debatte? Die eigentlich mit konkreten Personen, die sich als trans identifizieren, nichts zu tun hat, sondern eher mit der Gegenseite, die verunsichert wird durch andere Lebensentwürfe? Also wie die bürgerliche Familie, die sich von Homosexualität bedroht fühlt?

Katharina Mückstein: Das waren jetzt sehr viele Fragen...

Wie könnte man diese „trans“-Debatte auflösen?

Katharina Mückstein: Ich finde, das ist ein ganz klassisches antifeministisches, aber auch antiprogressives Narrativ, dass man immer sagt, uns wird jetzt irgendetwas vorgeschrieben. Das heißt, eine Gruppe, die bisher sehr wenig Stimme hatte in der Gesellschaft, zum Beispiel Frauen, hat jetzt eine lautere Stimme und fordert etwas. Und die Reaktion darauf ist zu sagen, aha, die wollen uns was vorschreiben oder: das ist jetzt Meinungsterror. Aber in Wirklichkeit ist man es einfach nicht gewohnt, dass diese Leute eine Stimme haben und Kritik äußern können. Und so sehe ich das auch mit Queerfeminismus. Mir ist das ganz egal, wie andere Leute ihr Geschlecht ausleben oder sich zeigen wollen in der Welt. Aber mir geht es darum, dass alle das Recht haben, so zu leben und sich auszudrücken, wie sie sich eben fühlen.

Ich finde, all das ist nur ein Argument dafür, sich zusammenzuschließen und männliche Privilegien infrage zu stellen. Ich finde es wirklich zu kurz gedacht, dass man dann sagt, ja, wir wollen unseren politischen Kampf nicht mit anderen teilen oder wir wollen andere nicht in unseren politischen Kampf für ein besseres Leben mit einschließen, weil uns sonst Platz weggenommen wird. Es ist ja nicht so, dass Emanzipation oder Gleichstellung ein Kuchen ist, von dem nur wenige etwas bekommen können. Sondern es ist grundsätzlich richtig zu sagen, dass alle die gleichen Voraussetzungen vorfinden sollen, wenn sie in diese Welt geboren werden, und daran gilt es zu arbeiten. Da kann man nicht aufhören, die Forderungen nicht mehr zu stellen, wenn es plötzlich nicht mehr um einen selbst geht. Ich finde, das ist eine sehr egoistisch gedachte Position, die für mich auch deshalb keine feministische Position mehr sein kann, weil sie einfach bei Frauen, die sich schon irgendwelche Privilegien erkämpft haben – das muss man ja auch sagen, das haben andere vor uns für uns erkämpft und plötzlich möchten wir sagen, nein, das gilt nur für uns und andere sollen gefälligst draußen bleiben. Also für mich geht sich das nicht aus.

Schwarze Frau mit rotem Hammer, Szene aus der Doku "Feminism WTF".

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Du hast gerade einen Slogan einer Frauenbewegung früherer Jahrzehnte erwähnt: „Wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei“. Und in deinem Film wird ja sehr verständlich diese Kette dargelegt, die sich von Geschlechterteilung zu Arbeitsteilung und zum Kapitalismus bewegt.

Katharina Mückstein: Mir war von Anfang an sehr wichtig, dass dieser Film auch eine starke Kapitalismuskritik enthält, weil letztlich ist es so, dass die Geschlechterverhältnisse – so wie wir sie kennen – so sind wie sie sind, weil sie die Arbeitsteilung legitimieren. Und zwar, dass Frauen die unbezahlte oder sehr schlecht bezahlte „Care“-Arbeit machen, also sogenannte Reproduktionsarbeit, die ganze Kinderversorgung, Haushalt, Altenpflege, aber auch sehr viel emotionale Arbeit für die Familie. Und die Männer das nicht müssen und sozusagen im öffentlichen Raum Karriere machen können, Macht haben, über die Lebensbedingungen von anderen bestimmen können. Und dieses Prinzip brauchen wir halt, damit der Kapitalismus funktioniert wie er funktioniert.

Und das funktioniert auch nur, wenn diese „Care“-Tätigkeiten noch abgewertet werden, die Frauen zugeschrieben werden. Wo man dann sagt, ja, Frauen sind nun mal so, die können das halt besser und das liegt in deren Natur, deshalb müssen wir sie auch nicht dafür bezahlen und es ist total okay, dass Frauen weniger Lohnarbeit machen können und am Ende in die Altersarmut kommen, während Männer ihr ganzes Leben lang verdienen und eine gute Pension haben – was Quatsch ist. Das wird über solche Geschlechterstereotypen legitimiert. Deswegen sind Kapitalismuskritik und Feminismus in meinen Augen nicht voneinander zu trennen.

Gibt es etwas, das dich sehr euphorisch macht? Jetzt sind wir da, im Jahr 2023, und da müssen wir weiter machen?

Katharina Mückstein: Euphorisch ist vielleicht übertrieben, aber was mich schon sehr zuversichtlich stimmt, ist, dass ich in Kontakt mit jüngeren Leuten sehe, dass es eine viel größere Selbstverständlichkeit darin gibt, dass man prinzipiell einmal findet, dass man keinen anderen Personen absichtlich Schaden zufügen möchte.

Ich habe das Gefühl, dass so Gen Z einfach nicer ist. Dass es einen netteren Umgang gibt, dass es mehr Bewusstsein gibt auch dafür, dass andere andere Lebenserfahrungen haben und dass man auch füreinander da sein kann. Ja, und auch, dass sich irgendwie die Grenzen von Geschlechterbinarität auflösen und das auch in der Praxis. Und das finde ich sehr schön zu sehen. Manchmal treffe ich 15-, 16-, 17-jährige Kids und habe das Gefühl, die sind in einer Klasse, wo fünf oder sechs Leute sagen, ja, ich bin jetzt mal non-binary, weil ich weiß noch nicht, wie ich hier in der Gesellschaft stehe oder wie ich mein Geschlecht empfinde. Das finde ich total schön, dass da offensichtlich zumindest in manchen Teilen der Gesellschaft – weil das muss man natürlich mit Vorsicht sagen: Das sind sehr privilegierte Orte, wo das möglich ist und diese jungen Leute so sehr in Ruhe gelassen werden, dass sie das machen können. Aber ich glaube, das sind auch Entwicklungen, die sich nicht rückgängig machen lassen.

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