FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Collage aus zwei Bildern. Einmal zwei gleich aussehende Männer, einmal zwei gleich aussehende Frauen.

Koch Media | Amazon Studios

„Dead Ringers“: Ein verstörendes Drama wird zur Serie

Mit seinem Psychothriller „Die Unzertrennlichen“ gelang dem Regisseur David Cronenberg vor Jahrzehnten ein dunkles Meisterwerk. Die Geschichte rund um unheimliche Zwillinge inspirierte nun ein Streaming-Remake.

Von Christian Fuchs

„Viel zu düster!“ Das war der Wortlaut unzähliger Produzenten gegenüber David Cronenberg bei Geschäftsessen in den späten 80er Jahren. Der kanadische Regisseur versuchte damals in Hollywood sein neues Projekt zu pushen. Der Film „Dead Ringers“ sollte einen wahren Fall aufgreifen, von eineiigen Zwillingsbrüdern, die gemeinsam Selbstmord begingen.

Dabei war es weder die Suizid-Thematik noch die Drogensucht der Mantle Twins, die eine derart allergische Reaktion hervorrief. Immer wenn Cronenberg erwähnte, dass die Zwillinge erfolgreiche Gynäkologen seien, besessen vom Akt der Geburt, erblassten die Hollywood-Typen. Eines der ganz großen Tabuthemen, im Zentrum eines Body-Horror-Films, das hörte sich für die Marketingabteilungen nach kontroversem Flop an.

Glücklicherweise fand David Cronenberg andere Möglichkeiten der Finanzierung. Mit dem Psychothriller „Dead Ringers“ ist ihm 1988 einer seiner eindringlichsten Filme gelungen. Zum ersten Mal beschäftigte sich damals die seriöse Kritik mit dem Genre-Meister, hagelte es Preise, wagte sich auch das bürgerliche Publikum in einen Film des radikalen Regisseurs.

Szene aus Cronenbergs Film: Ein Kreißsaal, alle Personen sind in Rot gekleidet

Koch Media

„Dead Ringers“ (1988)

Schauspielerische Tour de Force

Wenn sich das jetzt für etwas Uneingeweihte nach Anpassung anhört: ganz im Gegenteil. Mit „Die Unzertrennlichen“ änderte David Cronenberg nur die Verpackung, die verstörenden Inhalte seiner Filme blieben dieselben.

In den 70er und 80er Jahren schockiert der kanadische Künstler noch mit jedem neuen Film. Ob „Videodrom“, „Scanners“ oder „The Fly“, Cronenberg garantiert ekligen Körperhorror und psychologischen Schrecken gleichermaßen. „Dead Ringers“ markiert dann einen Einschnitt im Schaffen des Regisseurs. Cronenberg wird subtiler und künstlerischer, statt Splatter-Effekten gibt es seelische Grausamkeiten.

„Dead Ringers“ fasziniert vor allem als schauspielerische Tour de Force. Jeremy Irons verkörpert die Mantle-Zwillinge, ein aalglattes Gynäkologen-Duo aus dem medizinischen Bilderbuch. Zumindest an der Oberfläche. „Dead Ringers“ entpuppt sich bald als klinischer Psycho-Horror, eiskalt inszeniert. Manche blutrot ausgeleuchteten Bilder brennen sich für immer in die Netzhaut ein.

Perfekter Gendertausch

Jetzt kehrt der Stoff rund um die unzertrennlichen Zwillinge als neue Serie auf Amazon Prime zurück. Aber nur Grundzüge der einstigen Handlung flackern wieder auf. Rachel Weisz schlüpft in die Figuren von Beverly und Elliot Mantle. Der Gendertausch funktioniert wirklich perfekt, die Blickwinkel ändern sich dadurch gänzlich.

War Cronenbergs „Dead Ringers“ vor allem auch eine Reflexion über den Male Gaze (beklemmenderweise sogar aus Gynäkologensicht) ist das Remake eine Serie über weibliches oder überhaupt genderfluides Begehren geworden.

Was die Serie aus dem Film übernimmt, ist die grundsätzliche Charakterisierung der Figuren. Elliot provoziert als selbstsichere, sexuell aggressive Person, während die zurückhaltende Beverly im Hintergrund den Forschungen nachgeht. Zusammen bilden die Mantle Twins eine Institution im Bereich der Frauenheilkunde. Bis die alles konsumierende Liebe zu einer jungen Schauspielerin das Geschwisterpaar aus der Bahn wirft.

Szene aus der Serie: Eine Frau mit blutverschmiertem Kittel raucht eine Zigarette

Koch Media

Viel Subtext und endlose Dialoge

Im Laufe der sechs Episoden entgleitet den Zwillingen die Karriere und das Leben immer mehr, gespenstische Experimente und Wahnvorstellungen führen in den Abgrund. Das hört sich nach dem furchteinflößenden Originalfilm an, „Dead Ringers“ anno 2023 beschäftigt sich aber auch mit Rassismus, Kapitalismus, Wissenschaft, beleuchtet Arbeitsverhältnisse und Ausbeutungsszenarien im medizinisch-pharmazeutischen Bereich.

Ganz schön viel Subtext, und tatsächlich bremsen endlose Dialoge und diverse überflüssige Erzählstränge ständig den Handlungsfluss. Während Cronenbergs Werk (das heute noch irritierender wirkt als Ende der 80er) letztlich auf die Geschichte einer Obsession hinausläuft, muss in den Serienfolgen bisweilen ein halbes Cultural-Studies-Seminar Platz finden.

Auch kein Problem eigentlich, verdanken wir der Serienautorin und feministischen Aktivistin Alice Birch beispielsweise das Drehbuch zum Indie-Geniestreich „Lady Macbeth“. Mit Sean Durkin („The Nest“) oder Karyn Kusama („The Invitation“) sind zusätzlich fantastische Regisseur*innen an Bord, die zwischen Kunst- und Kommerzkino pendeln. Die blutigen Geburtssequenzen wühlen auf, die sarkastischen Witze über die Pharmaindustrie sitzen, Rachel Weisz spielt durchgehend toll.

Szene aus der Serie: Eine Frau mit Petrischalen in den Händen

Koch Media

„Dead Ringers“ (2023)

Und trotzdem: Während David Cronenbergs Kinofilm einen unaufhaltsamen Sog entwickelt, zieht sich die Serienversion bisweilen wie Kaugummi. Der Tonfall kippt manchmal zu sehr ins Komödiantische, die zusätzlich erfundenen Charaktere braucht es nicht. Aus einem beklemmenden Meisterwerk des Kinos ist ein zwiespältiges Bildschirmepos geworden, ein Film lässt sich eben nicht immer zur Serie dehnen.

mehr TV-Serie:

Aktuell: