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Ellie Goulding streicht sich durchs Haar

APA/AFP/ISABEL INFANTES

Warum sind wir so scharf auf autobiografische Musik?

Im Pop werden persönliche Erfahrungen gerne in Songs verarbeitet – und als Verkaufsargument genutzt. Miley, Adele & Co. legen in ihren Lyrics regelmäßig einen Seelenstriptease hin und feiern damit Erfolge. Warum es erfrischend ist, wenn Popmusik manchmal nicht ganz so deep ist.

Eine Kolumne von Verena Bogner

“Mein nächstes Album wird mein am wenigsten persönliches”: Mit diesen Worten kündigte Sängerin Ellie Goulding kürzlich im Rahmen eines Q&A ihren kommenden Longplayer “Higher Than Heaven” an. “Dieses Album ist nicht durch persönliche Erfahrungen entstanden, und es war eine richtige Erleichterung und ziemlich erfrischend, nicht im Studio zu sitzen und all die Dinge, die ich erlebt habe und die mich beeinflusst haben, durchleben zu müssen. Es ist mein am wenigsten persönliches, aber bestes Album, weil ich neue Seiten an mir kennenlernen konnte”, so Goulding. Und damit schlägt sie einen Kurs ein, der angesichts der großen Pop-Releases der letzten Jahre beinahe radikal wirkt.

Verena Bogner ist freie Journalistin und Autorin und schreibt gerade an ihrem ersten Buch. Sie liebt Mainstream-Popkultur und findet, es gibt keine Guilty Pleasures.

Es ist natürlich ein alter Hut, dass Artists ankündigen, in ihren Songs ihre tiefsten Gefühle und prägendsten Erfahrungen zu verarbeiten. Immerhin ein Grund für Fans, Geld auszugeben, um der Gedankenwelt ihrer Stars näherzukommen und all das zu erfahren, was wir nicht schon auf Social Media oder Gossip-Seiten über sie gelesen haben. “Flowers” von Miley Cyrus, einer der erfolgreichsten Songs des bisherigen Jahres, hat rund um seine Veröffentlichung genau deswegen für Aufruhr gesorgt: Was packt Miley in dem Song über ihre Beziehung zu Liam Hemsworth aus? Hat er sie wirklich betrogen? Und stammt der Anzug, den sie im Video trägt, wirklich aus seiner Garderobe? Auch Adele ist zum Beispiel dafür bekannt, in ihren Alben ihr Liebesleben zu verarbeiten, genauso wie Taylor Swift, die unangefochtene Königin der Easter Eggs und geheimen Hinweise auf ihre Ex-Beziehungen. Will man sich mit ihrem Werk auseinandersetzen, muss man ziemlich viel über Taylor wissen. Aber auch sie schien kurzzeitig die Nase voll davon zu haben: Zum Release ihrer Alben “Evermore” und “Folklore” erklärte sie, dass diese Alben auch fiktionale Geschichten enthalten würden – was nicht alle Fans begeisterte.

Persönliche Erfahrungen ganz explizit in Songs zu verarbeiten, kann natürlich ein Instrument sein, um ein Narrativ selbst in die Hand zu nehmen und seine eigene Geschichte selbst so zu erzählen, wie man sie eben nach außen tragen möchte. Es kann aber auch ein Tool sein, um sich selbst besser dastehen zu lassen: Als Justin Timberlake im Musikvideo zu “Cry Me a River” ein Britney-Double einsetzte und andeutete, dass sie ihn betrogen hatte, sorgte er damit für endlose Spekulationen und haufenweise Media-Coverage zu seinen Gunsten. Apropos Berichterstattung in den Medien: Mittlerweile wurde ein eigenes Artikel-Genre daraus, alle Anspielungen aus neuen Pop-Veröffentlichungen bis ins kleinste Detail nachzuerzählen, damit Fans überhaupt erst verstehen, worüber Miley & Co. hier singen.

Für mehr Eskapismus-Pop

Um Ellie Gouldings neues Album verstehen zu können, muss man jedenfalls gar nichts über die Sängerin und ihr Privatleben wissen. Das ist ziemlich angenehm. Zu einem guten Song zu tanzen, die oberflächlichen, einfachen Lyrics mitzusingen, und keinen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, was sie abgesehen vom Offensichtlichen bedeuten könnten, ist doch eines der schönsten Gefühle überhaupt. Außerdem wird in Songs, die sich so explizit um biografische Inhalte der Musiker*innen drehen, doch überhaupt nichts mehr unserer Fantasie überlassen. Höre ich “Flowers”, denke ich nicht an meinen Ex-Freund, sondern an Liam Hemsworth, wie er sich bei seinem Team aus Anwält*innen erkundigt, ob er etwas gegen diesen vermeintlichen Seitenhieb von Miley unternehmen könne. Übrigens auch ein Punkt, den wir bei dieser Art von Musik, die nicht mehr mit Anspielungen, sondern mit ganz offen kommuniziertem Gossip spielt, nicht vergessen dürfen: Menschen werden hier oftmals unfreiwillig zu Protagonist*innen.

“Diese Platte ist eine Flucht. Sie ist dafür gemacht, um dazu zu tanzen und sich frei zu fühlen”, erklärte Ellie Goulding jedenfalls zu ihrem kommenden Album. Und ganz ehrlich: Wer möchte heutzutage nicht gerne hin und wieder mithilfe von Pop aus dem echten Leben flüchten und sich zu Lyrics wie “Yes, since we found out / Since we found out / That anything could happen / Anything could happen / Anything could happen / Anything could happen / Anything could happen / Anything could happen /Anything could” an einen anderen Ort träumen?

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