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Michael Stavaričs „Das Phantom“

„Das Phantom“ ist Michael Stavaričs Thomas Bernhard Studie. Stilistisch wie inhaltlich orientiert sich der Tschechisch-Österreichische Autor und Übersetzer an dem großen Schimpfer und Grantler der österreichischen Literatur. Man glaubt im Kopf von Thomas Bernhard gelandet zu sein oder in dem einer seiner Figuren.

Von Boris Jordan

Michael Stavarič: „Ich habe tatsächlich auch immer so eine Art fiktiven Thomas Bernhard vor mir gehabt. Am ehesten noch den aus der „Ursache“, wo er über Salzburg und den Nationalsozialismus und so weiter schimpft - und den Klerus, wie es bei Bernhard eben so üblich ist, um daraus sozusagen eine fast allgemeingültige, österreichische Gemütsverfassung zu stricken. Die ist vor allem dadurch geprägt, dass zwar über Vieles nachgedacht wird und vieles bemängelt wird, über vieles geschimpft wird und grundsätzlich ein Gestaltungswille da wäre, etwas zu verändern. Aber auf einzelner, individueller Ebene passiert dann doch nichts. Und dieses ständige sich im eigenen Kopf bewegen und nichts weiterzubringen, das Denken und Nachdenken und Bedenken, und doch niemals Lösungen zu finden, etwas an dieser Spirale zu ändern, das war etwas, was ich zeigen wollte. Diese Verunmöglichung des Lebens durch das Denken.“

„Das war etwas, was ich zeigen wollte. Diese Verunmöglichung des Lebens durch das Denken.“

Buchcover: Das Phantom von Michael Stavarič

Luchterhand

„Das Phantom“ von Michael Stavarič ist im Verlag Luchterhand erschienen.

Wir dürfen dabei sein, wie Thom - das „Phantom“, die Hauptfigur, in deren Kopf wir uns befinden - im Selbstgespräch rasend schnell - das ganze Buch spielt innerhalb einer halben Stunde - seine Verachtung der Welt und der Menschen rauslässt. In ebenso kunstvollen wie wirr assoziierenden Schachtelsätzen, sprachlich bis zur Gestelztheit elaboriert, prasselt die Bernhard’sche Tirade auf uns herein, keine Pause, keine Relativierung hält der Autor für uns bereit, manchmal blitzt Humor in Gestalt von Lakonie in der Erzählung auf, doch sie bringt uns und dem „Phantom“ keine Erleichterung.

Verzweiflung an der Welt

Thom ist an der Welt verzweifelt. Er ist beziehungsunfähig, selbstmitleidig, einsam und mürrisch, er flucht und säuft und schießt im Keller mit mutmaßlichen Neonazis auf Zielscheiben und imaginäre Feinde. Er verachtet die Welt, die keinen Platz für ihn findet, die Menschen, die nur auf der Welt sind, um neidisch und sadistisch sich gegenseitig fertig zu machen.

Thom glaubt genau zu wissen , woher das kommt und reflektiert alles akribisch. Das Aufwachsen in der provinziellen Kleinstadt, mit lauter emotionalen Bezugspersonen, die keinen Zugang zu ihren Gefühlen und keine Lösung für ihre Misere denken können und wollen: Sprachlos leidende, grausam-kalte Eltern, die die Konformität über die kindlichen Bedürfnisse stellen und dessen Bedürfnisse nach Halt und seinen Erlebnishunger im Keim ersticken: Die Mutter, die seiner Geburt die Schuld an ihrem gleichförmigen Leben und ihrer verpassten Karriere gibt. Der meist abwesende Vater, der die Emotionalität seines Sohnes als „unmännlich“ diffamiert. Widerliche, nachtragende Polizisten, die ihre Provinzmacht missbrauchen, frustrierte, Kinder hassende, kettenrauchende Frauen, die ihn als Dieb und Nichtsnutz diffamieren, die konservativen Upper-Class-Eltern der ersten Freundin, die auf seine Herkunft als Kind von „Emporkömmlingen“ herab blicken und die Beziehung zur Tochter verunmöglichen – die sich somit als Urzelle für seine eigene Unfähigkeit zur Liebesbeziehung in einem Bewusstsein einbetoniert. Lauter Feinde des Geistes und der Freiheit und des Mitgefühls.

Glaube an die Liebe vs. Resignation

Er verliebt sich in die Kellnerin seines Stammbeisls, die einzige Person, die ihn auf ihre professionell-sonnige Art gut behandelt, doch eine Annäherung gelingt ihm nicht. Er ergibt sich der Unmöglichkeit, ein gutes Leben selbst gestalten zu können, er hat resigniert.

Das Gespräch mit Michael Stavarič auf der Leipziger Buchmesse führte Zita Bereuter.

Michael Stavarič: „Resignation im Sinne einer falsch an einem selbst durchgeführten Sozialisation - die er dann ja immer wieder bemängelt, weil er sehr wohl ja bereit gewesen wäre, sich auf die Gesellschaft einzulassen und freundlich zu sein - und natürlich auch, was Liebe, Liebschaften und emotionale Beziehungen angeht. Es wäre an sich, von der Anlage und vom Willen her, alles da gewesen, aber es kam nie dazu, dass sich etwas in einer glaubhaften und auch für einen selbst als Existenz sicher scheinenden Art realisieren ließ. Er hätte die Chance gehabt, sein Leben tatsächlich aus eigener Kraft zu verändern und all das, was er bemängelt, an falscher Sozialisation und an falschen Erziehungsmaßnahmen und falschen Begegnungen, doch selbst richtig zu gestalten, auch in seinem Sinne. Aber er scheitert schon in der Art von Aufarbeitung der Schuldfragen, der er sich stellt. Schuld sind, gemäß Bernhard, ja immer die Anderen. Sie sind diejenigen, die es einem schwer machen im Leben, die die falschen Haltungen und Gesinnungen haben und die einen selbst behindern und abbremsen und letztendlich auch dadurch das eigene Leben unmöglich machen. Diese Art von Schuldfragen sind, glaube ich, auch naheliegend: Man merkt ja selber mal, wenn man mit Vorwürfen konfrontiert wird, die Schuld auch bei den anderen zu suchen. Also zumindest zur Hälfte, in Österreich vielleicht zu 80%, bei den Anderen.“

Selbstbeschau über emotionale Kälte

„Das Phantom“ reiht sich ein in eine literarische Tradition von autobiografischen Dystopien, von Sylvia Plaths „Die Glasglocke“, Christoph Heins „Drachenblut“ oder Fritz Zorns „Mars“. Während Bernhard meist wütend politisch und gesellschaftskritisch ist, ist „Das Phantom“ weitgehend eine selbsttherapeutische Analyse, eine Selbstbeschau über die emotionale Kälte.
Die Hauptfigur - bei aller Verzweiflung - ist beseelt von der Literatur und dem Geist. Doch das hilft ihm nichts. Er fühlt sich wie jemand, der innen und außen wie „von Harz überzogen“ ist. Er glaubt dennoch an die Liebe, die ihn retten könnte - er scheitert auch an ihr. Hat hier der Autor in spezieller Grausamkeit einen eigenen Pessimismus siegen lassen?

Michael Stavarič: „Ich bin kein optimistischer Mensch mehr, was die Zukunft der Welt betrifft. Wir leben auch in Zeiten, die von großen Zäsuren und Verwerfungen geprägt sind und riesigen Herausforderungen, vor allem auch an die nachfolgenden Generationen. Das Bild des Harzes und des harzigen Gefängnisses, dieses Konservierens einer Zeit, das sind alles so für mich auch Anspielungen und Punkte, die man auflisten kann, wenn man späteren Generationen vielleicht auch so ein kleinwenig zeigen will, wie es damals war, wie es sich angefühlt hat und wie unfähig man eigentlich war, etwas tatsächlich daran zu ändern.“

„Ich bin kein optimistischer Mensch mehr, was die Zukunft der Welt betrifft.“

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