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Bob Marley

Eddie Mallin | CC BY 2.0

ROBERT ROTIFER

„Inglan is a bitch!“

Aus Anlass der Krönung des neuen englischen Königs thematisieren wir diese Woche das langsame Ende des britischen Empire. Aber hier soll es dabei einmal nicht um irgendwelche verstaubten Rituale gehen, sondern um die britische Popkultur, denn auch diese ist zutiefst kolonial geprägt.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Also, wie ging das gleich: Erst wurde der Blues mit den Sklavinnen und Sklaven nach Amerika verschleppt, dann gab’s da Gospel und weiße Countrymusik, die haben sich vermischt, das ergab Rock’n’Roll, vermarktet von der weißen Musikindustrie, dann hatten wir Soul als schwarze Emanzipation vom weißen Rock, danach Disco und Funk, schließlich kam Hip Hop, parallel zu dem allen läuft die Geschichte Jazz, und übrigens bediente sich die schwarze Musik umgekehrt noch an deutscher weißer Maschinenmusik, und so passierte Techno – hab ich was ausgelassen?

Bild: Bob Marley, 1980 (Eddie Mallin | CC BY 2.0 | Wikipedia)

Allerdings, wir haben das amerikanische Narrativ von Schwarzer und Weißer Musik, inklusive der Debatten um die damit verbundenen kulturellen Aneignungen schon so intus, dass uns eine andere, nicht weniger wichtige, aber kolonial britisch geprägte Erzählung der Popgeschichte erst gar nicht in den Sinn kommt.

Wollt ihr mechanistische „Ohne dies kein das“-Sätze? Bitte, kann ich:

Ohne britisches Empire kein Ska, kein Reggae, kein Dub, keine Soundsystems, ergo keine fetten Bässe, kein Trip Hop, kein Dubstep, kein Drum & Bass oder Grime.

Beeindruckend, oder?

Aber bevor wir uns hier selbst überholen: Die hegemoniale britische Popkultur, sie ist so weiß, dass sie schon 1968 imstande war, die Geschichte des Kolonialismus wie einen selbstironischen Cartoon zu erzählen. Siehe „Victoria“, jenen songförmigen Monty-Python-Sketch der Kinks, jene niedliche Ode an die größte Herrscherin des verblichenen Weltreichs aus dem damals erschienenen Album „Arthur – or the Decline and Fall of the British Empire“:

Canada to India, Australia to Cornwall, Singapore to Hong Kong,
From the west to the east
From the rich to the poor
Victoria loved them all

Indeed, so weiß ist die britische Popkultur, dass die Beatles ganz unschuldig an indischen Instrumenten herumzuspielen begannen, nachdem sie am Set ihres Films „Help!“ mit einer als exotischer Aufputz engagierten Gruppe indischer Musiker*innen zusammengetroffen waren. Resultat: „Norwegian Wood“, „Within You Without You“, und bald darauf ein geläuterter George Harrison, der (im Unterschied zu anderen Zeitgenossen) schnell kapiert hatte, dass er sich mit der Meisterschaft der Sitar dann doch ein bisschen zu viel abgebissen hatte.

Ja, der ganze psychedelische Paisley-und-Kaftan-Kram der Spätsechziger, so sehr ich ihn persönlich liebe, war ganz frag- und zweifellos ein postkoloniales Phänomen, direkt importiert aus den britischen Altwarenläden, die zwanzig Jahre nach dem Ende der Kolonialherrschaft über Indien vor Mitbringseln heimgekehrter Kolonialist*innen nur so übergingen.

Gleichzeitig fand aber noch ein ganz anderer postkolonialer Kulturimport statt.

„Rudy, A Message To You“, von Dandy Livingstone, aufgenommen an der Old Kent Road, South East London, in einem Paralleluniversum zum anderswo psychedelischen Londoner Sommer 1967. Ein Song, der 12 Jahre später in der Version der Specials aus Coventry, als Teil der antirassistisch-schwarz-weißen Two-Tone-Bewegung zum zweiten Mal eine emblematische Rolle in der postkolonialen britischen Popgeschichte spielen sollte.

In den knapp anderthalb Jahrzehnten zwischen dem originalen Ska der Sixties und seinem nostalgischen Revival im Post-Punk Ende der Siebzigerjahre war - in kreativem, transatlantischem Ping Pong zwischen der Schwarzen afrokaribischen Diaspora in Großbritannien und jener in der Karibik - die Entwicklung zum Rocksteady, zum Reggae und Dub vonstatten gegangen, ihrerseits allesamt Grundbausteine späterer Genres wie Trip Hop, Jungle, Drum & Bass, Dubstep, Grime, also von praktisch allem, was Großbritannien an Schwarzer Musik oder Schwarz derivierter Musik hervorgebracht hat.

Der Urknall-Moment dieses weltverändernden Kulturimports lässt sich ziemlich genau datieren, und zwar mit der Ankunft des Schiffs „Empire Windrush“ am 21. Juni 1948 an den Tilbury Docks in London.

Die „Windrush“ hatte auf Einladung der britischen Regierung 693 Menschen aus den karibischen Kolonien nach England gebracht. Ihre Vorfahren waren als Sklaven und Sklavinnen in der Karibik angesiedelt worden, nun kamen sie als vermeintlich gleichgestellte Bürger*innen des britischen Empire mit britischen Pässen in dessen Mutterland an. Einer von ihnen war der aus Trinidad stammende Calypso-Sänger Lord Kitchener und er gab gleich bei seiner Ankunft für die Wochenschaukameras den Song „London is the Place for me“ zum Besten (beginnt bei 0'47“).

Kaum mehr als drei Jahrzehnte liegen zwischen jenem optimistischen Moment und diesem Zeugnis der absoluten Desillusionierung:

„Inglan is a Bitch“ vom Dub-Poeten Linton Kwesi Johnson, aus seinem 1980 erschienenen Album „Bass Culture“, ist eine Abrechnung mit der rassistischen britischen Realität im Namen der Windrush- und Post-Windrush-Generation.

Aber die essentielle Verknüpfung dieser Anklage mit den produktiven Nebeneffekten der britischen Kolonialgeschichte liegt schon in der bloßen Existenz dieser Platte: Nicht nur, weil die Soundsystems der karibischen Diaspora in England ihren eigenen, wesentlichen Beitrag zur Entstehung der Dub Poetry geleistet hatten, sondern ganz simpel, weil die Platten von Linton Kwesi Johnson bei Island Records erschienen: einem ursprünglich in Jamaika gegründeten Label, und zwar 1958 von einem 22-jährigen, weißen Spross einer englisch-kolonialen Bananen-, Kokosnuss- und Rum-Export-Dynastie namens Chris Blackwell.

Blackwell, heute 85, zog 1963 mitsamt seiner Firma nach London und machte dort sein eigenes Geschäft mit dem Import von jamaikanischem Ska nach England. Er produzierte im Jahr darauf „My Boy Lollipop“ von Millie Small, den ersten britischen Ska-Hit.

Und er war in den frühen Siebzigern der Förderer, der Bob Marley & The Wailers die Produktion ihres bei seinem Label erschienenen Durchbruchsalbums „Catch a Fire“ ermöglichte, das gleichzeitig eine antikoloniale Empanzipations-Message verbreitete und Reggae strategisch für weiße Rock-Hörer*innen verdaulich machte.

Auf eine ganz unleugbare Art verkörpern Chris Blackwell und Island Records (der Name war inspiriert von Alec Waughs 1957 mit Harry Belafonte verfilmtem Roman „Island in the Sun“ über rassistisch geprägte, soziale Ungleichheit auf einer fiktiven karibischen Insel) den direkten, zentralen Zusammenhang zwischen Empire und britischer Popkultur.

Vom kulturellen bis zum finanziellen Kapital war Island ein postkoloniales Unternehmen und als solches Ausgangspunkt globaler Karrieren von solch unterschiedlichen Leuten wie Grace Jones, Cat Stevens, Robert Palmer, PJ Harvey oder U2.

Der Umstand, dass diese Künstler*innen jenseits ihres Deals mit Chris Blackwell und Island musikalisch teils so gut wie nichts mit einander gemein hatten und haben, ist seinerseits auch wieder eine schöne Metapher.

Und zwar dafür, wie die Geschichte des britischen Empire bis heute als kaum wahrnehmbares Summen im Hintergrund unter allem liegt, was im postkolonialen Britannien geschieht. Auch in seiner Popkultur.

Aufstieg und Fall des British Empire

Die Krönung von Prinz Charles III. zum König Englands fällt zusammen mit tiefgreifenden Veränderungen für das Vereinigte Königreich und seine Menschen. Das British Empire, einst eine Weltmacht, ist spätestens seit der Rückgabe Hongkongs an China zwar faktisch zu Ende – nicht aber in den Köpfen vieler Briten und Britinnen. (Hans Wu, Universum History)

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