FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Jennette McCurdy

Brian Kimsley

Buch

I’m Glad My Mom Died

Dass Kinderstars oft keine rosige Kindheit haben, wissen wir. Jennette McCurdy war so ein Kinderstar. In der Nickelodeon-Hitserie „iCarly“ spielte sie die freche, charismatische Sam. Mit der Schauspielerei musste sie allerdings den Traum ihrer Mutter erfüllen. Ihr Memoir „I’m Glad My Mom Died“ ist nun ihre schmerzhafte und humorvolle Emanzipation vom Hollywood Showbiz und Dance Moms.

Von Alina Schaller

Buchcover "I'm glad my mom died"

S. Fischer Verlag

„I’m Glad My Mom Died“ ist im S. Fischer Verlage erschienen. Die deutsche Übersetzung stammt von Henriette Zeltner-Shane und Sylvia Bieker.

Jennette Mccurdy ist sechs Jahre alt als ihre Mom beschließt, dass sie ein Schauspielstar wird. Ihre besondere Fähigkeit: Weinen auf Kommando - da strahlt ihre Mom besonders. Jennette muss Schauspielstar werden, weil sie alles machen muss, um Mom glücklich zu machen, sie hatte ja Krebs und wäre fast daran gestorben als Jennette zwei Jahre alt war. Das wird Jennettes Mom auch nicht müde zu erwähnen, vor allem bei Castings oder um einen besseren Parkplatz zu bekommen. Außerdem hat ihre Familie kaum Geld. Das Haus ist bis oben voll mit Gegenständen, Jennettes Mom ist ein Messie. Jennette und ihre Brüder schlafen auf dünnen Matten im Wohnzimmer. Den Zustand beschreibt sie in ihrem autobiographischen Debütroman. Es fühlt sich an, als ob man den Atem durchgehend anhalten würde. Erdrückend.

„Mommy, ich glaube nicht, dass ich nachher weinen kann." [...] Ein Teil von mir wehrt sich dagegen, dass mein Verstand mir ein emotionales Trauma aufzwingen will. Ein Teil von mir sagt: ‚Nein. Das tut mir weh. Ich mach das nicht.‘ Dieser Teil von mir spinnt. Weil er nicht kapiert, dass das doch meine Besondere Fähigkeit ist, die gut für mich, für meine Familie, für Mom ist. Je öfter ich auf Kommando weinen kann, desto mehr Jobs bekomme ich; je mehr Jobs ich bekomme, desto glücklicher wird Mom sein. Ich hole tief Luft, dann lächle ich Mom an.“

Essstörungen aus dem Bilderbuch

Jennette wird älter, sie wächst aus den Kinderrollen heraus. Sie darf aber nicht größer werden, sie soll Moms „kleines Mädchen“ bleiben. Wie man ein „kleines Mädchen“ bleibt? Da hat Jennettes Mom direkt eine Lösung parat: Kalorienrestriktion. Wenn Jennette ihrer Mom zeigt, dass sie nur die Hälfte ihres Tellers gegessen hat, füllen sich Moms Augen mit Stolz. Das wiederum erfüllt Jennette mit Stolz. Wenn Mom glücklich ist, ist Jennette glücklich. Außerdem darf Jennette bis sie 17 Jahre alt ist nicht alleine duschen, ihr Körper wird dabei jedes Mal von ihrer Mom genauestens „untersucht“. Später lernt Jennette, dass ihre Mutter sie emotional manipuliert und körperlich missbraucht hat. Ein Teufelskreis beginnt.

Wenn du oder jemand den du kennst mit einer Essstörung zu kämpfen hat, die Hotline für Essstörungen ist gratis und anonym erreichbar unter 0800 20 11 20. Weitere Hilfsangebote findest du hier!

„Mittlerweile habe ich über zehn Jahre Erfahrung mit Essstörungen. Da waren die Jahre der Anorexie, die Jahre des Binge-Eatings, der Fresssucht, und momentan die der Bulimie. Je mehr ich mich auskenne, desto besser weiß ich, dass der Körper kaum ein zuverlässiges Spiegelbild von dem ist, was in ihm vorgeht.“

"‚Ich würde niemals wollen, dass aus deinem kleinen Schauspielerinnen-Pfirsichpopo der riesige Wassermelonenhintern einer Drehbuchautorin wird.‘ Zur Kenntnis genommen. Mein Schreiben macht Mom unglücklich. Meine Schauspielerei macht Mom glücklich.“

Autorin Jennette McCurdy

Brian Kimsley

There’s No Business Like Show Business

Dass die kleine Jennette beim Nickelodeon-Filmset von „iCarly“ einem „Creator“ besonders gefällt, von ihm sexuell belästigt und ermutigt wird, Alkohol zu trinken, obwohl sie minderjährig ist, scheint ihrer Mom dabei nicht aufzufallen. Hauptsache sie ist dünn und berühmt! Nickelodeon bietet Jennette McCurdy nach „iCarly“ und der Spinoff-Serie „Sam & Cat“ mit Ariana Grande 300.000 Dollar Schweigegeld. Sie lehnt ab. Der persönliche Einblick hinter die Filmkulissen in Hollywood, die von Machtmissbrauch und Essstörungen geprägt sind, zeigen ein zerstörerisches System auf, von dem sich jedes Kind fernhalten sollte.

Als Jennette 21 Jahre alt ist, stirbt ihre Mom an Krebs und Jennette versinkt in einem Strudel aus Alkoholsucht, Kotzattacken, Angstzuständen und toxischen Boyfriends. Als sich letztendlich Jennettes Körper wegen der Bulimie beginnt aufzulösen, startet sie eine Therapie und stellt sich ihren Traumata. Sie beginnt zu heilen.

„Die Jahre, in denen man den eigenen Charakter entwickeln sollte, habe ich Charaktere entwickelt.“

„Meine Befreiung aus einer toxischen Mutter-Tochter-Beziehung“

So lautet der Untertitel von Jennette McCurdys Memoir, das sie mit 30 Jahren veröffentlicht. Sie hat es geschafft. „I’m Glad My Mom Died“ ist eine zutiefst ehrliche, verstörende Abrechnung mit Dance Moms und Football Dads. Die Autorin schafft es, die brutalen Handlungen und Umgangsformen ihrer Mutter mit Humor und kindlicher Naivität zu beschreiben, ohne platt oder vorwurfsvoll zu werden.

Jennette McCurdy war Schauspielerin, bekannt aus den Nickelodeon-Serien „iCarly“, „Sam & Cat“, sowie der Netflix-Serie „Between“. 2017 beendete sie ihre Schauspielkarriere. Sie moderierte den Podcast „Empty Inside“. Und steht mittlerweile als Regisseurin und Drehbuchautorin hinter der Kamera. Ihre Essays erschienen in der Huffington Post und im Wall Street Journal. Vor der Covid19-Pandemie und ihrem Debütroman, war „I’m Glad My Mom Died“ eine One-Woman-Show.

Sie lässt ihren Beobachtungen freien Lauf und zeichnet ein Bild von einer zwiegespaltenen Tochter. Eine, die zwischen fake smile und aufrichtigem, warmherzigen Umsorgen hin und her schwankt. Selbst schwer tragische Momente bekommen bei ihr eine Leichtigkeit. Trotzdem spart sie kein Detail aus, vor allem wenn sie ihre Essstörungen beschreibt.

Wir leiden und lernen mit ihr. Und genau das unterscheidet Jennette McCurdys Memoir von 0815 Star-Memoiren. Wir halten hier einen pointierten, intelligenten, tiefgehenden Debütroman einer jungen Autorin in unseren Händen. Einen Roman, der zurecht ein „massive hit“ ist, wie Trevor Noah meint und bereits seit über 40 Wochen in der New York Times Bestseller Liste. Zum Glück arbeitet die frisch gebackene Autorin bereits an zwei weiteren Büchern. Am Ende sind wir nämlich heilfroh, dass Jennettes Mom tot ist und sie sich nun ihrer wahren Leidenschaft Schreiben hingeben kann. Wir wollen mehr!

mehr Buch:

Aktuell: