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"Succession"

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Not so funny in a rich man’s world

Die großartige HBO-Serie „Succession“ ist zu Ende. Ein Blick zurück auf fünf Jahre Tragik, Komik und Beleidigungen der Königsklasse.

Von Pia Reiser

Das Joki-Kirschner-Memo, dass Geld glücklich macht, wenn man rechtzeitig drauf schaut, dass man’s hat, wenn man’s braucht, hat die Familie Roy aus „Succession“ nie bekommen. Am Geldteil scheitert es nicht, hat Logan Roy (Brian Cox) doch mit Waystar Royco ein Medienimperium mit Filmstudio-, Vergnügungspark und Kreuzfahrtausläufern erschaffen. Klassischer amerikanischer Traumnachbau, als Kind mit nichts in die USA gekommen, ein Selfmademan.

Fünf Jahre, vier Staffeln, 39 Episoden und unzählige Think Pieces über die exzellente HBO-Serie später ist die Erzählung von einer schwerreichen, schwer unglücklichen und fluchbegabten Familie nun zu Ende gegangen und das Ende von „Succession“ markiert nun wohl auch das Ende - oder zumindest eine kratertiefe Zäsur - in der Geschichte des „Prestige Television“. Die Idee, dass eine Fernsehserie mehr sein kann als Zeitvertreib, ist ja relativ neu. Sieht man von der Ausnahmeerscheinung „Twin Peaks“ und Geschichts-Aufklärungsserien wie „Holocaust“ oder „Roots“ ab, dann waren Serien jahrzehntelang die - von der Kritik - wenig beachtete und kaum geschätzte, entferne Verwandte der Grande Dame namens Kino.

HBO ändert in der Beziehung das Was und das Wie. „The Sopranos“ wird zum ersten Baustein, der die Art, wie Serien gemacht werden und wie sie wahrgenommen werden, ändert. Plötzlich war da eine Serie, die Haptik, Tiefgang und Epos hat wie ein Film, ein Antiheld, der sich klar von den klassischen Hollywood-Mafiamännern unterscheidet. Und bereits 2001 beginnt HBO mit einem On-Demand-Service. Plötzlich kann man Versäumtes nachholen, ohne auf den VHS/DVD-Release zu warten. HBO legt nach mit „The Wire“ und „Six Feet Under“, es folgen - auf anderen Sendern - „Breaking Bad“ und „Mad Men“ und der Begriff Prestige Television - und Theorien, dass Serien der neue Roman sind - werden verwendet, wenn man über diese Serien spricht.

Szenenbild "Succession"

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Inzwischen gibt es zwar viele Streamer mit zahlreichen Serien, doch HBO hat weiterhin einen Vertrauensvorschuss. Es gibt Serien und es gibt HBO-Serien. Und dann gibt es „Succession“. Erdacht vom Briten Jesse Armstrong, der als Drehbuchautor von „Veep“ und „In the Loop“ bereits beweisen hat, dass er ein Interesse an Räumen der Macht hat. Mit einem der Produzenten der Show - Adam McKay - hat Armstrong wohl auch eine Affinität zu einer Komik, die sich aus einer nervösen Energie speist und gerne in Cringe-Territorien punktgenau aber ins Schwarze trifft.

„Succession“ lebt natürlich davon, dass die Kombination aus Reichtum und Unglück eine für Film und TV immer sehr anziehende war, in die billige Metapher vom Goldenen Käfig tapst „Succession“ aber kein einziges Mal. Die Serie speist sich aus Referenzen zur Murdoch-Familie und den Redstones genauso wie aus Anekdoten über Robert Maxwell. Murdoch selbst sagt übrigens, er hat noch nie „Succession“ gesehen, nach der Scheidung musste seine Ex-Frau Jerry Hall allerdings unterschreiben, dass sie keine Details aus dem Murdoch’schen Privatleben an die „Succession“-MacherInnen weitergibt.

Aber mit der Murdoch-Erwähnung wird man „Succession“ nicht gerecht. Vom gefeierten Shakespeare-Darsteller Brian Cox ist es ohnehin immer nur ein Gedankensprung zu Vorbildern aus dem Theater, dass Logan Roy - dessen Nachname ja schon recht nah am französischen Roi und am Wort royal angesiedelt ist - auch eine moderne Bully-Variante von König Lear ist, ist nicht gerade ein Easter Egg. Und Lear und Murdoch haben gemeinsam, dass sie nicht wirklich wissen, wer ihre Position übernehmen soll, wenn sie mal nicht mehr sind. Wer soll es sein, der one king to rule them all.

Szenenbild "Succession"

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Das Faszinierende an „Succession“ war dann in einer Zeit, in der das greisliche Wort Content wie ein Schreckgespenst durch Diskussionen über Kultur spukt, dass man die Serie nicht wirklich wegen des Plots angeschaut hat. Im Gegensatz zu großen Erzählungen von tragischen Männern wie Tony Soprano und Don Draper im Wigelwogel mit sich und der Welt, deren Erzählungen einen klaren einen Start- und Endpunkt (jaja, ich weiß um die Diskussionen um das Sopranos-Ende) und man auch wissen wollte, wo diese Figuren wohl enden würden, war die Neugier darauf, wer denn tatsächlich Logan Roys Nachfolger werden würde, eher gering, aber wie hier familiäre und geschäftliche Beziehungen und Hintergehungen aufgefädelt, verstrickt und entwirrt wurden, war das, was einen dabei hielt.

„Succession“ sieht anders aus als die meisten Serien, es wurde auf 35-Millimeter-Film gedreht, die Kamera ist quasi dauernd in Bewegung, täuscht Dogma95 und Dokumentation an. Schnelle Zooms auf Gesichter, Halbsätze aus dem Off, Personen, deren Rücken einem die Sicht nimmt. Noch mehr als die Bildsprache ist es aber die Sprache von „Succession“, die die Serie einzigartig macht.

Schwer dialoglastig, aber ohne die tendenziell besserwisserische Referenzkanone eines Aaron Sorkin, haben Jesse Armstrong und seine AutorInnen nicht nur einen eigenen Duktus, sondern gleich auch eigene Wortkreationen hervorgebracht. Dass die Serie sensationell ist, was Flüche und Beleidigungen angeht, hat sich schnell herumgesprochen („I look at your face and, no offence, but I see dead babies“), aber auch was hier an Beschreibungen verbal zusammengepappt worden ist, verdient zumindest Einträge in ein Urban Dictionary: Von Techno Gatsby über Pain Sponge zu Human Chernobyl. Von literarischen Anspielungen wie „He once called me the cunt of Monte Christo“ bis zu simplen, aber wohlklingenden Sätzen wie „I know a thing or two about a thing or two“.

Das ja an sich noble carpe diem wird bei Kendall Roy zu einem carpe the diem, people, wenn er wieder mal vermeintlich siegessicher durch die Bürogänge von Waystar Royco hetzt, ein kleiner Reminder zwischendrin, dass Kendall - tragischer Held hin oder her - auch natürlich ein Wappler ist.

In der Struktur von „Succession“ steckt das Gerüst einer Sitcom, in der sich Figuren nie ändern und im Grunde in jeder Episode von neuem starten, das Geifern der Kinder nach der Liebe und Aufmerksamkeit ihres übermächtigen Vaters, die sie nie bekommen haben und erhoffen in Form seiner Nachfolge zu erreichen, ist ein ewiger Loop, es sind kleine Whirlpools der Verzweiflung, der kurzen geschwisterlichen Versöhnungen, gefolgt von backstabbing, frontstabbing, überalhinstabbing. Shiv, so die Abkürzung von Shioban, der einzigen Tochter von Logan, bedeutet nicht umsonst Messer.

„Succession“ hat uns keine Figuren gegeben, an denen wir uns anhalten konnten, angetäuscht wurde Cousin Greg (Nicholas Braun) in der ersten Folge als Figur aus der echten Welt, mit deren Blick wir auf die Roys schauen, doch schneller, als man I’m more than a sprinkle sagen konnte, war klar, dass Greg in Sachen Egoismus (er strebt später mal eine Klage gegen Greenpeace an, weil sein Großvater Greenpeace und nicht ihm Geld vererbt hat) und Rückgratlosigkeit seinen Cousins und Cousinen um nichts nachsteht.

Szenenbild "Succession"

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Gleiches gilt für Tom Wambsgans (Matthew MacFadyen), Shivs Ehemann aus dem mittleren Westen, der - wollen wir ihm das mal zugutehalten - immerhin der einzige ist, der die Annehmlichkeiten des Reichtums noch zu schätzen weiß. Im Gegensatz zu „The White Lotus“ begibt sich „Succession“ nie in die Gebiete des wealth porn. Die Penthäuser, Villen in der Toskana, die Yacht am Mittelmeer, das Haus auf Barbados. Nichts davon inszeniert die Serie als Sehnsuchtsort, alles ist durchtränkt von der unentrinnbaren Traurigkeit und der Abwesenheit von Wärme und Wertschätzung.

Umso herzzerreißender sind dann die Momente, in denen sich die drei Roy-Kinder mal verstehen und in Rituale aus ihrer Kindheit abbiegen - siehe das Serienfinale, in dem sie nicht nur ein Spiel ihrer Kindheit wiederholen („Meal fit for a king“), sondern auch einen Kinderreim („Silence in the courtyard, silence in the streets“). Die Einigkeit zwischen den Roy-Geschwistern funktioniert nur als Zitat aus der Vergangenheit, nur kurz in der Gegenwart und nie in der Zukunft. Der geschwisterliche Neid definiert die Beziehungen untereinander, am Ende laufen große und gewichtige Entscheidungen wie die Präsidentschaftswahl („So because we had so much chicken when we were kids, I have to like the fascist?“) oder warum man Vaters Erbe antreten soll („I am the eldest boy!“) auf alte und ewige Kinheitsstreitereien hinaus.

Kindische Konflikte haben hier Auswirkungen auf die Weltpolitik, „Sucession“ wirft Blicke auf die Roys und die Welt, die sie regieren und verwüsten: Der von britischer Komik schwer eingefärbte Blick auf eine amerikanische Tragödie spart auch nicht mit Inszenierungen von Zeitgeist-Auswüchsen, von Old Media vs New Tech, Verschlingungen von Politik und Medien, rechten Politikern mit großer Verführungskraft, systemimmanentem Sexismus, Vertuschung von Verbrechen. Ganz entgegen der Netflix’schen Bauweise von Serien (und Filmen) fordert „Succession“ auch die volle Aufmerksamkeit des Publikums, für second screens ist hier kein Platz und keine Zeit, für Erklärungen sowieso nicht, von essentiellen Entwicklungen erfährt man eventuell nur in einem hingemurmelten Halbsatz.

Alte Wunden werden im Finale metaphorisch und tatsächlich aufgerissen, das familiäre Trauma ist unentrinnbar und Kendalls Vermutung, wie sein Vater zu sein, trifft wohl zu: The poison drips through.

Das Finale von „Succession“ zeigt, dass es in diesem Machtszenario niemand gibt, der gewinnt, eine eiskalte Handberührung, ein angedeutetes Lächeln und ein Blick ins Leere begleitet uns hinaus aus der Serie und nachdem man die verführerische Titelmelodie von Nicolas Britell zu Ende gehört hat, gibt es nur eines, was man nach „Succession“ machen kann. Von vorne beginnen.

Im FM4 Filmpodcast ist diese Woche Kulturredakteurin Lilian Moschen zu Gast. Wir sprechen über den Stil, die Komik, die Tragik der Serie - und machen einen Recap der Episoden „Connors Wedding“ und „With Open Eyes“ aus der vierten Staffel.

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