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Eine Animationssensation: “Spider-Man: Across the Spider-Verse"

Ein Film für Kinder und Akademiker*innen, Comicnerds und Young-Adult-Fans, Liebhaber*innen von Hip-Hop-Kultur und Punk-Plakativität. Ein Marvelfilm als blitzgescheites Popkunstwerk, auch das ist möglich.

Von Christian Fuchs

FM4 Film Podcast #183: Spiderman: Across the Spider-Verse

Wer sich nicht näher mit Comic-Blockbustern beschäftigt, hat längst die Übersicht über all die Spider-Männer verloren, die im Kino herumschwingen. Den fortschrittlichsten, innovativsten und visuell atemberaubendsten Blick auf die berühmte Marvel-Figur wirft das Animationskino.

Christian Fuchs, Natalie Brunner und der Comic-Spezialist Gerd Holoubek reden über den sensationellen „Spiderman: Across the Spider-Verse“ - und rollen auch ein wenig die Geschichte des ikonischen Titelhelden auf.

Montag, 12.06.2023, um Mitternacht auf FM4 und überall, wo’s Podcasts gibt.

Bei einem Liveeinstieg unlängst auf FM4 wurde ich gefragt, was ich denn persönlich mit Spider-Man verbinde. Die Antwort ist einfach: Ein kleines Stückchen Lebensrettung. Als schüchterner Bub mit Comic-Vorlieben, popkulturellen Affinitäten und einer gleichzeitigen Abneigung gegen jegliche sportliche Aktivität, konnte man sich in meiner Kindheit nur mit einem Superhelden wirklich identifizieren: Spider-Man.

Denn der populärste Charakter des Marvel-Verlags war nicht nur ein echter Außenseiter. Im Gegensatz zu anderen Einzelgängerkollegen wie Batman oder Hulk hatte „Die Spinne“, wie die Figur in frühen deutschen Veröffentlichungen hieß, weder etwas Martialisches an sich noch die Aura eines schwerreichen Macho-Playboys.

Spider-Man war ein patscherter, am Schulhof gemobbter Teenager von nebenan namens Peter Parker, der nur durch den Biss einer radioaktiven Spinne übernatürliche Kräfte erlangt hatte. Ein Bilderbuch-Nerd mit höllischen Alltagsproblemen, der verträumten Seelen wie dem Schreiber dieser Zeilen als ideales Unterstufen-Idol diente.

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Von Tobey Maguire zu Andrew Garfield

Wirkliche emotionale Tiefe hatte Spider-Man aber nur auf dem Papier. Sämtliche filmischen Umsetzungen der Spinnen-Saga der 60ies und 70ies, ausschließlich via TV, konzentrierten sich auf käsige Kriminalfälle, die den Netzschwinger beschäftigten. Erst am Anfang dieses Jahrhunderts wurde es ernst in Sachen Spidey. Oder zumindest halbernst, ganz im Geiste der Comics, die zwischen kindischen Onelinern und purer Tragik pendeln.

Genre-Zauberer Sam Raimi schnappt sich den aus eher seriösen Filmen bekannten Toby Maguire und steckt ihn 2002 in den berühmten rotblauen Spandex-Dress. In den ersten beiden Filmen seiner Spider-Man-Trilogie vermischt der Regisseur spielerisch Action, Drama und infantile Witze, der dritte Teil bleibt leider nur als schwer überladenes Blockbuster-Epos in schlechter Erinnerung.

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„The Amazing Spider-Man“

Das Sony Studio, das die Rechte dem damals gerade schwächelnden Marvel-Imperium abgekauft hat, wagt den Relaunch früher als erwartet. Andrew Garfield, der britische Hollywood-Export mit der Spezialisierung auf schlaksige Leinwand-Sensibelchen, schlüpft ins Kostüm des „Amazing Spider-Man“. Sein Peter Parker wirkt weniger geeky als Maguire, aber gleichzeitig auch fragiler. Die beiden Filme, unter der eher dürftigen Regie von Marc Webb, rücken die Beziehung zwischen Garfield und Emma Stone aka Gwen Stacy ins Zentrum, zeigen einen geplagten Antihelden und endlose Kampfszenen, die wie einfallslose Computerspiele wirken.

Heimkehr ins Marvel-Universum

Zu einem Abschluss der ebenfalls als Dreiteiler geplanten Reihe mit Andrew Garfield kommt es nicht, weil Spider-Man anno 2016, in einem „Captain America“-Film, endlich ins Marvel Cinematic Universe heimkehrt, denn der im Besitz von Disney befindliche Comickonzern hat mit dem Konkurrenten Sony einen Deal abgeschlossen, der offenen Austausch von Figuren erlaubt.

Seit „Spider-Man: Homecoming“ verkörpert der junge Brite Tom Holland den Spinnenjungen mit der frechen Schnauze. Drei routinierte, unterhaltsame, aber auch etwas einfallslose Filme gibt es rund um ihn, plus Gastauftritte in anderen Marvel-Blockbustern. In „Spider-Man: No Way Home“ treffen Toby Maguire und Andrew Garfield auf ihren Gegenpart Holland, das Multiverse macht’s möglich.

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„Spiderman: No Way Home“

Ein lustiges, stellenweise berührendes Generationen-Meeting, das trotzdem einen bitteren Beigeschmack hinterlässt. Für Hollywood, so scheint es, ist das Multiversekonzept ein Marketingtraum. Mit Hilfe pseudowissenschaftlicher Drehbuchtricksereien lassen sich Stars aus allen erfolgreichen Zeiten lukrativ verbinden. Und Besucher*innen sämtlicher Altersstufen dadurch ins Kino locken.

Psychedelisch-trippige Bilder

Warum eine dermaßen lange Einleitung, warum die ganze Spider-Historie beleuchten, wo es hier doch eigentlich um einen anderen Film geht? Weil „Spider-Man: Across the Spider-Verse“ erst richtig Sinn macht im Kontext der Spinnenfilm-Geschichte. Und weil dieses Animations-Epos auch als Gegenreaktion auf all die bisherigen Spider-Männer, von Maguire über Garfield bis Holland, inklusive Cartoon- und TV-Inkarnationen, zu sehen ist. Eine zweistündige Orgie aus Farben, Formen und Licht, ein visueller Geniestreich, der inhaltlich die Grenzen des Spinnenuniversums drastisch erweitert.

Wobei ich zugegeben muss, dass der ganz große Euphoriemoment meinerseits dem Vorgängerfilm gehört. „Spider-Man: Into the Spider-Verse“ wurde 2018 zurecht als bester Animationsfilm des Jahres gefeiert, bejubelt und mit einem Oscar prämiert. Das knallig-bunte Werk, ausgedacht vom Kreativduo Phil Lord und Chris Miller („The LEGO Movie“), produziert von Sony mit Marvel-Mithilfe, zeigte einem Bilder, wie man sie sonst nur aus psychedelisch-trippigen Comics kennt. Und gleichzeitig bedienten sich die Macher auf unglaublich clevere Weise aus dem Fundus und dem Figurenpersonal des Netzschwingers.

Während Repräsentation und Rebellion in manchem Teenagerdrama dieser Tage fast aufgesetzt wirken, fühlte sich „Spider-Man: Into the Spider-Verse“ wie ein Film nach einer friedlichen Revolution an. Statt Weißbrot Peter Parker seilt sich in einem anderen Universum ein Latino-Jugendlicher namens Miles Morales zu Hip-Hop-Beats durch den Großstadtdschungel. Ein Teilchenbeschleuniger konfrontiert ihn mit Superheld*innen aus anderen Welten, aber auch mit ihren diabolischen Gegenparts von der Verbrecherseite.

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Spider-Männer, Spider-Frauen und Spider-Babies

Es ist die Art und Weise, wie Lord, Miller und ihr vielköpfiges Regieteam das Außenseiter*innenthema behandeln, die auch im neuen „Spider-Man: Across The Spider-Verse“-Film so bestechend wirkt (das Gender-Sternchen wurde übrigens für diesen Streifen erfunden, der eine Vielfalt der Geschlechter und Ethnien inkludiert).

Gebeutelte Outsider sind im Spider-Verse nicht nur die blassen Boys aus der amerikanischen Mittelklasse, die das Coming-of-Age-Kino so lange schon bevölkern (und die, wie eingangs erwähnt, auch ihre steirischen Pendants beeindruckten), das Multiversum rund um Miles Morales (Shameik Moore) zeigt ein spannendes und schillerndes Spektrum an Spider-Männern, Spider-Frauen, Spider-Babies und sogar Spider-Tieren. Nicht alle fühlen sich so isoliert wie Peter Parker und Miles Morales, der indische Spider-Man dürfte sogar ziemlich viel Spaß bei seinen Aktivitäten haben.

Totale Teenage Angst dominiert aber den Handlungsstrang rund um Gwen Stacy, im Original von Hailee Steinfeld gesprochen. Im Chaos der Figuren und dazugehörigen grafischen Styles (Spider-Punk alias Daniel Kaluuya ist beispielsweise im britischen Fanzine-Stil der frühen 80er gezeichnet) kristallisiert sie sich neben Miles Morales als Schlüsselfigur heraus. Als Spider-Girl führt Gwen ein klassisch ambivalentes Superheld*innenleben, ausgerechnet der eigene Polizistenvater hält ihr kämpferisches Alter Ego für eine Mörderin. Bis ins Mikro-Detail präsentiert der Film ihr Innenleben, auch wenn oft nur wenige Zeichenstriche reichen.

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Radikale Reizüberflutung

Rund um Miles, Gwen und deren tragisches Verhältnis zu ihren Eltern entspinnt sich ein komplexer Plot, der aber nie unnötig verwirrend anmutet. Ein mysteriöser Bösewicht namens The Spot (Jason Schwartzman) bringt das Geschehen mit einer erneuten Manipulation der Paralleluniversen ins Rollen. Unzählige Wesenheiten in Spinnenkostümen müssen sich zu einer riesigen Organisation zusammenfinden, um, wieder einmal, das Ende der Welt/ihrer Welten zu verhindern.

Das klingt zunächst nervig, wenn man, wie der Schreiber dieser Zeilen, beim letzten „Dr. Strange“-Film aus dem Kino flüchten wollte – und auch bei „Everything Everywhere All at Once“ eher Kopfweh bekommen hat. Aber „Spider-Man: Across the Spider-Verse“ nimmt, trotz unzähliger Insider-Pointen, die Idee des Multiversumswahnsinns ganz ernst. Jede Menge Melancholie umhüllt zunehmen das Szenario, die tragischen Zeitreisekonflikte von Miles & Co. lassen gar an TV-Serien wie „Dark“ denken.

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Dem Doom & Gloom auf der Story-Ebene steht aber als Kontrast die Verpackung entgegen. Radikale Reizüberflutung regiert da, explodierende Farbtöpfe rinnen über die Leinwand, wahre Fluten von Symbolen, Typografien und Zeichen kollidieren. Im Hintergrund läuft in einer winzigen Szene eine Ausstellung von Jeff Koons, im Vordergrund ist ein Tribut an eine rare Marvel-Comicära zu sehen. Jeder Kader ein Easter-Egg-Wahnsinn, aber nie sinnentleert nerdig, sondern mit akademisch klugem Anspruch. Ja, ich spreche hier von einem schnöden Marvel-Film, der aber nebenbei ein sophisticated Pop-Kunstwerk ist.

FM4 Film Podcast #183: Spiderman: Across the Spider-Verse

Wer sich nicht näher mit Comic-Blockbustern beschäftigt, hat längst die Übersicht über all die Spider-Männer verloren, die im Kino herumschwingen. Den fortschrittlichsten, innovativsten und visuell atemberaubendsten Blick auf die berühmte Marvel-Figur wirft das Animationskino.

Christian Fuchs, Natalie Brunner und der Comic-Spezialist Gerd Holoubek reden über den sensationellen „Spiderman: Across the Spider-Verse“ - und rollen auch ein wenig die Geschichte des ikonischen Titelhelden auf.

Montag, 12.06.2023, um Mitternacht auf FM4 und überall, wo’s Podcasts gibt.

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