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Bilderbuch @Nova Rock 2023

Franz Reiterer

festivalradio

Lass die Zukunft hinter dir

Bilderbuch sind gestern am Nova Rock Festival 2023 aufgetreten, die Show war groß und die zwei Weltpremieren der brandneuen Singles „Softpower“ und „Dino“ auch.

Von Lisa Schneider

FM4 Festivalradio - live vom Nova Rock
Interviews mit Disturbed, Yungblud uvm., Publikumsstimmen, Eindrücke, Ausdrücke - das und mehr hört ihr heute, 10.6.2023, ab 13 Uhr auf FM4 in unserer Nova Rock Ausgabe des Festivalradio

Bilderbuch haben noch nie ein wirklich schlechtes Lied geschrieben, trotzdem war das letzte Album „Gelb ist das Feld“ eher eins für die Zweifelnden. Wer bis dahin noch kein Bilderbuch-Fan war, war hiermit raus. „Gelb ist das Feld“ war ein Album für Menschen, die gern auf Referenzensuche gehen und die verstanden haben, dass auch eine Band in irgendeiner romantischen Ecke dieser Welt (Nahuel Huapi?) ein organisch gewachsenes Konstrukt ist. Da atmet, denkt, lebt und leidet jemand, in dem Fall sogar mehrere, die mögen einander meistens sehr, manchmal halt aber auch nicht, die kennen einander gut, so gut, dass der Austausch auf kreativer Ebene diesen ganz speziellen sparkle bekommt.

In eben dieser romantischen Weltecke gäbe es weder Streamingzahlen noch Musikkritiken, nicht mal Fans, die man enttäuschen könnte. In genau dieser oder für diese Welt haben Bilderbuch ihr letztes Album geschrieben, und es ist nicht dennoch, sondern genau deshalb gut.

Bilderbuch @Nova Rock 2023

Franz Reiterer

Und da stehen wir jetzt am Nova Rock, dessen Kraut- und Rübenpolitik sich in punkto Line-Up prinzipiell eh in Grenzen hält, sich aber ab und zu durchaus einen kleinen Spaß erlaubt. Einen großen, in diesem Fall, Bilderbuch spielen den Headliner-Slot am Freitagabend (nennen wir’s mal so, Scooter spielen zwar noch danach, aber das geht dann schon Richtung After-Hour). Es ist ihr erster Auftritt hier auf den Pannonia Fields in Nickelsdorf.

Montags noch, beim Konzert von The 1975 in der Wiener Stadthalle, wo sich unter anderem auch Bilderbuch-Bassist, vor allem aber kluger Tüftler Peter Horazdovsky eingefunden hat, Matty Healy beim Traurigsein zuzuschauen (Taylor?), kommt das Gespräch kurz aufs Nova Rock und auf die Proben davor und dass alles sehr gut läuft. Sind Bilderbuch nicht zu sehr Coca-Cola, Fanta, Sprite (soft) für diese Bühne? Andererseits: Hände hoch, wer noch nie über den matschigen Campingplatz gegangen ist und irgendwo gelbe Handschuhe gesehen oder gehört hat.

Bilderbuch @Nova Rock 2023

Franz Reiterer

Keine Sorge, es geht mit den zwei Weltpremieren, die wir da gestern live gesehen haben, natürlich nicht in die Rage Against The Machine-Richtung. Dafür sind Bilderbuch viel zu elegant. Und, wie schon häufiger an dieser Stelle festgestellt, trauen sich die auch noch was. Man stelle sich das nämlich so vor: Es ist Festival Tag drei, der Abend ist schon fortgeschritten, den Menschen vor der Bühne geht es gut, sie alle reisen in Durstgeschwindigkeit. Und dann kommen da Bilderbuch und hängen gleich vorweg zwei Lieder in die Auslage, bevor die Spliffs gezündet oder das Frisbee geschmissen wird.

Ein Riesenvorhang fällt nach dem Intro, diese Festivalshow ist auf Stadion getrimmt oder zumindest auf die Idee hin, dass alle nur wegen Bilderbuch hier sind. Das ist nicht mit Arroganz zu verwechseln. Wer auf einem Festival den letzten Slot vor HP Baxxter spielt, macht sich im besten Fall seine Gedanken. Showeffekte haben noch keiner Liveshow geschadet, Konfetti, alles laut und leuchtend, und dann, zur Maschin passend, die Motoren gestartet und raus mit dem Feuer. Dass kein Headliner hier am Nova Rock auf seine Pyroshow verzichtet, ist ja fast schon Tradition.

Bilderbuch @Nova Rock 2023

Franz Reiterer

Und jetzt also die neuen Lieder! Bilderbuch spielen sie eben gleich am Anfang vom Set, das erste heißt „Softpower“, das zweite „Dino“. Die kleine und die große Schwester, Reihenfolge gar nicht so wichtig, das ist ein Soundkleid und es ist natürlich neu. Da wird hinaufgeschielt nach UK (also gar nicht mehr so wie früher mal eher nach US, zu Kanye oder überhaupt in die wild-lieben Gebiete von Lynyrd Skynyrd). Dass sich da schon wieder was ändern muss in Attitüde und Stil, von Genre redet eh niemand mehr, hat die Band erspürt. Was für uns plötzlich wirkt, läuft wie eh jede musikalische Produktion im Hintergrund schon seit Monaten. „Alles was du musst ist warten / Oh I think it’s a depression“: Existenzängste und auch sonstige anxiety issues stellen Bilderbuch wiedermal neben Nonsens-Lyrik, weil wie soll man mit der Lächerlichkeit Leben sonst umgehen.

Höchstpathetisch also und im nächsten Atemzug dann schon wieder nicht. Da sind die Träume zu hell, das Leben dreht sich in spirals, das Chaos ist angerichtet, aber immerhin, mit Liebe. Bilderbuch schreiben mit so einer Leichtigkeit und manchmal Blödeligkeit über die Anstrengung, die es kostet, das alles zu machen und zu bleiben und zu arbeiten, sich abzurackern für den großen Traum, auf der großen Bühne zu stehen. Niemand steht über den Dingen, alle stehen mittendrin.

Bilderbuch @Nova Rock 2023

Franz Reiterer

Mehrere Lieder sind schon fertig, die werden wohl alle gut zusammengepackt eine neue Bilderbuch-Ära einleiten. Die blöde Phrase des „sich selbst neu Erfindens“ schenken wir uns, weil was soll man denn sonst machen, wenn man nicht immer wieder dasselbe Lied schreiben mag. Schaut euch die Insta-Story von FM4 an, da sind sie drin, die neuen Lieder, oder lest mal hier mit: Auf „Softpower“ treffen 90er-Pop-Schmunzler auf Radiohead („Bodysnatchers“!) und das klingt immer noch gut, weil gar nicht so arg.

Bilderbuch können heute und wohl auch noch morgen alles, sie können vor allem auch gut referenzieren und das nicht nur auf oder über andere, sondern vor allem auf den eigenen Bandkatalog. „Nimm deine Hände vom Lenkrad / hinab geht es ohnehin“ singt Maurice Ernst in „Dino“, dem Untergang immer mit Lässigkeit entgegen, da wären wir wieder bei den Lächerlichkeiten. Spacig, trippy und sanft industrial, nicht so kühl wie bei Archive, weil dafür viel zu klassisch Britpop-harmonieverliebt. Macht man fest die Augen zu, ginge sich hier noch eine Tame Impala-Referenz aus, eine Ride-Referenz. Die ist aber eh fad, die atemlose Aufzählerei, und das sind die Lieder schon mal nicht. Gut sind die, die viel anbieten.

Bilderbuch @Nova Rock 2023

Franz Reiterer

Gerade nach diesem Bilderbuch-Auftritt darf man schon mal kurz zur Seite treten, das Kaltgetränk abstellen und über die Welt nachdenken. Über die extravagante Bilderbuchwelt. Diese Menschen haben „Checkpoint (Nie Game Over)“ geschrieben und „Willkommen im Dschungel“ und „Baba“, und sogar der anspruchsloseste unter ihnen ist noch ein Hit („Bungalow“). Und so viele mehr, man glaubt’s fast schon nicht mehr, wenn man da durch die Setlist scrollt. Ein bisschen Stolz ist da vielleicht dabei, bei einer Band, die seit Anfangstagen hier dabei war, auf den gelben Seiten, und die da jetzt abräumt, als wäre die Zukunft tatsächlich gestern passiert. „Wir sind nie game over“ stimmt halt schon wieder.

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