Meine Eltern waren auch mal Rebellen
Eine Kolumne von Todor Ovtcharov
Damals wurde der Westen von der kommunistischen Propaganda als dekadent und als eine Quelle ideologischer Faulheit dargestellt. Doch mit dieser Faulheit wollten sich alle anstecken: Sie wollten Rockmusik hören und gegen die moralische und materielle Zensur kämpfen. Auf der Hauptstraße jeder Stadt standen Polizisten, die mit einem Lineal die Länge der Röcke der Frauen gemessen haben. Waren sie kürzer als die erlaubte Länge, wurden sie als Strafe mit einer Schere zerschnitten. Unsere Väter trugen aus Protest lange Haare und Bärte und unsere Mütter trugen aus Protest kurzen Röcke. Ihr Ideal war die liberale westliche Demokratie.
Als ich ein Kind war, war der Kommunismus weg und es gab neue Ideale. Statt Marx und Lenin regierten muskulöse Jungs mit Baseballschlägern die Städte. Der Staat fehlte und diese Schlägertrupps ersetzten ihn. Sie hörten Turbofolk, fuhren teure Autos und erschienen in Begleitung von Silikonschönheiten. Als Rebellion gegen sie hörten wir Techno oder Metal. Die ganz mutigen machten sich Tattoos und Piercings. Wir folgten diversen Subkulturen, um gegen die muskulösen Businessmänner zu sein. Der Liberalismus war in Mode.
Letzte Woche traf ich den Teenagersohn von Freunden von mir, Menschen die im Kunstbereich arbeiten. Er rebelliert gegen ihre liberale Ansichten in dem er sehr konservativ ist. Er verehrt den starken Staat. Er findet, die Demokratie ist schädlich und man brauche eine starke Hand. Sein Profilbild in den sozialen Netzwerken wird von einer Nationalfahne geziert. Er verspottet die EU und die liberalen Werte. Es ist nicht mehr cool kosmopolitisch und tolerant zu sein. Der Kreis schließt sich. Aber wie kann er wieder gebrochen werden?
Publiziert am 13.09.2023