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Filmstill aus Moonlight

Thimfilm

Arthaus mit Crack

„Moonlight“ ist filmgewordene Pionierarbeit. Allerdings nicht in Sachen queerer Film, sondern bei der Dekonstruktion von Männlichkeitsbildern.

von Pia Reiser

Ein Blick und eine Bürste. Mehr braucht Regisseur Barry Jenkins in einer Szene ungefähr zehn Minuten vor Schluss in „Moonlight“ nicht, um endgültig zu demonstrieren, was er mit diesem Film abbilden und dekonstruieren wollte. Wenn sich Kevin (Andre Holland) in einem Auto sitzend die Brauen und den Bart bürstet und dann dem neben ihm sitzenden Chiron (Trevante Rhodes) einen Blick voll Sanftheit zuwirft, dann leistet „Moonlight“ Pionierarbeit, während aus den Autoboxen fast ironisch „Classic Man“ wummert. (Kennt man den Song nicht, funktioniert es einfach als gesungener Kommentar zu Chiron, der versucht das zu sein, was von ihm als schwarzer Mann erwartet wird. Kennt man die Lyrics und das Video, wird es fast zum Witz auf der Referenz-Ebene.) Noch überraschender wärs natürlich gewesen, wenn Chiron das Auto startet und Herbert Grönemeyers „Männer“ losgedonnert wär. Aber zurück zu den Männern im Mondlicht.

Filmstill aus Moonlight

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Ein zärtlicher Blick zwischen zwei schwarzen Männern in einem Film, der es bis zu den Oscars geschafft hat. „Moonlight“ ist zwar auch der erste Film mit einer homosexuellen Hauptfigur, der als „Best Picture“ ausgezeichnet wurde, doch viel mehr als ein Meilenstein in der Geschichte des queeren Kinos ist „Moonlight“ in Sachen Darstellung des Konstrukts schwarzer Männlichkeit. Und das Zulassen von Sanftheit hatte in diesem Konstrukt bisher keinen Platz.

Überhaupt ist für Sanftheit in „Moonlight“ im Grunde wenig Platz. Als wir Chiron das erste Mal treffen ist er neun und wächst in einem Stadtteil Miamis auf, der sich fast boshafterweise Liberty City nennt, Anfang der 1980er Jahre. Die sogenannte Crack-Epidemie greift um sich, auch Chirons Mutter (Naomie Harris) dreht sich hilflos wie wütend gleichermaßen in der Sucht-Spirale. Der Film, den man sich zunächst vorstellt, wenn man nur die Plot-Eckdaten um die süchtige, alleinerziehende Mutter, ein Problemviertel und ein Kind, das ein Außenseiter ist, hört, ist „Moonlight“ nicht.

„An awesome neighborhood where some very dark things happened“

Anstatt in Sozialdrama-Manier gleich mal die Farbsättigung runterzudrehen und jeglichen Schmerz und jede Widrigkeit mit möglichst vielen Details und leinwandfüllend darzustellen und sich im Leid zu suhlen, ist „Moonlight“ stellenweise von fast irritierender Schönheit - ohne aber in die Einbahnstraße Sozialromantik abzubiegen. „An awesome neighborhood where some very dark things happened“, so beschreibt Regisseur Jenkins seinen Film - und seine eigene Kindheit. Er und Tarell Alvin McCraney, der Autor des Theaterstücks, das zur Vorlage von „Moonlight“ diente, wachsen in Liberty City auf, beide mit drogenabhängigen Müttern. „Moonlight“ wird zur doppelt autobiografisch inspirierten Charakterstudie, doch visuell rauschhafter als man annehmen würde.

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Stellenweise knallende Farben, eine schwebende, tanzende Kamera. Die erhebt sich gleich zu Beginn mal in irre schöner und betörender Art und Weise in die Luft und dreht sich um Juan (Mahershala Ali). Mit dieser Figur des Juan zerschlägt der Film mit Eindringlichkeit das Stereotyp des „schwarzen Drogendealers“. Juan wird zum Vaterersatz für Chiron, er und seine Freundin (Janelle Monae) zum sicheren Hort, wo es immer Essen und ein Bett für ihn gibt. Die Dealer-Villa mit pastellfarbenen Wänden als schutzbietende Höhle vor den Ausbrüchen seiner Mutter und den Bullies in der Schule.

Auch wenn Chirons Geschichte alles andere als rosig ist, so unterscheidet sich „Moonlight“ doch von all den anderen Filmen mit schwarzen Hauptfiguren, denen Hollywood in Form von Oscars Aufmerksamkeit geschenkt hat. „Moonlight“ ist nämlich keine Leidensoper wie z.B. „Precious“ und auch formal weitaus interessanter.

In strenger Drei-Akt-Struktur, die drei Kapitel sind auch mit Schwarzblende und Einblendung der Titel „Little“, „Chiron“ und schließlich „Black“ klar voneinander getrennt, sehen wir Chiron als Neunjährigen, dann als Teenager und schließlich als jungen Mann. Innerhalb der strengen strukturellen Dreiteilung erlaubt sich „Moonlight“ aber ein losgelöstes Erzählen, kein Hängen an Coming-of-Age-Konventionen.

Teilweise wirken die Bilder mehr wie eine Erinnerung, ein Traum, weniger wie die Dokumentation von etwas, was gerade passiert. Ein Wutausbruch der Mutter wird vom Score übertönt, Naomie Harris Gebrüll ist nicht hörbar und wirkt dadurch noch lauter. Später blickt sie mal einfach nur in die Kamera und ganz direkt bläst auch Kevin mal den Rauch einer Pausenzigarette in Richtung Publikum. Diese Close Ups eingetaucht in kräftige Farben und rausgelöst einer rein dem Plot dienenden Inszenierung, haben mehr mit der großstädtischen Einsamkeit von Edward Hoppers Bildern gemein als mit klassischem Indiekino.

Filmstill aus Moonlight

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Was zwischen den beiden großen Zeitsprüngen - vom Kind zum Teenager und dann vom Teenager zum Mann- passiert ist, kann man nur erahnen. Wie prägend aber das Konstrukt, was es bedeutet, ein schwarzer Mann zu sein, auf Chiron wirkt, sieht man spätestens im dritten Akt. Da fällt dann eben auch der eingangs erwähnte Blick zwischen zwei schwarzen Männern und irgendwann später die Frage „Who is you, Chiron“.

Kevin und Chiron verbindet eine sexuelle Begegnung als Teenager eines Nachts am Strand. Jahre später erkennt Kevin Chiron fast nicht wieder, aber aber er erkennt den auftrainierten Körper und die Grills als Verkleidung. Eingetaucht in Farben wie aus Wong Kar Weis Welt sitzen die zwei in einem Diner und aus der Jukebox ertönt „Hello Stranger“. Auch in Sachen Soundtrack ist „Moonlight“ manchmal raffiniert kommentierend, manchmal konterkarierend und setzt vor allem auf Klassik statt auf erwartbaren Hip Hop. Die Szene, in der Juan Chiron das Schwimmen beibringt, wird vor allem auch wegen des Scores von Nicholas Britell lange bei Kinobesuchern lange nachhallen. Und das sind jetzt nach der Oscarkrönung als „Best Picture“ doch ein paar mehr geworden. Denn natürlich sind die Oscars ein aufgeblasener Zirkus, über deren Relevanz man streiten kann, aber dass das empathische Außenseiter-Drama, das sich mit dem Jetzt befasst, die eskapistische und narzisstische Showbusinesshymne „La La Land“ übertrumpft hat, kann man auch als kleines Aufwachen der Academy deuten.

Und so muss man sich freuen, dass es endlich einen Oscarfilm gibt, der für eine schwarze Hauptfigur eine andere Rolle als Gangster, korrupter Cop oder Gefängnisinsasse bereit hat und, dass eine homosexuelle Figur nicht (nur) eine Leidensgeschichte durchleben muss. Auffällig allerdings ist in jedem Fall, wie fast züchtig Chirons sexuelle Begegnung am Strand inszeniert wird. „Does gay cinema has to be sexless to succeed“ fragt sich The Guardian.

„Moonlight“ ist vielleicht auch die Antwort auf „The Birth of a Nations“ Regisseur Nate Parkers Bemerkung, er würde nie eine homosexuelle Figur spielen, „in order to preserve the black man“. Barry Jenkins hat diesen black man jetzt mal dekonstruiert.

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