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Ghost In The Shell

Constantin Film

Die Zukunft war gestern

Der Sci-Fi-Thriller „Ghost In The Shell“ verspricht wegweisenden Futurismus - und hängt doch in den Neunziger Jahren fest.

von Christian Fuchs

Sie sieht nach außen wie eine schöne, junge Frau aus, die elegant in einem hautengen Lederanzug durch die nächtlichen Straßen einer Megametropole gleitet. Aber Major ist nur ein Geist in einer Hi-Tech-Hülle. Nach einer Terrorattacke wurde in einem bahnbrechenden Experiment ihr Bewusstsein in einen künstlichen Körper transplantiert. Natürlich, nicht anders ist es im dystopischen Sci-Fi-Kino zu erwarten, um aus Major eine perfekte Soldatin zu machen, die im Auftrag einer dubiosen Corporation agiert.

In einer nicht näher definierten Zukunft führt das Maschinenwesen mit der menschlichen Seele eine Eliteeinheit an, die Kriminelle, Hacker und Terroristen stoppen soll. Major vollführt ihre Aufträge mit höchster Effizienz, bis sie in einen Fall hineinstolpert, der sie zu einer gefährlichen, existentiellen Sinnsuche zwingt.

Zorn der Fanboy-Gemeinde

Auch wenn man „Ghost In The Shell“, den Animeklassiker aus dem Jahr 1995, nie gesehen hat, wird einem die Neo-Noir-Figur der artifiziellen Agentin, die immer mehr an ihren Auftraggebern zu zweifeln beginnt, bekannt vorkommen. Der fast schon religiös verehrte Film, der auf einer populären Manga-Serie beruht, hat schließlich deutliche Spuren in der Popkultur hinterlassen.

„Ghost In The Shell“, selbst beeinflusst von Genremeilensteinen wie „Blade Runner“ oder „Robocop“, realisiert vom Animespezialisten Mamoru Oshii, entwickelte sich nicht nur zum eigenen Franchise, mit Sequels, TV-Serien und Computerspielen. Zitate aus dem japanischen Streifen finden sich in unzähligen Hollywood-Science-Fiction-Blockbustern, von der „Matrix“-Trilogie bis zum „Avatar“-Epos von James Cameron. Trotzdem oder gerade deswegen heulte die Fanboy-Gemeinde erst einmal zornig auf, als schon vor geraumer Zeit ein US-Remake des Originals angekündigt wurde.

Als noch von Cyberpunk die Rede war

Noch lauter wurde die Empörung im Netz, als die Produzenten Scarlett Johannsen als Hauptdarstellerin verkündeten. Whitewashing lautete der nicht unberechtigte Vorwurf gegen die Idee, die ikonische japanische Zeichentrickfigur Major Motoko Kusanagi von einem westlichen Hollywoodstar spielen zu lassen. Es findet schon lange ein Kulturaustausch zwischen Japan und dem Westen statt, der uns auch hierzulande Cosplay-Wettbewerbe und Anime-Serien im Kinderfernsehen beschert und fernöstliche Ästhetik und Themen in jedem zweiten US-Blockbuster aufblitzen lässt.

Das Problem des neuen „Ghost In The Shell“ ist aber weniger eine Verwässerung der asiatischen Vorlage, sondern dass der Film vor dem Original fast zu sehr in die Knie geht. Zumindest inhaltlich steckt die Neuversion, inszeniert von Rupert Sanders, der zuvor nur mit dem mittelmäßigen Märchenfilm „Snow White and the Huntsman“ aufgefallen war, offensichtlich im Jahr 1995 fest. In einer Zeit also, als das Wort Cyberpunk noch ständig in Magazinen herumschwirrte und das Internet in den Kinderschuhen steckte.

Grelles Nineties-Best-Of

Vielleicht aus Angst mit allzu vielen Updates die Fans zu verstören, wirkt Sanders’ Remake nicht wie ein Film aus dem 21. Jahrhundert, der sich mit Artificial Intelligence, Sinnkrisen von Cyborgs und die Welt steuernden Konzernen auseinandersetzt. Sondern wie ein grelles Best-Of der Nineties-Ära, inklusive dämonischer Hacker-Karikaturen und stilisierter Shootouts, wie sie damals das asiatische Actionkino dominierten.

Wenn sich in „Ghost In The Shell“ anno 2017 vor allem im Mittelteil immer wieder Langeweile einschleicht, dann hat selbst das mit der Verbeugung vor dem früheren Film zu tun. Das Original schleppt sich bei der Wiederbetrachtung nämlich ganz schön dahin, hinkt dramaturgisch stellenweise gewaltig, auch wenn so eine Kritik von Anhängern wohl als blasphemisch aufgefasst wird.

Eye-Candy-Orgie in Neon

Klingt das jetzt alles zu negativ und hält vielleicht jemanden vom Kinobesuch ab? Keine Angst, man kann „Ghost In The Shell“ durchaus als reine Eye-Candy-Orgie genießen. Rupert Sanders ist auf der visuellen Ebene definitiv ein berauschender Fiebertraum in Neonfarben gelungen, auch die Tonspur geht unter die Haut. Großartige Schauspieler wie Takeshi Kitano, Michael Pitt und Juliette Binoche sieht man natürlich auch gerne durch die urbane CGI-Wüste taumeln, selbst wenn ihre Rollen teilweise verschenkt wirken.

Die prinzipiell über jeden Zweifel erhabene Scarlett Johansson wiederum bleibt stellenweise seltsam farblos in der Hauptrolle, ihre faszinierende Entkörperlichungs-Trilogie „Lucy“, „Her“ und „Under The Skin“ hat aber auch schon alles Essentielle gesagt zu ähnlichen Themen, wie sie „Ghost In The Shell“ verhandelt.

Ein Film über die Zukunft also, aus dem Blickwinkel der Neunziger, gedreht in der Gegenwart, das passt zur nicht enden wollenden Welle des Retrofuturismus. Es wird übrigens auch ein „Matrix“-Reboot geben. Die Vergangenheit lässt uns einfach nicht los.

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