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APA/dpa/Oliver Berg

Die Geschichte der Cypherpunks

Wie eine wenig bekannte Bewegung aus San Francisco seit Jahrzehnten nachhaltigen Einfluss auf unser Leben hat.

von Christoph Burstup Weiss

Was haben verschlüsselte Websites, Wikileaks, das Filesharing-Protokoll BitTorrent, die Anonymisierungs-Software TOR und das Internetgeld Bitcoin miteinander zu tun? Sie alle wurden von Aktivisten aus der Cypherpunk-Bewegung gestartet.

Die Wurzeln

Bis in die 1970er Jahre war Verschlüsselung eine Angelegenheit, mit der sich vor allem Spione und Militärs beschäftigten. 1976 aber veröffentlichten die beiden Wissenschafter Whitfield Diffie und Martin Hellmann ihr Paper New Directions in Cryptography. Außerdem gelangte das US-Regierungsdokument Data Encryption Standard der US-Regierung an die Öffentlichkeit.

Diesen beiden Meilensteinen folgte in den 1980er Jahren der Artikel Security without Identification - Card Computers to make Big Brother Obsolete des Informatiker David Chaum. In weiterer Folge entstand eine gesellschaftliche Bewegung rund um das Thema Verschlüsselung. Ihr zentrales Kommunikationsmittel war die 1992 gestartete Cypherpunks Mailing List. Der Name ist eine humorvolle Anspielung auf das Science-Ficton-Genre Cyberpunk und den Begriff Cipher, das englische Wort für einen Verschlüsselungs-Algorithmus.

Einige Monate nach dem Start der Mailingliste erstellte Eric Hughes das Dokument A Cypherpunk’s Manifesto. Er schrieb: „Privatsphäre ist notwendig für eine offene Gesellschaft im Zeitalter der Elektronik. Privatsphäre ist nicht Heimlichtuerei. Eine private Angelegenheit ist eine Sache, von der man nicht will, dass die ganze Welt sie kennt, aber eine geheim gehaltene Angelegenheit ist eine Sache, von wer man nicht will, dass sie irgendjemand kennt. Privatsphäre ist die Möglichkeit, sich selektiv der Welt zu offenbaren.“

Ebenfalls Teil des Manifests ist das Motto „Cypherpunks write code“. Mitglieder der Bewegung programmierten heute allgemein genutzte Software wie SSL, den Verschlüsselungs-Standard im World Wide Web (für URLs, die mit htpps beginnen), und die E-Mail-Verschlüsselung PGP (Pretty Good Privacy).

Hand auf Computertastatur

APA7dpa/Oliver Berg

Der erste „Crypto War“

Vor allem aber trugen die Cypherpunks der neunziger Jahre einen Konflikt mit den US-Behörden aus, der heute als „Erster Kryptokrieg“ der amerikanischen Zivilgesellschaft bezeichnet wird. Unter anderem ging es um ein Gesetz, das Verschlüsselungstechnologie als Kategorie-13-Artikel in der „Munitions List“ festschrieb. Aufgrund dieser Liste war es Privatpersonen nicht erlaubt, Information mit mehr als 40 Bit starker Kryptographie zu verschlüsseln, wodurch sie aber mittels eines handelsüblichen PCs in wenigen Tagen zu knacken war.

Außerdem wollte die US-Regierung eine Verpflichtung einführen, Hardware-Hintertüren in Telefone und Kommunikationsgeräte aller Art einzubauen - den sogenannten Clipper Chip. Sowohl gegen die Kategorie-13-Einstufung privater Verschlüsselung, als auch gegen die Hardware-Hintertür führten die Cypherpunks eine Reihe von Kampagnen und zivilrechtlichen Klagen – mit Erfolg. Im Jahr 1990 wurde private Kryptographie von der Munitions-Liste gestrichen, und der Zwang zum Clipper Chip wurde nie Realität.

Die Aktivistinnen und Aktivisten der Cypherpunks-Mailingliste diskutierten über Politik, Philosophie und Wirtschaft. Letzteres Thema führte in den neunziger Jahren vestärkt dazu, dass Verschlüsselungsexperten sich mit der Möglichkeit digitalen Geldes im Internet beschäftigten. In Folge erfand Adam Back Hashcash und Wei Dai B-Money. Obwohl bahnbrechend, waren beide Erfindungen nicht praktikabel, denn sie lösten das Problem möglicher „Double Spends“ nur unvollständig: User hätten eine bereits getätigte Transaktion ein zweites mal durchführen können. Die in der Informatik als Problem der byzantischen Generäle bekannte Aufgabe galt in Peer-to-Peer-Netzwerken als (noch) nicht lösbar, womit ein sicheres p2p-Geld im Internet als unmöglich erschien.

Eine Reihe von Wissenschaftern unter den Cypherpunks gab trotzdem nicht auf. Im Jahr 2005 stellte Nick Szabo sein Konzept zu „Bit Gold“ vor. Zwar löste auch er nicht das Double-Spend-Problem, doch Szabo schlug eine Limitierung der digitalen Währungseinheiten - ähnlich der beschränkten Verfügbarkeit physischen Golds - vor – eine Idee, die sich dann gemeinsam mit den kryptographischen Konzepten für Hashcash und B-Money im Jahr 2008 zu Bitcoin zusammenfügte. Das White Paper zur heute weltweit genutzten Kryptowährung war pseudonym von Cypherpunk-User Satoshi Nakamoto veröffentlicht worden. Er bzw. sie hatte nämlich tatsächlich das Problem der byzantischen Generäle und das Double-Spend-Problem gelöst.

Jacob Applebaum

CC-BY-SA 4.0

Jacob Applebaum

Viele Cypherpunks, die nicht wie Satoshi Nakamoto den Weg der Pseudonymität wählten, leiden aufgrund ihrer Arbeit an kryptographischen Problemlösungen unter schwerwiegenden Schikanen von Behörden. Jacob Applebaum, der Erfinder des Anonymisierungsnetzwerks TOR, wird seit 2010 bei Reisen immer wieder stundenlang am Flughafen festgehalten. Seine Laptops und seine Mobiltelefone wurden bereits mehrmals konfisziert und durchsucht.

Episode II

Der in den neunziger Jahren gewonnene erste „Crypto War“ rund um das Recht auf private Verschlüsselung und die Verhinderung des Clipper Chips darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns derzeit in einem zweiten befinden. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 werden weltweit die Überwachungsmaßnahmen verschärft und das Recht auf Privatsphäre ausgehöhlt. David Cameron und Theresa May in Großbritannien, Barack Obama und Donald Trump in den USA – alle vier Politiker sind erklärte Gegner privater Verschlüsselung.

Buch von Julian Assange: "Cypherpunk", Campus

Campus Verlag

2014 sagte Edward Snowden: “Unter Beobachtung verhalten wir uns weniger frei, und das bedeutet, dass wir tatsächlich weniger frei sind.“ Damit offenbarte sich der ehemalige Geheimdienst-Mitarbeiter als Cypherpunk im Geiste, auch wenn er nicht Teilnehmer der ursprünglichen Mailingliste war.

Wichtige Persönlichkeiten, die tatsächlich von Anfang an der Bewegung angehörten, waren: Tim Hudson (Erfinder von SSL, Verschlüsselungsstandard im Web), Philip Zimmermann (Autor der E-Mail-Verschlüsselung PGP), Bram Cohen (Erfinder von BitTorrent), Moxie Marlinspike (Erfinder von OpenWhisper, der Verschlüsselung die heute z.B. auch WhatsApp nutzt), der bereits genannte Adam Back (Erfinder des Bitcoin-Vorläufers Hashcash und Gründer von Blockstream), Zookoo Wilcox-O’Hearn (Erfinder des Bitcoin-Vorläufers Digicash und Gründer von Zcash), sowie der bereits erwähnte Jacob Applebaum (Erfinder von TOR). Ebenfalls einer der frühesten Teilnehmer an der Cypherpunks-Mailingliste war der australische Journalist Julian Assange, der später Wikileaks gründete. Von ihm gibt es auch ein Buch mit dem Titel „Cypherpunks“, erschienen im Campus-Verlag.

In Österreich

Weltweit stehen Bürgerrechtsbewegungen in der Tradition der Cypherpunks - etwa der AK Vorrat, der es von Österreich aus mittels Kampagnen und Verfassungsbeschwerden geschafft hat, die Vorratsdatenspeicherung in ganz Europa zu stoppen. Dessen Nachfolgeorganisation, Epicenter Works, kämpft jetzt gegen das völlig aus dem Ruder laufende Überwachungspaket der Bundesregierung.

Cypherpunks befinden sich in einem sozialen und technologischen Wettrennen. Wie schnell können sie Verschlüsselungstechnologien für die Allgemeinheit programmieren, gesellschaftliches Bewusstsein für diese fördern und Veränderungen in der Politik bewirken? Wie schnell können Regierungen und Behörden unsere Kommunikation entschlüsseln, aufgedeckte Überwachungs-Skandale vernebeln und noch mehr Gesetze beschließen, die unsere Privatsphäre zerstören? Die Crypto Wars sind nicht vorbei.

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