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Viele bunte Pillenpackungen

PHILIPPE HUGUEN / AFP

FM4 auf laut

Von wegen sexuelle Befreiung - die Pille auf dem Prüfstand

Die Pille und andere hormonelle Verhütungsmittel sind die häufigste Verhütungsmethode in Österreich. Viele Frauen berichten von gravierenden Nebenwirkungen, allerdings wird das in der Öffentlichkeit kaum diskutiert. FM4 Auf Laut fragt warum und spricht über Erfahrungen mit der Pille.

von Elisabeth Scharang

*mit der Pille sind hier alle hormonellen Verhütungsmittel gemeint.

„Dem gesunden Körper ein Medikament zuführen“ – wie jetzt? Ich lese nochmal nach. Ja, so hat es die Autorin in der ZEIT gemeint. Und weiter zornig formuliert, dass man seit Jahrzehnten Frauen zumutet, die Pille* einzuwerfen, obwohl man weiß, wie heftig die Nebenwirkungen ausfallen können.

Mit ein paar Rechercheklicks ist klar: Hier gibt es ein strukturelles Problem, das in die Privatsphäre der Frauen abgeschoben wird. Die Zeit umschreibt das Thema mit „Lebenslust-Verlust“ und bezieht sich dabei auf eine aktuelle Studie der Universität Kopenhagen. In dieser Studien wurden zwischen 2000 und 2013 in Dänemark insgesamt über eine Millionen Mädchen und Frauen zwischen 15 und 34 Jahren untersucht, um herauszufinden, wie sich hormonelle Verhütung auf die Psyche auswirken kann. Das Ergebnis: bei Frauen zwischen 20 und 34 Jahren ist das Risiko, eine Depression zu entwickeln durch die Pille um 40 Prozent erhöht. Junge Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren sind mit 80 Prozent Hochrisiko-Kandidatinnen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen!

Was macht die Pille eigentlich?

Verhütungsstatistik Österreich

64 Prozent aller Frauen haben 2015 verhütet. Die Pille ist nach wie vor die häufigste Methode (38 Prozent aller Frauen), vor allem bei Frauen unter 30 Jahren (53 Prozent), gefolgt von der Hormonspirale (8 Prozent), die vor allem bei Frauen ab 40 häufiger verwendet wird (18 Prozent). Auf Platz 3 ist die Dreimonatsspritze (3 Prozent).

Aber zurück zum Anfang: Die Pille ist ein hormonelles Verhütungsmittel. Das heißt, sie enthält bestimmte Hormone (Östrogen und Gestagen), die eine Schwangerschaft verhindern. Diese Hormone spielen dem Körper vor, dass eine Schwangerschaft vorliegt - er fährt seine Hormonproduktion herunter. Dadurch reifen keine Eizellen in den Eierstöcken, der Eisprung wird verhindert. Außerdem verdickt sich durch die Pille der Schleim, der den Gebärmutterhals verschließt, dadurch gelangen keine Samen in die Gebärmutter. Richtig angewendet schützt sie sicher vor einer ungewollten Schwangerschaft. – Soweit so klar.

Ich denke nach. Hat mich irgendjemand, als ich mit 15 die Pille verschrieben bekam, darüber aufgeklärt, dass ich hier ein Medikament zu mir nehme, das heftige Nebenwirkungen haben kann? Nein. Es war wie ein Initiationsritus: Wenn du anfängst mit Sex, dann nimmst du als Mädchen die Pille. Als ich sie mit Anfang 20 abgesetzte, habe ich das mit niemandem besprochen. Ich hab der Pille still und heimlich mein Vertrauen entzogen.

Pillen Packungen

PHILIPPE HUGUEN / AFP

Das sagt der Schwarm

Um mehr über aktuelle Erfahrungen von Frauen mit der Pille zu wissen, frage ich den Schwarm: Habt ihr ein kritisches Verhältnis zur Pille (entwickelt)? Und habt ihr das Gefühl, dass zu wenig über Wirkung und Nebenwirkung von hormoneller Verhütung geredet wird? Zwei Stunden nach meinem Facebook-Posting sind über 90(!) Kommentare von FreundInnen eingetrudelt. „Ja und Ja“. So lautet der Tenor.

Simone: „Ich wurde anstatt aufgeklärt sogar belächelt bis angegriffen von FrauenärztInnen dafür, die Pille nicht nehmen zu wollen. Und ich kenne so viele Fälle, wo die Pille den Frauen massiv auf die Libido geschlagen hat.“

Franziska: „Den Beipackzettel hab ich schon gelesen, und da wurde mir ein bisschen anders... Aber du nimmst sie trotzdem, machen ja eh alle (oder so).“

Christine: „Bei einer im Netz mit sehr gut bewerteten Ärztin bot man an, meine Tochter solle sich eine Pille wünschen, das Rezept abholen und in drei Monaten könne man dann sehen... Ohne einen Kontakt!“

Barbara: "Ich hab sie mal probiert mit Anfang 20 und sie hat mich wahnsinnig depressiv gemacht. Nach einem Monat hab ich sie abgesetzt, weil ich mich so schlecht gefühlt hab. Die Ärztin wollte das gar nicht glauben und hat mich überredet, ein anderes Präparat zu versuchen. Aber es war wieder so, dass es mich total fertig gemacht hat. Seitdem nie wieder genommen. Und ja, dass sie Depressionen verstärken kann, Migräne ebenso usw., darüber hat mich keine Frauenärztin aufgeklärt. Sondern mal ein Neurologe.“

Sabrina: „Ich nehm sie seit ich 16 bin. Damals laut Frauenarzt die einzige Möglichkeit, meine extremen Regelschmerzen in den Griff zu bekommen. Aufklärungsgespräch keines. Bluttest keiner. Seit einiger Zeit denke ich darüber nach, sie abzusetzen und werde das in Kürze auch wagen. Obwohl ich vor den Schmerzen wieder Panik hab. Aber ich lese mich gerade ein, wie ich diese am besten in Schach halten kann und werde dann einfach so lange Dinge ausprobieren, bis ich die richtige Methode für mich gefunden habe.“

Lisa: Ich kann dazu einen ganzen Aufsatz schreiben, ich hab vor vier Monaten nach neun Jahren die Pille abgesetzt und bin danach durch die Hölle gegangen... Ich denke wir wissen alle gar nicht, was wir unserem Körper damit antun!“

Eine breite Diskussion fehlt

Was ist da seit Jahrzehnten los? Frauen nehmen die Pille und kaum jemand nimmt die Zustände ernst, die hormonelle Verhütung auslösen kann? Bis es zu den ersten Gerichtsverfahren kommt. Eine Frau verklagt einen Pharmakonzern, weil sie an einer Lungenembolie ausgelöst durch die Einnahme der Pille fast gestorben wäre. Plötzlich ist das Medieninteresse geweckt. Aber eine breite Diskussion fehlt.

Fragen, die sich aus der Diskussion, die nicht geführt wird, für mich stellen: Stimmt es, dass die Pille für den Mann wegen der starken Nebenwirkungen noch immer nicht auf dem Markt ist? Gibt es eine Untersuchung zu den vielen Geschichten über Libidoverlust durch die Einnahme der Pille? Warum wird über hormonelle Verhütung so wenig in den Medien berichtet, obwohl es Teil des Alltags von so vielen Frauen ist?

Ich beschließe, eine Sendung zu dem Thema zu machen. In FM4 Auf Laut soll es um alternative Verhütungsmethoden gehen und um die Fragen rund um die Antibabypille und hormonelle Verhütung. Eva Thurner, Frauenärztin und Allgemeinmedizinerin, arbeitet in der Frauengesundheitspraxis dietrotula (www.fgz-dietrotula.at) und ist Leiterin der psychosomatischen Frauenambulanz im Krankenhaus Korneuburg. Sie wird im Studio die Fragen der AnruferInnen beantworten.

Außerdem werde ich mit Christian Fiala von gynmed reden, das ist ein Ambulatorium für Schwangerschaftsabbruch und Familienplanung. Er warnt vor einer „Hormonhysterie“ und der damit zusammenhängenden hohen Anzahl an Schwangerschaftsabbrüchen: „Wir haben derzeit ein Problem, ein sogenanntes Verhütungsparadoxon: Es gibt eine noch nie dagewesene Anzahl an sehr wirksamen Verhütungsmethoden, die aber häufig nicht angewendet werden. Ein wichtiger und in den letzten Jahren stark zunehmender Grund für die hohe Anzahl an Schwangerschaftsabbrüchen ist die Vermeidung von hormonellen Verhütungsmethoden. Etwa 13 Prozent der Frauen in Österreich verhüten explizit aus diesen Gründen entweder schlecht oder gar nicht. Viele dieser Frauen sehen wir dann in der Klinik beim Schwangerschaftsabbruch.“

Alternativen zur Pille

Isabel betreibt in Deutschland die Webseite Generation Pille und stellt dort Alternativen zur hormonellen Verhütung vor: „Eines vorab: Prinzipiell habe ich kein Problem mit der Pille an sich. Die Pille ist eine tolle Erfindung und eine sichere und praktikable Möglichkeit zur Empfängnisverhütung. Ihre Markteinführung 1960 war für uns Frauen eine richtige Revolution. Also im Namen der Emanzipation: Dankeschön! Mein eigentliches Problem ist die heutige Wahrnehmung dieses Medikamentes. Die Pille wird immer früher verschrieben und zum Großteil leider nicht zur Verhütung, sondern zur Behandlung von Akne, Zyklusproblemen, Stimmungsschwankungen, für schönere Haare, größere Brüste oder auch einfach, weil man jetzt 14 geworden ist und alle anderen in der Klasse auch die Pille nehmen. Zu diesem Trend kommt erschwerend hinzu: fehlende Aufklärung! Leider klären immer weniger Ärzte richtig über Risiken, Nebenwirkungen und Wirkweise dieses Medikamentes auf. So wundert es mich nicht, dass unheimlich viele Frauen Symptome entwickeln, die sie einfach nicht zuordnen können.“

Isabel bekam mit dreizehn Jahren die Pille verschrieben. Nach vielen wechselnden Präparaten und einer kurzen Bekanntschaft mit der Dreimonatsspritze, entschloss sie sich mit 21 Jahren, die hormonelle Verhütung an den Nagel zu hängen. Die heute 28-Jährige war die darauf folgenden fünf Jahre Stammgast bei diversen Fachärzten. Ihr gesamter Körper spielte verrückt, keine Behandlung funktionierte. Sie vermutet, dass es an der Langen einnahme von Hormonen liegt. Die Medizin kommt mit immer neuen Diagnosen daher. “Amenorrhoe, PCO-Syndrom, Nebennierenschwäche, Schilddrüsenunterfunktion oder vielleicht doch Hashimoto? Nachdem mein Zustand von Behandlung zu Behandlung immer schlimmer wurde und ich zum Schluss im Alter von nur 25 Jahren postmenopausale Hormonwerte hatte, entschloss ich mich, den schulmedizinischen Methoden den Rücken zu kehren und selbst Verantwortung für meine Gesundheit zu übernehmen. Ich wollte genau wissen, was die letzten Jahre mit meinem Körper passiert ist, Zusammenhänge verstehen und die Ursachen finden.“

Mit ihren Erfahrungen will Isabel andere Frauen unterstützen und bietet neben den Infos und ihrem Blog auf der Webseite auch ein persönliches Gespräch und einen Erfahrungsaustausch via Skype an. In FM4 Auf Laut wird sie via Telefon erzählen, warum so viele Frauen in Sache hormonelle Verhütung verunsichert sind, es aber nicht breit zum Thema gemacht wird.

FM4 Auf Laut

Elisabeth Scharang stellt in FM4 Auf Laut die Frage, ob die Antibabypille ihren guten Ruf als Befreierin der Sexualität von Millionen von Frauen zu Recht hat und warum es die Pille für den Mann noch nicht gibt.

Welche Erfahrungen machst du oder hast du mit der Pille gemacht?

Schreib uns an fm4@orf.at oder ruf uns in der Sendung an 0800 226 996

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