In fünf Schritten zur Poetry Slam-Karriere
von Marc Carnal
Du willst an einem Poetry Slam teilnehmen UND in zwei Jahren deutscher Slam-Meister sein, Tausender-Hallen füllen, siebenstellige youtube-Klickzahlen generieren und als Vertreter dieser “jungen und frechen Form der Poesie” in Talkshows eingeladen werden, um auf einem Sofa stehend mit einem berührenden Gedicht über dein Auslandssemester den Moderator zum Heulen zu bringen?
Ebenfalls kein Problem!
Befolge einfach diese fünf goldenen Regeln und deiner Slam-Karriere steht höchstens noch deine Selbstachtung im Weg.
1. Typ
Ausrechenbarkeit ist beim Poetry Slam oberstes Gebot. Reduziere die mögliche Vielfalt deines Wesens und den Formenreichtum deines Ausdrucks auf einen der gängigen Slam-Typen. Auch wenn der Bruch mit Slam-Konventionen wohltäte - Erfolg wirst du nur haben, wenn du dich für einen der Grund-Charaktere wie “Verzweifelter Teenager”, “Nachdenklicher Berliner”, “Selbstironischer Randgruppenvertreter”, “Verschrobener Poet” oder “Duracell-Comedian” entscheidest. Du kannst natürlich auch Mischformen wie “Verzweifelt-selbstironischer Berliner Randgruppenvertreter” wählen.
2. Outfit
Auch deine Bühnenkleidung soll deinem Wiedererkennungswert zuträglich sein und deinen Typ dezent unterstreichen, auch ein kleines unverwechselbares Freak-Accessoire (Zylinder, Nasenring, Taschenuhr, Fliege) oder eine markante Haartolle können deinen Look komplettieren. Allzu extravagant muss dein Outfit allerdings nicht sein. Du solltest einerseits die modische Schnittmenge des jungen Publikumsanteils abdecken, aber auch in den trüben Augen von Buchhändlerinnen, Literaturhaus-Geschäftsführern, TV-Redakteuren und Deutschlehrern gefällig-jugendlich erscheinen, denn letztere sind deine wichtigste Zielgruppe. Wähle also am besten eine farblich halbwegs verträgliche Kombination aus dem internationalen Slam-Fundus aus, der sich hauptsächlich aus Kapuzenpullis mit Spruch, T-Shirts mit Spruch, Second Hand-Kleidern, Flanellhemden, affigen Opa-Sakkos und Baskenmützen zusammensetzt.
Lesungen, Bücher und aktuelle Aktivitäten - die Website von Herrn Carnal informiert umfassend, anstehende Auftritte bei Poetry Slams sucht man allerdings vergeblich.
3. Inhalte
Du willst das Publikum mit deinen Texten “abholen”. Zu diesem Zweck musst du Instant-Emotionen der Marke Tim Bendzko wiederkäuen oder mehrheitsfähige Meinungen mit bekömmlichen Gags anreichern. Erörtere also entweder emotionale Evergreens wie pubertäre Einsamkeit, naive Euphorie oder Zukunftsangst. Sollten dir weder die Dur- noch die Moll-Akkorde auf der “Mir geht’s genau wie euch”-Klaviatur zusagen, wähle besser den kabarettistischen Zugang und mach irgendwas “Witziges” gegen rechte Politiker. Dein progressiver Vortrag wird darüber hinwegtäuschen, dass selbst Werner Schneyder am Sterbebett noch avantgardistischer wäre als dein gruseliger Marc-Uwe Kling-Humor.
Ausnahme Sebastian Krämer
Sebastian Krämer ist einer der seltenen Beweise dafür, dass sich Poetry Slams und gelungene Poesie nicht zwangsläufig ausschließen müssen.
Folgendes sagte der zurecht gefeierte Chansonier jüngst zum Thema:
“Seit ungefähr zwölf, dreizehn Jahren mach ich gar nichts mehr mit Poetry Slam. Das ist mir jetzt alles zu blöd geworden. Es ist ja auch total verschult, es ist ganz furchtbar, die Leute können alle nicht reimen. Das konnten sie früher zum Teil auch nicht, aber da waren sie auch noch nicht solche Superstars. (...) Es ist alles sehr gleichförmig geworden und es hätte dem Slam wirklich besser getan, er hätte sterben dürfen, anstatt jetzt dieses traurige Dasein zu führen.”
“Einen Sport daraus zu machen, den Leute wirklich ernst nehmen - so war das nicht gemeint. Das ist überhaupt nicht der Gedanke von Bob Holman gewesen, einem der Gründer des Poetry Slams: Wir machen hier eine Satire auf den Kulturbetrieb und wir zeigen an dieser Abstimmung, an dieser Jury-Entscheidung, dass es NICHT geht. So ein Leitsatz war ja: Der beste Text gewinnt nie. Damit war gemeint: Der Slam soll am Ende erweisen, dass Lyrik nichts für den Leistungswettbewerb ist. (...) Dann muss es natürlich auch so laufen, dass das Ganze sich immer wieder Abend für Abend ad absurdum führt und nicht, dass man tatsächlich immer ernsthaft da Stars aufbaut. (...) Das ist im Grunde alles ganz grauenvoll.”
4. Sprache
Stell dir vor, ein befreundeter Rapper fährt gerade ins Tonstudio. Erst am Weg dorthin ereilt ihn eine lähmende Erkenntnis: Jenen Track, den er gleich mit Sprechgesang veredeln soll, hat man ihm zwar schon vor Wochen zugespielt, er hat in seinem dicht verplanten Rapper-Alltag aber tatsächlich vergessen, die dazugehörigen Lyrics zu schreiben. Er ist vom gestrigen Auftritt noch erschöpft und weiß, dass er in der kurzen Zeit unmöglich auch nur eine gelungene Zeile zu Papier bringen wird.
Der deprimierte Rapper ruft und fleht dich an, du mögest ihn aus seinem Schlamassel befreien und dir so schnell wie möglich ein paar Lyrics aus dem Schädel quetschen. Als Lohn verspricht er dir ewige Dankbarkeit sowie zwei Backstage-Pässe für seinen nächsten Gig.
Die Entschädigung findest du etwas bescheiden und der Track, den er dir in die Dropbox stellt, ist deiner Motivation ebenfalls abträglich. Da scheint ein gänzlich untalentierter Produzent ein äußerst holpriges, überlanges Stück zusammengeschustert zu haben, mit teils bizarren Taktveschiebungen, zu denen sich äußerst schwer dichten lässt.
Da du aber “mal nicht so bist”, hilfst du dem Rapper und schreibst in den nächsten zwei Stunden einen verboten nichtssagenden, rhythmisch äußerst unrunden Text. Für die nur mit sehr gutem Willen als solche erkennbaren Endreime schämst du dich größtenteils, am schlimmsten sind die vielen Alliterations-Ketten und entsetzlichen Wortspiele, aber für Details ist jetzt keine Zeit.
Kurz vor der Aufnahme schickst du deinen zwar recht ausführlichen, aber sprachlich äußerst dürftigen Text dem Rapper, der beim ersten Überfliegen schaudernd denkt: “Also DAS hätt ich selbst auch hinbekommen”.
Seiner rettenden Idee, in letzter Sekunde die bpm des Tracks in schwindlige Höhen zu schrauben und die Lyrics einfach rasend schnell einzusprechsingen, ist es letztlich zu verdanken, dass sich die neue Nummer als B-Seite, die ihm die Fans hoffentlich nachsehen werden, gerade noch so irgendwie ausgeht.
Mach dir dieses kleine Gedankenspiel zunutze, wann auch immer du am sprachlichen Niveau deiner Slam-Texte zweifelst. Es hilft dir, dich nicht unnötig lange mit Details aufzuhalten, denn letztendlich wesentlich wichtiger als die tatsächliche Text-Qualität ist die
5. Darbietung
Nicht umsonst gibt es kaum enttäuschendere Lektüre als Slam-Texte in Buchform.
Wie genau deine Darbietung gestaltet sein sollte, um in Windeseile den Slam-Olymp zu erklimmen, muss ich wohl nicht näher ausführen. Sieh dir einfach die Performances der erfolgreichen Kollegschaft an und tu es ihr gleich - eiliges Sprechtempo, ermüdender Hip Hop-Duktus, zwischendurch auch mal leidend ins Mikro atmen oder überlange “Nachdenkpausen” einbauen, Text auswendig runterrattern und trotzdem einen Zettel in der einen Hand halten, während die andere das Gesprochene mit den Moves eines Klischee-DJs aus den 90ern untermalt, und wenn das alles noch immer nichts hilft, einfach wahllos Textpassagen wie ein Mantra wiederholen oder mit Michael Mittermeier-Stimmmodulationen von deinen windschiefen Rhymes ablenken.
Publiziert am 30.04.2017