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Eine Reihe von Attacken bedroht Wiens linke Treffpunkte

Die Fülle und zunehmende Intensität rechtsextremer Übergriffe sollte nicht nur ein Thema für die unmittelbar Betroffenen sein. Wir müssen über rechte Gewalt reden.

von Michael Bonvalot

Mitte April wurde das Lokal der Sozialistischen Jugend in Wien-Donaustadt Ziel einer Attacke. Mal wieder. Für die AktivistInnen nichts Neues. „Unser Lokal wurde schon oft Opfer von Angriffen unterschiedlichster Art; zerbrochene Fenster, Einbrüche und Schmierereien“, schrieben sie danach in einer Stellungnahme Doch diesmal hatte der Anschlag eine neue Qualität. Durch Buttersäure wurde das Lokal vorläufig weitgehend unbrauchbar, so die SJ.

Dieser Übergriff war nur der jüngste in einer langen Reihe von Attacken auf linke Treffpunkte in Wien. Und die Häufigkeit scheint zuzunehmen. Allein im April wurden vier verschiedene Räumlichkeiten ins Visier genommen.

Anfang April wurde etwa der Kostnix-Laden in Wien laut einer Aussendung der BetreiberInnen mit den Worten „Stop die Islamisierung“ besprayt. Bereits davor seien des Öfteren Aufkleber der Identitären Bewegung (IB) im Eingangsbereich verklebt worden. Die IB kann laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands als neofaschistisch eingeschätzt werden.

Schmierereien

Sozialistische Jugend

Islamophobe Spray-Attacken

Eine idente Aufschrift wurde am 3. April auf das Lokal der Sozialistischen Jugend in Wien-Landstraße gesprayt. Auch dort wurden die Worte „Stop die Islamisierung“ quer über Mauer und Scheiben geschmiert. Lokale der JungsozialistInnen seien in regelmäßigen Abständen das Ziel von Attacken, berichtet Fiona Herzog, die Vorsitzende der SJ Wien. Immer wieder würden Lokale mit rechten Aufklebern verklebt, auffallend oft seien es welche der IB.

Herzog sieht einen eindeutigen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang: „Es ist auffällig, dass rechte Gewalt gerade jetzt spürbar zunimmt. Wir befinden uns allerdings auch in einer stark politisierten Situation. Die Regierung betreibt rechte Politik, dadurch fühlen sich rechtsextreme Gruppen weiter bestärkt.“

Aufkleber als erste Warnung?

Auch die Studierendenorganisation KSV-Lili wurde jüngst Ziel rechter Aufmerksamkeit. Im Eingangsbereich des Lokals der Organisation wurden vermutlich in der Nacht von 4. auf 5. April Aufkleber der Neonazi-Truppe Unwiderstehlich hinterlassen. Die gleichen Kleber fanden sich jüngst auch vor den Büroräumen der Sozialistischen Jugend Wien.

Und solche Aufkleber müssen als eindeutiges Warnsignal verstanden werden. So wurde etwa das linke Veranstaltungszentrum W23 in der Wiener Innenstadt in den vergangenen Monaten mehrmals schwer beschädigt.

Laut BetreiberInnen sind unter anderem mehrere versuchte Einbrüche, verklebte Schlösser sowie ein Anschlag mit Buttersäure zu verzeichnen. Das Projekt „Stoppt die Rechten“ hat eine Chronologie dieser Angriffe zusammengestellt.

NS-Hybrid Unwiderstehlich

Die politische Hinterlassenschaft bei diesen Sachbeschädigungen: NS-Aufkleber, unter anderem von Unwiderstehlich. Über die Gruppierung selbst liegen noch wenig gesicherte Erkenntnisse vor. Verschiedene Recherchen sehen die Gruppe als Hybrid aus alten Kameraden in der Nachfolge der Küssel-Truppe „Alpen Donau“ und Fußball-Hooligans aus den rechten Teilen der Fanszene von Austria Wien und Rapid.

Der Auftritt der Gruppe in sozialen Medien zeigt jedenfalls ein klassisch deutschnationales und neonazistisches Weltbild. Versuche, den Faschismus hip und modern erscheinen zu lassen, kommen in diesen Kreisen dementsprechend nicht unbedingt gut an.

So ist vor allem die Identitäre Bewegung immer wieder Ziel des Spottes. Nachdem etwa IB-Kader Patrick Lenart Mitte April auf oe24.tv Sendezeit bekam, um zu erklären, dass er eigentlich ohnehin eher links sei, zeigte ihn Unwiderstehlich als Streichelpuppe der Linken.

Rechte Konkurrenz

Wohl nicht zufällig am 20. April dieses Jahres, also dem Geburtstag von Adolf Hitler, wurde auf der Homepage von Unwiderstehlich auch eine politische Abrechnung mit vorgeblichen „patriotischen Verführern“ veröffentlicht – leicht erkennbar gemünzt auf die IB.

Diese scharfen Worte sind kein Zufall: Offensichtlich gibt es im rechten Lager aktuell eine Konkurrenzsituation in der Rekrutierung neuer Kameraden. Die IB hat dabei die Nase vorn, nicht zuletzt, weil sie auch Aktionen anbietet, die einfache Beteiligung ermöglichen. Dass die offene NS-Szene ihrerseits durch Anschläge Flagge zeigen möchte, wäre also folgerichtig.

Die W23 jedenfalls könnte verschiedenen rechten Fraktionen gleichermaßen ein Dorn im Auge sein. Die BetreiberInnen sprechen in einer Stellungnahme von einer „aggressiven und systematischen Angriffsserie, die im September 2016 begann“.

Ein möglicher Hintergrund: Bis vor kurzem wurde in den Räumlichkeiten ein regelmäßiges „Antifa Café“ der Autonomen Antifa Wien (AFA) veranstaltet. Sarah Neuhold von der AFA meint: „Wir machen sehr viel an Mobilisierung und Aktionen. Und wenn die Nazis uns als Gruppe nicht angreifen können, versuchen sie eben, Treffpunkte zu zerstören.“

Fantasien vom Untergang

Neuhold sieht auch ein neues Selbstbewusstsein in der Neonazi-Szene: „In Österreich wächst der Einfluss des Rechtsextremismus. In einem solchen Klima wird dann auch der militante Neonazismus stärker.“ Sie glaubt, dass im Hintergrund auch Fantasien von Untergang und Rettung eine Rolle spielen: „Da gibt es viel Kampfrhetorik, Krieger des Abendlands und eine angeblich letzte Generation, die das Ruder noch herumreißen könne.“ Vor allem die IB bemüht solche Bilder gern – etwa, wenn sie von einem angeblichen „Großen Austausch“ der Bevölkerung fantasiert, der verhindert werden müsse.

Dieses neue Auftreten der rechten Szene spüren auch andere linke Treffpunkte in Wien. So wurden laut dem „Anarchist Black Cross“ in der Nacht von 3. auf 4. Februar im Wiener Ernst-Kirchweger-Haus fünf Fenster eingeschlagen. Das Datum ist bezeichnend: Denn dabei handelte es sich um die Nacht nach der heurigen Demo gegen den Akademikerball der deutschnationalen Burschenschaften. Der zeitliche Zusammenhang lässt eine Urheberschaft aus der rechten Szene zumindest wahrscheinlich erscheinen.

Auch bei anderen Anschlägen lässt die Stoßrichtung wenig Zweifel offen. Oft wird auch mit eindeutigen Symbolen gearbeitet. Im Herbst vergangenen Jahres wurde etwa Kunstblut vor der Eingangstür der W23 verschüttet. Hinterlassen wurde dazu die Aufschrift: “Österreich blutet auch durch eure Schuld”. Auch bei zwei weiteren Attacken im selben Zeitraum kam Kunstblut zum Einsatz.

Immer wieder Kunstblut

Das Ziel waren dabei die Anarchistische Buchhandlung in Wien-Fünfhaus und ein nahegelegenes muslimisches Geschäft in Wien-Meidling. Beim Muslim Lifestyle-Shop wurde zusätzlich die Losung „Scheiß-Islamisierung“ angebracht.

Auffällig: Insbesondere die Identitäre Bewegung arbeitet immer wieder mit Kunstblut. Im April vergangenen Jahres wurden geflüchtete Menschen bei einer Aufführung des Stücks „Die Schutzbefohlenen“ in der Universität Wien von IB-AktivistInnen mit Kunstblut beschüttet. In Graz wurde das Dach der grünen Parteizentrale mit Kunstblut beschmiert.

Dennoch kann die Urheberschaft verschiedener Anschläge natürlich nicht benannt werden, solange die TäterInnen nicht gefunden sind. Wahrscheinlich ist ohnehin auch, dass bei den verschiedenen Attacken unterschiedliche TäterInnengruppen parallel und auch unabhängig voneinander agieren.

Faschismus, multikulturell

Und dabei muss es sich keineswegs nur um „einheimische“ Rechtsextreme handeln. So wurden etwa Anfang Februar mehrere Fensterscheiben des Lokal der DIDF zerstört, der „Föderation der Demokratischen Arbeitervereine“. Laut der DIDF, einer Organisation von linken türkischen und kurdischen MigrantInnen, sei das nicht die erste Attacke gewesen.

Doch hier ist die Urheberschaft nicht so eindeutig, da keine politische Erklärung hinterlassen wurde. Die DIDF selbst weist darauf hin, dass in letzter Zeit mehrere „demokratische Vereine und Organisationen“ Ziel von Angriffen wurden und möchte daher ein „rassistisch/faschistisches Motiv als Hintergrund nicht ausschließen“.

Die TäterInnen könnten dabei genauso gut österreichische Rechtsextreme sein wie türkische NationalistInnen und FaschistInnen, etwa aus dem Milieu der Grauen Wölfe (über die ich hier ausführlich geschrieben habe). Und natürlich kann ohne ein politisches Bekenntnis auch ein Vandalenakt ohne politischen Hintergrund nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Homophobe Übergriffe

In anderen Fällen hingegen ist die mutmaßliche Urheberschaft rechter migrantischer Kreise weit eindeutiger. So wurde etwa das Lokal der „Jungen Linken“ (JuLi) in Wien-Ottakring bereits mehrmals besprayt, einmal wurden auch alle Fensterscheiben eingeschlagen. Als Botschaft wurde die homophobe Aufschrift „Smrt Pederima“ („Tod den Schwulen“) in bosnisch/kroatisch/serbischer Sprache hinterlassen. (Stellungnahmen der JuLi finden sich hier und hier).

Simon Neuhold, Bundessprecher der JuLi, erzählt: „Wir haben regelmäßig Material gegen Homophobie in den Fenstern. Für uns ist das ein wichtiges Thema. Und offensichtlich ist das einigen Rechtsextremen ein Dorn im Auge.“ Eine ähnliche Tätergruppe könnte auch hinter den wiederholten Attacken auf die Türkis Rosa Lila Villa stehen.

Das Wiener Zentrum für LGBTIQ -Personen wurde kurz vor Jahreswechsel ebenfalls mit der Losung „Smrt Pederima“ besprayt. Daneben fand sich das populäre serbisch-nationalistische Zeichen des Kreuzes, viermal umgeben vom Buchstaben „S“ in kyrillischer Schrift (der dem lateinischen C entspricht). Die Losung steht für die Worte „Nur Eintracht rettet den Serben“.

Nur ein Ausschnitt

Diese Übergriffe der vergangenen Monate stellen allerdings nur eine Auswahl dar. Diese Aufzählung umfasst nur die Lage in Wien. Vieles wird nicht bekannt, etwa weil die Betreiber nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf ihre Location lenken möchten. Vieles wird auch nicht angezeigt, oft wegen einer grundlegenden Skepsis gegenüber den Behörden oder auch wegen mangelnder Erfolgsaussicht – deshalb hat etwa die Rosa Lila Villa laut meinbezirk.at die jüngsten Sachbeschädigungen nicht mehr angezeigt.

Schließlich werden keineswegs nur linke Lokale bedroht. Es gibt etwa regelmäßig Übergriffe auf Moscheen und auf Geschäfte oder Lokale, die als muslimisch interpretiert werden. Und auch antisemitische Übergriffe haben keineswegs ausgedient. Erst im November 2016 wurde die Mauer des jüdischen Friedhofs am Wiener Zentralfriedhof mit Hakenkreuzen beschmiert.

„Wir wissen, wo ihr seid“

Die rechte Gewalt hat auch unterschiedliche Intensitäten. In einem ersten Schritt können das etwa Aufkleber sein. Das wirkt harmlos, enthält aber gleichzeitig bereits die Botschaft „Wir wissen, wo ihr seid“.

So wurde im vergangenen August die gesamte Friedhofstribüne des Wiener Sportklub mit Fußball-Aufklebern aus den rechten Teilen der Austria-Szene verunstaltet. Die Fanszene des WSK gilt als links, die Botschaft war also weder zufällig noch besonders subtil.

Im nächsten Schritt können es dann Sprayereien sein, eingeschlagene Fensterscheiben, Buttersäure, versuchte Einbrüche oder andere Sachbeschädigungen, wie beispielsweise rund um die W23. Die letzte Eskalationsstufe schließlich sind Angriffe gegen Personen. Es wäre nicht das erste Mal.

Tote durch rechte Gewalt

Der Rechtsterrorismus hat in Österreich eine lange Geschichte. In den letzten Jahren gingen bereits mehrere Todesopfer auf das Konto von Tätern aus der österreichischen rechtsextremen Szene. Immer wieder gibt es auch umfangreiche Waffenfunde (ich habe diese Entwicklungen hier im Einzelnen nachgezeichnet).

Auch die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingswohnheime hat sich von 2015 auf 2016 fast verdoppelt. Ende April ergab die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage des Grünen Abgeordneten Albert Steinhauser, dass die Anzahl der rechtsextremen Tathandlungen seit 2014 insgesamt sprunghaft zunimmt. Darunter waren mehrere Brandstiftungen, die potentiell auch Todesopfer in Kauf nehmen.

Angriffe als Auftrag

Alle AktivistInnen, mit denen ich gesprochen habe, waren sich einig, dass sie sich von rechtsextremen Übergriffen nicht einschüchtern lassen werden. So meint Fiona Herzog von der SJ: „Wir werden uns davon sicher nicht beeindrucken lassen. Im Gegenteil, wir werden noch mehr versuchen, antirassistische Themen in der Öffentlichkeit zu rücken.“ Auch Sarah Neuhold von der AFA betont: „Wir verstehen solche Angriffe vor allem als Auftrag, noch stärker gegen Rechtsextreme und Neonazis vorzugehen.“

Dennoch sollte die Fülle und zunehmende Intensität der rechtsextremen Übergriffe nicht nur ein Thema für die unmittelbar Betroffenen sein. Wir müssen über rechte Gewalt reden.

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