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APA/APA (AFP)/LOIC VENANCE

Business oder Hass

Heute wird wieder einmal über die Zukunft der EU entschieden. OK, eigentlich über die Zukunft Frankreichs, denn heute wird der oder die neue Präsident_in gewählt.

Von Irmi Wutscher

Update 20:47

Lauter Jubel und feuchte Augen im Lokal „La Bellevilloise“ in Paris - schon in der ersten Hochrechnung hat Emmanuel Macron 65,5 Prozent und Marine Le Pen 34,5 (Hochrechnung des Fernsehsenders LCI). Er wird also der nächste Präsident Frankreichs. Ungültig oder nicht gewählt haben 25,8 Prozent, so der derzeitige Stand. Die jungen Menschen hier sind glücklich, dass Europa gerettet ist und das Frankkreich offen und international bleibt.

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Ähnlich wie in Österreich sind die Kandidat_innnen, die heuer in die Stichwahl gekommen sind, ungewöhnlich: die beiden ehemals großen Parteien der Mitte, die Parti Socialiste und die konservativen Républicains sind nicht dabei, dafür zwei eher extreme Kandidaten:

Die Recherchen zu diesem Artikel erfolgten auf einer Pressereise, organisiert vom Deutsch-Französichen Institut, auf Einladung der Robert-Bosch-Stiftung.

Auf der einen Seite Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National, die aus der EU austreten, alle Grenzen schließen, keinen MigrantInnen mehr haben und dafür eventuell zum Franc zurückkehren möchte.

Auf der anderen Seite Emmanuel Maron – er war Wirtschaftsminister unter Francois Hollande, hat die Sozialisten verlassen, um eine eigene Bewegung außerhalb der klassischen Parteienlandschaft zu gründen. „En Marche“ heißt die und Macron ist im ersten Durchgang erster geworden. Er hat vor allem wirtschaftsliberale Ideen, will z.B. den Arbeitsmarkt flexibilisieren und die Pensionssysteme angleichen.

Debatte im Fersehen

Irmi Wutscher

In der lezten Diskussion am Donnerstag wird aggessiv diskutiert.

Ni-Ni – weder noch?

Unter jungen Menschen war der Linke Kandidat Jean-Luc Mélenchon Nummer eins. 30 Prozent der unter 24-Jährigen und 24 Prozent der unter 34-Jährigen haben in der ersten Runde für ihn gestimmt. Und vor allem sie sind es, denen die Stichwahl Kopfzerbrechen macht. „Wir haben die Wahl zwischen Business und Hass“ sagt ein junger Wähler. „Wir wählen Business, obwohl wir das nicht wollen.“ Viele drücken eine ähnliche Stimmung aus – sie wählen halt das geringere Übel.

Es gibt aber auch eine Kampagne die sich „Ni-Ni“ nennt, also weder noch, und die dazu aufruft nicht oder ungültig zu wählen – sie wird vor allem von Mélenchon-Anhänger_innen aber auch einigen Fillon-Wähler_innen getragen. In der Tat sagt die letzte Umfrage vom Freitag, dass bis zu 24 Prozent nicht oder weiß wählen wollen, ein ungewöhnlich hoher Wert für eine Stichwahl in Frankreich.

Deswegen haben sich am Freitag Politiker_innen aller Parteien außer dem Front National zu einer Initiative zusammengetan, um Bürger_innen zum Wählen aufzurufen. Am Rand dieser Veranstaltung habe ich Pierre Moscivici getroffen, er gehört zur Parti Socialiste und ist Wirtschafts- und Währungskommissar in der EU-Kommission. Er sagt, es sei im Interesse des Front National, dass die Menschen nicht wählen. „Jede Enthaltung ist eine Stimme für Marine LePen“. Auch die Satirezeitung Le Canard Enchaîné ist auf den Ni-Ni-Zug aufgesprungen: „Ni Marine, Ni LePen“ titeln sie:

Der Canard enchaîné

Irmi Wutscher

Der Front National und „le Rurban“

In Trocy-en-Multien, einer 290-Seelen-Gemeinde 70 Kilometer östlich von Paris, ist der Front National erster geworden. Die Rechtsextremen sind vor allem in den Zonen 50 bis 100 Kilometer rund um Großstädte erfolgreich und in Gegenden mit hoher struktureller Arbeitslosigkeit, wie im Norden von Frankreich.

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Das Wahl-Spezial von ORF.at und am abend alle Hochrechnungen und Ergebnisse.

In Zonen, die „Le Rurban“ genannt werden, ein Kofferwort aus rural und urban, gibt es viele Gemeinden, die von Zusammenlegungen betroffen sind und in denen es dann keine Post, kein Amt, keine Bar und keine Geschäfte mehr gibt. Die Menschen hier fühlen sich übersehen und vergessen. „Sie haben auch das Gefühl, ein bestimmter „Way of life“ verschwindet, und sie haben Angst“, sagt der Arnaud Rousseau, parteiloser Bürgermeister und Bauerngewerkschafter von Trocy-en-Multien. „Dazu kommt ein generelles Misstrauen gegenüber der Politik.“

Der Bürgermeister hält Wahlzettel hoch

Irmi Wutscher

Bürgermeister Arnaud Rousseau hält die Wahlzettel hoch.

Aymeric Durox ist Lokalpolitiker des Front National in Melun, einer Kleinstadt 50 Kilometer südöstlich von Paris. Hier hat der Front National in der ersten Runde 18 Prozent geholt – unter dem frankreichweiten Durchschnitt. Durox ist Lehrer und Kandidat für die Parlamentswahlen kommenden Juni. Er macht seit Dezember intensiv Wahlkampf für den Front National: “Was auch immer am Sonntag passiert, wir haben große Fortschritte gemacht und ich bin zuversichtlich, denn wir haben die Jungen hinter uns.“ Im ersten Wahlgang haben die 18 -bis-24-Jährigen zu 30 Prozent den Linken Kandidaten Mélenchon gewählt. An zweiter Stelle lag mit 21 Prozent der Front National.

Aymeric Durox im Bürod des Front National

Petra Sorge

Aymeric Durox im Büro des Front National in Melun. Ganze vier Frankreichfahnen hängen hier und noch mehr Marines.

Neben den Jungen weiß der Front National auch die Arbeiterschaft hinter sich, sagt Aymeric Durox. „Wenn jetzt unglücklicherweise Herr Macron an die Macht kommt, werden die unteren Klassen weiter verarmen. Das wird zu legitimer Wut führen. Und immer mehr Teile der Bevölkerung werden draufkommen, dass der Front National Recht hat.“

Das ist eine Analyse die auch linke Beobachter, wie etwa der Philosoph und Buchautor Didier Eribon teilen. Und sie wird mir sogar in Paris bestätigt - kein Ort der Front-National-Wähler_innenschaft. Die Zimmerfrau im Hotel, mit der ich mich über die anstehenden Wahlen unterhalte, ist für den Front National – „Macron will nur dass wir noch mehr arbeiten“, sagt sie. „Es wird gleich wie vorher. Ich will Veränderung! Und Marine Le Pen ist die Einzige, die diese Veränderung bringt!“ Als guinesisch-stämmige Französin stört sie sie Ausländerpolemik des Front National nicht: „Überall in Paris schlafen die Flüchtlinge auf der Straße, und es ist gefährlicher geworden mit den Attentaten usw.“

Junge für Macron

Bei jungen Menschen und bei der Arbeiterschaft ist Macron in der Tat nicht so erfolgreich, wie bei anderen Bevölkerungsschichten. Eine Vorfeldorganisation von Macrons Bewegung „En Marche!“, die „Jeunes Avec Macron“ versuchen gerade mit Wahlkampagnen auf der Straße und in den Sozialen Medien die Jungen von Macron zu überzeugen. Sacha Houlié ist 28, Anwalt und bei den Jeunes avec Macron aktiv. Er erzählt: „Der Wahlkampf ist schwierig. Wir haben gesehen, dass Frankreich gespalten ist.“

Houlié betont, dass er selbst aus einer Arbeiterfamilie kommt und dass Macron für ihn Ideen repräsentiert, die den sozialen Aufstieg begünstigen. Sacha war einer der vier jungen Menschen, die sich schon 2015 zusammengefunden haben aus Enthusiasmus für Emmanuel Macron – noch bevor es seine Bewegung „En Marche“ gab. Heute haben die „Jeunes Avec Macron“ 21.000 Mitglieder und sind unter anderem für die Auswahl der Kandidat_innen für die Parlamentswahl im Juni verantwortlich.

spray-message "Je vote Macron"

irmi wutscher

Brexit war ein Wake-Up Call für junge Menschen wie ihn, sagt Sacha Houlié. „Wir dachten nicht dass das passieren kann, dass Europa immer existiert. Jetzt wissen wir: Unsere Generation sind entweder die Europa-Killer oder die Europa-Wiederaufbauer. Wir werden die Aufbauer sein (lacht). Hoffe ich!“
Im Lager Macron ist man sich relativ siegessicher, alle Umfragen deuten darauf hin. Nur ist damit noch längst nicht alles gegessen. „Ich habe keine Angst, dass wir verlieren“ sagt Sacha Houlié. „Aber ich habe Angst, dass wir Frankreich nicht regieren können.“

Denn im Juni wird dann das Parlament gewählt. Dort hat der_die Präsident_in idealerweise eine Mehrheit, um Gesetze durchzubringen. Die Frage ist, ob eine so junge und neue Bewegung wie „En Marche“ das schafft. Aber jetzt muss erst einmal die Präsidentschaftswahl entschieden werden und das wissen wir heute Abend ab 20 Uhr.

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