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Phoenix

Emma Le Doyen

Und die Liebe spricht doch französisch

„Ti Amo“, das sechste Album von Phoenix, ist nicht ihr bestes. Wieso es trotzdem hörenswert ist.

Von Lisa Schneider

„Fior Di Latte“ ist eine italienische Milcheissorte, ein köstlicher Kalorienbombast. Ähnlich samtig-fließend ist der gleichnamige Song von Phoenix, den wir schon vor ein paar Monaten auszugsweise hören durften: Sofia Coppola, die Ehefrau von Sänger Thomas Mars, hat den Titel für einen Calvin Klein Lingerie-Werbespot verwendet. „Trigger me happy“ singt Thomas Mars da, her mit dem Eis, mit der Übertreibung, mit der Völlerei. Es geht ums Aufgehen in Fantasiegelüsten, darum, der Versuchung nachzugeben und schließlich nichts zu bereuen.

Phoenix, das berühmteste (mittlerweile) Synthpopquartett aus Versailles, spielt schon seit über zwanzig Jahren gemeinsam. Die Pariser Szene ist eine fruchtbare, schon früh sind die vier Musiker eng mit großen Kollegen wie Air und Daft Punk verbandelt. „Ti Amo“ ist das sechste Studioalbum der Band und das dritte seit ihrem Durchbruchserfolg „Wolfgang Amadeus Phoenix“ 2009. Zunächst in Insiderkreisen mit unaufgeregt schönen Indiepopsongs wie „Consolation Prizes“ oder „Long Distance Call“ bekannt, war es dieses mozartgemäß größenwahnsinnig gute Album, das den Weg etwa zu Coachella-Headlineslots freigemacht hat. Zurecht, weil Festivalhymnen wie „Lisztomania“ und „1901“ waren mit im Gepäck.

Phoenix Albumcover

Atlantic Records UK

„Ti Amo“ ist das sechste Studioalbum von Phoenix und erscheint via Atlantic Records UK.

Vier Jahre sind, kalkuliert man Schreib-, Aufnahme- und Produktionsprozess mit ein, eigentlich keine wahnsinnig lange Zeit, auf ein Album zu warten. Bei Phoenix hat man trotzdem das Gefühl, sie geben sich hedonistisch, gewollt träge, tüfteln lange, lassen den Rest der Welt an der Leine zappeln. Umso stärker wirkt die Aussage, die ihre Rückkehr bedeutet: Ti Amo! Je t’aime! I love you!

Dich, dich liebe ich.

Eurodisco, Glitzerkugel, Zuckerwatte

Der üppige Titel findet in der Auswahl der Songtitel seine logische Fortsetzung. Und die lesen sich in etwa so, als wollte Zac Efron ein neues Highschool Musical aufnehmen: „Tutti Frutti“, „Goodbye Soleil“, „Fleur De Lys“. Unsinnsspielereien, Liebesbekenntnisse, schon erwähnte Eissorten. Wo schon am Vorgängeralbum „Bankrupt!" (2013) Gitarrenriffs gegen Synthesizer getauscht wurden, geht „Ti Amo“ in Richtung Bubblegum-Dancefloorpop noch ein Stückchen weiter. Korken knallen, her mit dem Schampus, zuvor noch ein bisschen Hüften wackeln. In all dem schönen Partylärm bleibt aber die Hauptzutat des Phoenix’schen Erfolgs auf der Strecke: die sonst gewohnt starke Melodieführung haben sie leider an der Bar stehen lassen. Der beste Song ist die erste Single und gleichzeitig der Opener des Albums, „J-Boy“, ein hooklastiger, synthgeschwängerter Hit, Phoenix in alter Höchstform.

Ungeniert optimistisch singt Thomas Mars in seinen bekanntermaßen verspielt-klugen Texten über die Themen, die er immer schon am liebsten besingt: Liebe und Zurückweisung, Hoffnung, Beziehung, Drama - das alltägliche Leben. Es ist kein politisches Album, erklärt Thomas Mars. Er hat noch nie politische Songs geschrieben.

Und trotzdem, dieser zuckersüße Italodisco-Pop, den Phoenix unter anderem mit dem gleichnamigen Song „Ti Amo“ auf die Spitze treiben, ist so plakativ positiv, man kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob nicht darin doch eine tiefere Wahrheit schlummert. Geschrieben wurde das Album zur Zeit der Bataclan-Anschläge in Paris. Gitarrist Christian Mazzalai war sogar währenddessen im Studio eingeschlossen. Phoenix wundern sich selbst, dass unter diesen ungemütlichen Umständen – auch aufgenommen wurde alles in Paris – ein so lebensbejahendes, freudvolles und fast schon ulkig übertrieben positives Album entstanden ist.

„I love you anyway“, lautet da etwa eine Zeile in „Lovelife“, es ist egal, was du machst, oder was passiert. Ob du Trump, Flüchtlingskrise oder Terroranschlag heißt.

Phoenix

Emma Le Doyen

Musik als die starke Kraft

Dass „Ti Amo“ gerade jetzt erscheint, wird im Angesicht der jüngsten Ereignisse in London und Manchester zum Glücksgriff, wenn auch zum ungeplanten. Ein lautes Ja! gegen die Widrigkeiten, das zwar auf den ersten Blick naiv wirkt, aber eine einfache wie klare Message hat. Tom Mars erklärt, er sehe seine Musik als eine Art Gegen-Statement, als eine eigenständige Stimme im Trubel rundherum, eine treibende Kraft. Keine, die durch vermeintliche Schönrederei den Alltag flüchtet, sondern eine, die etwas entgegensetzen will. Dass er auf „Ti Amo“ nicht nur seine eigene Stimme in die Welt, sondern auch eine eigene Sprache ins Leben ruft, macht ihn besonders stolz. Vor allem freut er sich darauf, erzählt er im Interview, diese teils kodierten Texte in einer turbulenten Mischung aus Englisch, Italienisch und Französisch, auch live vorzutragen.

Justin Bieber hat soeben im Zuge des großen Benefizkonzerts in Manchester mit der Menge unzählige Male „Love“ als Antwort auf die Terroranschläge in Manchester hinausgeschrien. Britpopthronerben und Allzeitgegner Chris Martin und Liam Gallagher haben gemeinsam „Live Forever“ geträllert. Miley Cyrus zeigt sich in ihrem neuen Video nicht mehr rotzig, sondern lieb. Dick aufgetragene, öffentliche Liebesgeständnisse und der Aufruf zu Zusammenhalt waren in der Musikwelt nie so en vogue wie heute, aus dem traurigen Grund, dass sie wohl auch nie nötiger waren. Ein guter Popsong ist dafür nach wie vor die beste Ausdrucksweise.

Live in Österreich kann man Phoenix am Out Of The Woods Festival (20. bis 22. Juli, Wiesen) sehen.

„Ti Amo“ also. Phoenix lieben Eis und Sonnenuntergänge, vor allem aber das Leben. Es ist nicht das beste Album, es ist wahrscheinlich nicht einmal das drittbeste Album der Band geworden. Passend zum Sommer wird es auf Strandpartys rauf– und runterlaufen, im Herbst wird wohl leider niemand mehr daran denken.

Aber die nicht nur geduckt zurückhaltende, sondern plakativ positive Aussage des neuen Albums von Phoenix ist im aktuellen politischen Kontext wichtiger als die leider verlorene Ohrwurmqualität.

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