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„Vergasen, Vergasen!“

Einige Tage nach den AG-Leaks zeigt sich erneut, wie in manchen WhatsApp-Gruppen ungeniert antisemitische Äußerungen getätigt werden.

Diesmal betrifft es eine ohnehin fragwürdige Gruppe von so genannten „Pick-Up Artists“ (PUAs) rund um die fast schon sektenhaften Selbstoptimierungs-Gurus von „Real Social Dynamics“ (RSD). Ein geleakter Chat-Verlauf zeigt nicht nur, dass antisemitische Witze immer noch gerne verharmlost werden, sondern gibt auch sonst einen Einblick in die befremdliche Gedankenwelt der PUAs.

Ein buckliger, hakennäsiger Mann mit einem hämischen Grinsen, der seine Hände reibt: Diese klischeehaft antisemitische, an den Stil des „Stürmers“ aus der Nazizeit erinnernde Karikatur wurde von einem der Mitglieder in der WhatsApp-Gruppe „RSD Inner Circle Vienna“ gepostet, nachdem David (Name von der Redaktion geändert) der Gruppe beigetreten war. Er ist Jude – zwar nicht streng praktizierend, dennoch fühlte er sich angegriffen.

Antisemitische Karikatur

Screenshot WhatsApp

Zunächst fragt ein Chat-Teilnehmer, ob sich David von einem „Bild eines Juden“ beleidigt fühlt. Doch das Bild ist eben nicht „nur“ ein Bild eines Juden. Einer bezeichnet schließlich den Absender der antisemitischen Karikatur als „sehr, sehr speziell“, ein weiterer als „eigentlich behindert“.

Chatverlauf im "RSD Inner Circle".

Screenshot WhatsApp

Doch es folgten nicht nur Relativierungsversuche, sondern auch weitere Anfeindungen gegen David. Zwei User schickten für alle Gruppenmitglieder abrufbare Sprachnachrichten.

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„Sorry, but as you could tell, we don’t want any jews in our country“, meint darin einer. Der nächste steigt auf das Bashing mit ein und schmettert mit hitleresker Stimme „Vergasen! Vergasen!“ ins Mikrofon.

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Was ist RSD?

Real Social Dynamics (RSD) ist ein Unternehmen, das weltweit Seminare und Boot-Camps abhält, in denen Männern das Ansprechen und Verführen von Frauen erlernen sollen.

RSD geriet schon öfter wegen seiner Mitglieder und Coaches in die Schlagzeilen. Etwa wegen Julien Blanc. Er stand wegen einiger seiner unfassbar frauenverachtenden Tweets und Bilder im Kreuzfeuer. In einem seiner Videos demonstrierte er, wie er in Tokio Frauen an ihrem Kopf packte und ihr Gesicht in seinen Schritt drückte. Die Frauen im Video schienen sich nicht zu wehren – die japanische Kultur, in der Ruhe und Zurückhaltung ein wesentlicher Bestandteil sind, hatte Blanc schamlos ausgenutzt.

So viel Douchbaggery muss man erst einmal ertragen. Ein weltweiter Shitstorm gegen den PUA war die Folge; Australien, Singapur und Großbritannien verweigerten dem ominösen Coach die Einreise.

Es folgte eine Stellungnahme Blancs auf CNN, in der er behauptete, dass die Tweets aus dem Zusammenhang gerissen wurden und er in seinen Seminaren gänzlich andere Dinge lehren würde. 2015 betreibt Blanc den YouTube-Kanal JulienHimself, auf dem er keine Dating-Tipps mehr gibt, sondern sich in Videos auf „personal development“ und „life-enrichment“ konzentriert. Dennoch scheint er auch weiterhin bei der Facebook-GruppeRSD Inner Circle - Vienna als Admin der Seite auf.

Als David fragt, ob denn niemand von den Admins etwas zu den gehässigen Kommentaren zu sagen hätte, kommt zunächst keine Antwort. Der Admin meldet sich zunächst kühl mit den Worten „Nach zwei Jahren RSD weiß ich viel über Pick-Up, aber nichts über menschliche Emotionen.“ Womöglich ein weiterer „Scherz“. Der Admin schießt nach: „Alles, was irgendwie Gefühle bedeutet, ist Oneitis.“ Es ist einer von vielen Sätzen in typischem PUA-Sprech, der das wahre Gesicht der selbsternannten Alphas zeigt.

Am nächsten Tag richtet sich der Gruppen-Admin mit einer längeren Nachricht an seine Mitglieder und scheint erst jetzt mitbekommen zu haben, was eigentlich passiert ist. Er versucht, die Wogen zu glätten und droht mit Konsequenzen: „Jedes respektlose Benehmen gegen die anderen in der Gruppe oder außerhalb davon wird nicht akzeptiert, man wird rausgeschmissen. Ihr seid gewarnt. Ich glaube, jeder ist reif genug, das richtige zu sagen und ich akzeptiere kein despektierliches Verhalten gegenüber den anderen. Wir sind hier ein Team und die ganze Menschheit ist ein Team. Wir wollen den Leuten gute Emotionen geben.“

Screenshot WhatsApp

Screenshot WhatsApp

Schließlich entschuldigt der Admin sich bei David für den Karikatur-Poster und meint einmal mehr, dass dieser eben ziemlich „zurückgeblieben“ sei, relativiert jedoch und meint, dass das Bild ja nur ein Meme sei und eben ein abgedroschenes Klischee darstelle: „Wie ein Tscheche, der faul ist und Bier trinkt, oder ein Österreicher, der Schnitzel isst.“ Der Vergleich hinkt. Anders verfährt er mit dem Versender der Sprachnachricht: Er wird aus der Gruppe geschmissen. Der andere Beteiligte, den der Admin an der Stimme erkennt, darf bleiben, wird aber ein „letztes Mal“ verwarnt.

Chatverlauf im "RSD Inner Circle". Ein Teilnehmer regt sich über Political Correctness auf.

Screenshot WhatsApp

Zunächst schreibt der Verwarnte noch: „Ich mag es nicht, wie Leute zu gesellschaftlich konditionierten Schwuchteln werden, die sich von einem scheiß Meme beleidigt fühlen lol“. Wird nach der Ermahnung etwas einsichtiger im Tonfall: „Ich stimme zu, meine Sprachnachricht war zu viel und kann leicht aus dem Zusammenhang gerissen werden.“ Nur: Aus welchem Zusammenhang kann denn da etwas gerissen werden? „Ich werde besser aufpassen“, schreibt er weiter. Eine Entschuldigung kommt dem Typen nicht über die Bildschirmtastatur.

Zurück zum sexistischen Alltag

Neben den antisemitischen Äußerungen, die in der Gruppe zum Glück nicht ohne Konsequenzen geblieben sind, bietet das Chat-Protokoll des „RSD Inner Circle Vienna“ einen Einblick in die Gedankenwelt und den Austausch unter den PUAs.

Zitate aus dem Chatprotokoll des RSD Inner Circle

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Zum einen liest man da Nachrichten von Burschen, die gerade irgendwo auf der Pirsch sind. Währenddessen schicken sie Bilder von potenziellen Zielen und holen sich Tipps von den anderen Chatteilnehmern. Es gibt aber auch Diskussionen darüber, ob Porno nun hyperstimulierend ist oder ob Pornoabstinenz sinnvoll ist. Einer der Diskutanten meint, dass er Frauen im echten Leben „geiler“ findet. Ein anderer gratuliert: „Du fängst an, die wahre Schönheit zu sehen xD“.

„Sie kommen alle aus ihren Löchern gekrochen und wir kriechen in ihre“

Wenn es um das „Gaming“ (also das „Aufreißen“ im Feld) geht, fallen gewisse verbale Hemmungen und der Sexismus der Gruppe zeigt seine hässliche Fratze. Frauen werden als Bitches, Weiber und sogar Pokémon bezeichnet. Die Vielzahl an Codewörtern, die verwendet werden, füllen womöglich ein kleines Wörterbuch (Kollege Marc Carnal hat schon vor ein paar Jahren ein kleines Glossar zusammengestellt).

TXT-Chatprotokoll des "RSD Inner Circle"

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Einige der Teilnehmer scheinen zudem noch nicht einmal volljährig zu sein.

Einige der Ch

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Auch fragwürdige Taktiken werden besprochen, um das „Ziel“ gewissermaßen an sich zu „binden“:

TXT-Protokoll des RSD-Chats

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Man tauscht gelegentlich auch Screenshots von Chats mit Frauen aus, die wiederum zeigen, wie beleidigend über die Frauen geredet wird.

Beleidigender Chat mit einer Frau

WhatsApp-Screenshot

Gewisse Personen würden diese Aussagen wohl als harmlosen Locker-Room-Talk abtun. Es wäre interessant zu wissen, was wohl die angesprochenen Frauen dazu denken würden, wenn sie wüssten, wie abfällig teilweise über sie in einem Chat mit Dutzenden anderen Mitgliedern gesprochen wird. Mit den „Lay Reports“, die untereinander ausgetauscht werden, wird zudem das Sexualleben der „gelayten“ Frauen vor einer ganzen Reihe von Leuten bloßgestellt.

Ursprünglich dachte David, dass die Gruppe lediglich zum allgemeinen Austausch von Expats in Wien dienen würde. Dass darin prahlhänsische PUAs ihre neuesten Aufriss- und Flachlegegeschichten preisgeben, war ihm nicht von Anfang an bewusst. Er hatte sich auf Facebook nach Gruppen für Ausgeh-Tipps umgesehen und ist dabei auch auf die RSD-Seite gestoßen, jedoch hatte er die Gruppenbeschreibung nicht genau durchgelesen, der man eigentlich recht eindeutig entnehmen kann, worum es in der Gruppe geht: „Tons of Wings, High Value Posts, Epic Lay Reports“ steht dort.

Die Gruppenbeschreibung des "RSD Inner Circles" auf Facebook

Screenshot Facebook

Der Admin nimmt David schließlich zuerst in die Facebook- und danach in die WhatsApp-Gruppe auf. David verschweigt nicht, dass er in Israel aufgewachsen ist, und erzählt es auch in der Gruppe. Anders als seine Eltern, die sich im Urlaub schon mal als Spanier ausgegeben hatten, um keine seltsamen Blicke oder judenfeindliche Kommentare zu abzubekommen.

David hat auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Ein Teil seiner Familie hat in Wien gelebt und ist 1938 geflohen. Seit gut zwei Jahren lebt er in Wien und ist ein „Yored“, wie man Auswanderer aus Israel nennt. Eine solche Art der Diskriminierung, wie sie in der Whatsapp-Gruppe passiert ist, hat David, seit er in Österreich lebt, noch nicht erlebt. „Ich war für 20 Minuten regelrecht versteinert“, sagt er. „In dem Moment sind mir die ganzen Geschichten meiner Großeltern durch den Kopf gegangen, die sie über die 30er-Jahre in Wien erzählt hatten und ich konnte nachvollziehen, wie sie sich damals gefühlt haben mussten.“

In Wien hat die Facebook-Gruppe „RSD Inner Circle - Vienna“ mehr als 1.000 Mitglieder, die WhatsApp-Gruppe laut David ca. 200 Mitglieder. Die Chat-Protokolle, die uns eigentlich wegen der judenfeindlichen Kommentare zugespielt wurden, sind im szenetypischen Soziolekt geschrieben, sprechen aber eine klare Sprache und geben einen Einblick in die Gedankenwelt der PUAs. Das Beispiel von David zeigt einmal mehr, wie präsent Antisemitismus immer noch ist und dass gewisse Leute nicht einmal davor zurückschrecken, Juden so direkt verbal zu attackieren. Zumindest hat der Admin der Gruppe hier schnell Konsequenzen gezogen.

Was bleibt, sind die objektifizierenden, sexistischen, misogynen Übergriffe der PUAs. Und solche „Inner Circle“-Gruppen gibt es nicht nur in Wien, sondern weltweit.

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