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Jakuzi

Jakuzi

Fantezi Müsik

Das Duo Jakuzi aus Istanbul hat mit „Fantezi Müsik“ ein Album veröffentlicht, das unter den derzeitigen politischen Verhältnissen so fantastisch erscheint wie sein Titel.

Von Christian Lehner

Kaum zu glauben, aber die bisher beste Synth-Pop-Platte des Jahres kommt nicht aus New York, London oder Berlin, sondern aus Istanbul. Das ist kein Zufall, denn seltene Glücksmomente wie „Fantezi Müsik“, das Debüt des Duos Jakuzi, sind häufig das Resultat besonderer Produktionsbedingungen.

2017 scheint die Türkei weit weg vom freien Geist, wie er noch in Fatih Akıns Musikdoku “Crossing The Bridge” (2005) zumindest durch die Ritzen staatlicher Unterdrückung zu dringen vermochte. Dass es im Underground Istanbuls dennoch wieder brodelt, ist perfiderweise auch auf den Terror zurückzuführen, der die Metropole am Bosporus seit Jahren heimsucht. Viele ausländische Acts meiden die Stadt. Lokale Bands springen ein und bekommen so eine größere Plattform. Dennoch dringt unter der hedonismusfeindlichen Glocke Erdogans kaum ein Ton nach außen.

Es ist daher gar nicht so einfach, mit Jakuzi in Kontakt zu treten. Pressetermine im Ausland gibt es nicht und das vor zwei Jahren gegründete Duo ist bisher noch nicht auf Tour gewesen. So habe ich Taner Yücel (Musik) und Kutay Soyocak (Text, Gesang) einige Fragen nach Instanbul gemailt, die sie auf Türkisch beantworteten und als Audiofiles zu einem Dolmetscher nach Berlin schickten, bis sie schließlich - nach einigen Wochen - bei mir in der Mailbox landeten.

Gesungen wird bei Jakuzi auf Türkisch. Man braucht die Sprache nicht zu verstehen, um schnell in den Sog ihrer Vision von Synth-Pop zu geraten. Die Musik klingt ein wenig, als würden Joy Division, Roxy Music und Depeche Mode in einer Shisha-Pfeife türkischen Schlager rauchen. Gemeint ist dabei aber nicht Ethno-Crossover-Quatsch, sondern das internationale Gefühl der Sehnsucht und des Außenseitertums.

Sehnsucht statt Ethnokitsch

Der Titel „Fantezi Müsik“ ist dann auch eine Abwandlung von „Fantazi Müsik“, einem türkischen Subgenre der Arabeske, die wiederum eine Mischform aus traditioneller orientalischer Musik und Mainstream Pop darstellt. Diese von Jakuzi um New Wave und Post Punk erweiterte Mixtur klingt so eigenwillig wie einzigartig und vor allem einnehmend.

Die Stimme von Kutay Soyotschak mag sich gelegentlich an das Schwülstige von Arabeske anlehnen, die Texte und Intenion von Jakuzi tun es definitiv nicht. Häufig geht es um Sex oder queere Identitäten, ein Tabu in der türkischen Gesellschaft.

Cover

Jakuzi

„Fantezi Müsik“ von Jakuzi ist auf City Slang erschienen.

Weitere Infos: Jakuzi

Das Cover des Albums zeigt einen tätowierten Mann mit einer Halskette aus Blumen und einer Sadomaso-Ledermaske. Unter den derzeitigen politischen Umständen kann man sich gar nicht vorstellen, dass so etwas in der Türkei veröffentlicht werden darf. Jakuzi haben konsequenterweise professionelle Distributionswege vermieden und das Album im Eigenverlag als Musikkassette veröffentlicht. Die CD-Version ist nicht in der Türkei, sondern bei dem Label City Slang in Deutschland erschienen. Hier das rückübersetzte Interview zur Synth-Pop-Platte des Jahres:

Im Pressetext zu Eurem Debütalbum „Fantezi Müsik“ heißt es, Euer Sound wäre einzigartig in der Türkei. Woher das Interesse an 80s-Synth-Pop, Post Punk und New Wave?

Kutay: In unserem Privatleben hören wir eine Menge verschiedener Musikrichtungen inklusive der genannten. Als wir Jakuzi gründeten, hatten wir nicht vor, die Stile dieser Zeit zu integrieren. Das hat sich eher entwickelt, nachdem Taner und ich uns kennengelernt haben und unseren jeweiligen Geschmack besser verstanden.

Gibt es in der türkischen Popmusik eine Tradition von New Wave ähnlich der von Psychedelic und Prog Rock?

Taner: In der Türkei hat es durchaus auch schon früher Post Punk und New Wave Bands gegeben, aber sehr viel später als im Rest der Welt. Heute gibt es auch nicht so viel Auswahl wie in Europa, aber doch einige sehr gute Acts wie Neoblast, Art Dictator, She Past Away und andere.

Gibt es musikalische Vorbilder, die “Fantezi Müsik” inspiriert haben?

Kutay: Als ich mit Taner an „Fantezi Müsik“ gearbeitet habe, haben wir beide eine einfache Herangehensweise bevorzugt. Wir wollten, dass der Entstehungsprozess reflektiert wird, die Arbeit am Computer und der Gitarre. Wir fanden es auch witzig, als Synth-Pop Band keinen Synthesizer zu verwenden. Das gibt uns auf der Bühne mehr Raum für unsere Performance und entspricht dem DIY-Charakter und Punk-Ethos von Bands und Musikern, die wir mögen wie etwa John Maus, Ariel Pink oder Alan Vega.

Habt Ihr tatsächlich nur Plug-Ins verwendet und keine alten Synths?

Taner: Wir haben analog nur sehr wenig gemacht. Der Großteil ist im Computer entstanden.

Da ich kein Türkisch verstehe: Um welche Themen geht es in Euren Songs?

Kutay: Bei den Lyrics haben wir uns eine Person, einen Mann, ausgedacht und in den Songs geht es hauptsächlich um seinen Gefühlshaushalt. Es sollte wie aus einem Mund klingen und die Inhalte ähneln sich im Grunde, weil es sich um die Erfahrungen der gleichen Person handelt. In den Texten geht es um seine Gefühle, seine Sexualität, seine Traurigkeit, seine Gutmütigkeit und seine Einsamkeit.

Wo kommen diese Gefühl der Einsamkeit und Isolation in Eurer Musik her? Ist das eine persönliche Sache, oder reflektiert es auch den derzeitigen Zustand der türkischen Gesellschaft?

Kutay: Natürlich ist die Melancholie in der Musik eine persönliche Reflektion, aber gleichzeitig haben wir, als wir die Musik gemacht haben, auch unsere Rolle in der Gesellschaft thematisiert. In der Türkei finden Melancholie und Unglücklichsein immer einen Widerhall, weil das tief in unsere Kultur eingegraben ist. Die musikalische Bearbeitung richtet sich dabei immer an ein Gegenüber und fast nie an sich selbst. Wir wollten mit „Fantezi Müsik“ die Melancholie der Songs nicht überdramatisieren. Sie sollte vielfältiger dargestellt werden und auch auf die Sexualität eingehen. Wir denken, dass dies für uns richtiger ist. Wenn wir in einer anderen Gesellschaft leben würden, würde sich die Reflektion von Melancholie wahrscheinlich anders anhören.

Gibt es in Eurer Musik eine politische Komponente?

Taner: Wir können nicht sagen, das das Album eine politische Ausrichtung hat, aber mit dem Song „Lubunya“ sprechen wir ein politisches Thema an. Lubunya ist in der LGBTQ-Community ein Jargon-Begriff , wird aber immer mehr für transsexuelle Personen benutzt. Wir denken, dass viele Morde an queeren Menschen in der Türkei aus einer persönlichen sexuellen Frustration heraus begangen werden, weil die Menschen ihre Sexualität nicht frei ausleben dürfen.

Kutay: Wir leben in einer männerdominierten Gesellschaft und wir wollten die vorherrschende Doppelmoral thematisieren, so wie sie in vielen Bereichen vorherrscht; etwa die Tatsache, dass eine Transsexuelle (Bülent Ersoy, Anm.) einerseits im Fernsehen als Diva gefeiert wird und andererseits transsexuelle Personen auf der Straße ermordet werden.

Woher rührt der schöne Titel “Fantezi Müsik”?

Taner: Fantazi Muzik ist eine Untersparte der türkischen Arabesk-Muzik. Wir persönlich haben uns darüber lustig gemacht und damit angefangen, Witze über Roxy Music und Fantazi Musik zu machen; ein schlechter Witz, über den nur wir lachen konnten. Wir für uns haben dann Fantezi Muzik mit Dream-Pop konnotiert und das fanden wir gut. Der Unterschied liegt in einem Buchstaben, aber er ist umso größer.

Erklärt uns doch bitte mal, was Arabeske Musik ist?

Taner: Ich denke, dass Du auf Wikipedia eine bessere Definition für Arabeske finden wirst, als ich sie Dir geben kann. Wir sind keine Kenner. Arabeske bedeutet für uns zuviel Drama, zuviel Schmerz. Das Genre ist etwas sexistisch und folgt einer traditierten Erzählweise, die manchmal einfach nur komisch klingt.

Was sind gute Beispiele für Arabeske?

Taner: Müslüm Gürses Album „Mutlu ol yeter“ und der Song „Kalbini mahşere götür“.

Wie werdet ihr in der Türkei gesehen? Ich habe gelesen, dass Euch mit der ersten Single „Koca Bir Saçmalık“ ein kleiner Hit gelungen ist?

Taner: Seit wir unser Album auf Kassette herausgebracht haben, haben wir von den Leuten eine gute Resonanz und viel Beachtung bekommen. Die Kritiken sind ebenfalls sehr positiv, auch wenn einige nicht begeistert sind, aber im Großen und Ganzen ist die Aufmerksamkeit gut und das positive Feedback überwiegt. Wir wissen natürlich nicht, wie Du Dir das Popstar-Dasein in der Türkei vorstellst, aber wir werden sicher keine Popstars, weil wir diesen Weg für uns nicht sehen. Ich kann nur sagen, dass wir mit unserer Musik schwer die Miete bezahlen können.

Könnt Ihr mir bitte beschreiben, wie es zu dem Albumcover gekommen ist?

Taner: Die BDSM-Maske hatte ich bei einem Freund in Japan bestellt und als sie ankam, dachten wir, dass sie zusammen mit dem Album-Namen „Fantezi Muzik“ ein provokatives Bild ergeben könnten. Wir haben Berk Çakmakcı, einem befreundeten Grafiker und Musiker, davon erzählt. Er hat das Foto geschossen. Wir fanden es gut und so wurde es zum Cover.

Es sieht aus wie ein S&M-Statement. Ich war ja noch nie in der Türkei und kenne vieles nur aus den Medien, aber auf mich wirkt so ein explixites Cover sehr mutig in diesen Tagen. Oder irre ich mich, was Moral und Codes betrifft?

Taner: Ja, das stimmt, das Cover bezieht sich auf die BDSM- bzw. S&M-Szene. Hätten wir das Album auf einem türkischen Plattenlabel herausgebracht, hätten wir in jedem Fall Druck von der hiesigen Radio- und Fernsehaufsicht bekommen. Aber so war es kein Problem. Wir sind keine Band, die ein Millionenpublikum anspricht. Wir sind im Underground verankert und genießen dort auch eine gewisse Popularität.

Wie ist die Situation für Rock- und Popbands in der Türkei? Könnt ihr relativ ungestört Konzerte spielen und Euch entfalten?

Kutay: In den Wintermonaten haben wir beim Publikum wie auch bei befreundeten Musikern schon eine gewisse Anspannung miterlebt, aber weil wir im Underground unter uns sind und wir die Konzerte mehr für uns und eine klar definierte, begrenzte Szene spielen, leiden wir nicht unter der Situation. Mit der Zeit vergisst man auch die Anspanunng und wir versuchen unser Leben normal weiterzuleben.

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