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10 Jahre Vice Austria

Vice Austria

10 Jahre Vice Austria

10 Jahre Vice Austria

Warum Vice auch nach 10 Jahren immer noch wie ein Schuss aus der Hüfte wirkt.

Von Martin Blumenau

Ich würde sagen, es gibt zwei Herangehensweisen an erfolgreiche Medienarbeit (die im Übrigen auch auf einige andere Bereiche zutreffen): entweder man rotzt etwas raus, Bauchgefühl, Instinkt etc. und trifft damit ein Gefühl oder ein Interesse; oder man entwickelt eine (gute) Idee langfristig, bereitet sich vor, analysiert, plant, setzt gezielt um, lässt sich von Rückschlägen nicht beeindrucken, bleibt dran und trifft damit ein Gefühl oder ein Interesse.

Nach außen hin, publikumsseitig, werden Erfolgsgeschichten fast ausnahmslos als Bauchdinge erzählt: sich mit seiner Crowd quasi empathisch verbinden zu können, hat einen hohen Wert. Nur: wie die meisten öffentlichen Narrative ist das bloß eine sehr alternative Wahrheit, die nicht mehr Substanz als ein Werbe-Trailer hat. In echt war es zuallermeist das nach außen weniger gut verkäufliche Planungsding, die abgefeimte Analyse, die gefinkelte Kalkulation mit den Schwächen der Menschen. So ist das im Kapitalismus halt.

Im Fall von Vice, der Weltmarke, war immer gezielte Überlegung dabei. Zu Beginn, als Projekt unter dem public service-Schutzmantel der förderfreudigen kanadischen Regierung, war es die Idee, die Stärken und Spitzen der Subkulturen zu bündeln (erinnert mich stark an ein anderes, fast zeitgleich entstandenes Projekt, nämlich FM4). Der Umstieg zum global wichtigsten Beförderer jugendkulturell relevanter Brands folgte derselben Logik.

2005 tastete sich eine deutsche Ausgabe als angesagtes Schmuddel-Hefterl durch die Clubszene, 2007 riskierte es ein Grüppchen risikofreudiger Österreicher, ein Franchise einzurichten. Das war alles noch ehe Vice zum big player im internationalen Medien-Biz aufstieg, mit TV-Koops, weltweiten Büros und dem Erstarken des wertvollen Markenkerns im Web.

Festakt, dritter Teil: Donnerstag 8. Juni, ab 20:00, Grelle Forelle.
Party like it’s 2007. Mit Crack Ignaz, Schirenc plays Pungent Stench,Cid Rim, Bad&Boujee, Candy Ken, Jugo Ürdens, Flow Job & Colt aus Gold (susiklub), Hausgemacht, Felix Fuchs and many more.

Grelle Forelle Spittelauer Lände 12, 1090 Wien

Nach außen kommt Vice, diese gezielte Überlegung einer medialen Idee, seit jeher so an, als wäre es ein permanenter Schuss aus der Hüfte; mit bewussten Grenzüberschreitungen, die auf die bewusst nicht klassisch-professionelle Herangehensweise seiner Proponenten zurückzuführen und deshalb auch okay wäre. Das ist natürlich ein Trick. Und nicht einmal ein böser, sondern nur folgerichtig.

Vice erlaubt sich nämlich etwas, was im klassisch-professionellen Journalismus gar nicht mehr möglich ist, vor lauter Putzfrauen-Arbeit (Copyright Corinna Milborn), also dem Hinterherhecheln in der polyphonischen Flut des journalistischen Alltags: einen Schritt zurücktreten, das Wesentliche erkennen und dann gezielt anstrahlen. Vice tut das, was klassische Medien kaum mehr schaffen: reportieren, entweder mit Gewissen oder ohne Skrupel, fokussieren, mit Haltung oder mit Voyeurismus, verknüpfen, ganz naiv oder mit dem Blick auf die Zusammenhänge.

Wobei die Verantwortlichen eben genau wissen, was sie tun. Das wurde Dienstag Abend, beim Auftakt zu den 10 Jahre Vice Austria-Festakten, einer Podiumsdiskussion über mediale Fehlerkultur, augenfällig. Während sich die Vertreter der klassischen Medienformen stark in ihren jeweiligen (Denk)-Formaten abarbeiteten, war Markus Lust, der Vice-Chefredakteur, in seinen Branchenreflexionen immer ein Stück weiter, offener, weniger auf Bewahrung, sondern mehr auf Forschung ausgerichtet (und ich habe den Totschlag-Begriff der Innovation bis hierher vermieden; merkt das jemand?).

Lust ist/war ebenso wie David Bogner, Jonas Vogt, Stefan Häckel und Niko Alm das menschgewordene Gegenmodell dieser Bauchgefühl-Faker, jemand, der zu gezielten Überlegungen steht. Dass ich im letzten Satz nicht gendern musste, das ist die immer noch aufrechte Kinderkrankheit der Vice-Kultur: Frauen schaffen es seltenst in die erste Reihe. Nicht weil sie nicht gezielt und überlegt handeln können, sondern wohl weil sie die marketingtechnische Außenzuschreibung des aus-der-Hüfte-Gerotzten weniger glaubhaft ans Publikum/die Werbeindustrie vermitteln können; glaubt man.

Dabei ist das ein Unsinn. Meine erste Assoziation zum Thema Vice ist Hanna Herbst, die risikofreudige Autorin und Vize-Chefin von Vice Austria (also die Vize-Vice), die mit ihren Texten und Zugängen eine spezifische, über den eingeschränkten Horizont-Witz der Boys Clubs (nicht nur in Vice, sondern in allen Medien) hinausgehende Darstellungswirklichkeit gefunden hat, und nicht nur aneckt, weil sie klassisch-argen Vice-Themen (Pudern, Partyen, Pimpen) im klassisch rotzigen buzzfeed-style behandelt, sondern die österreichische Seele spiegelt und so wie einige andere ihrer KollegInnen auch, die Untiefen unseres hierzuländischen Daseins ausleuchtet. Ohne Rücksicht auf den dabei zu Tage tretenden Grind, ohne Rücksicht auf die leicht auszurechnenden durchs Mediendorf getriebenen Säue zu nehmen, ohne Rücksicht auf die Klick-Quoten-Vorgaben der Chefitäten und auch ohne Rücksicht auf die eigene Wehleidigkeit. Und das ist die Qualität von Vice Austria.

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