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Skater und olympische Ringe

John Sebastian Gutierrez Campo

Bedroht Olympia den Kern des Skateboardens?

Skateboarden wird 2020 zum ersten Mal bei Olympischen Spielen vertreten sein. Doch während die einen sich davon mehr Aufmerksamkeit und Geld erhoffen, sehen andere dadurch die Skatekultur bedroht. Olympia spaltet die Szene.

Von Simon Welebil

Bild: John Sebastian Gutierrez Campo (CC BY 2.0) | Montage: Nils Kozeluha

Santino Exenberger ist eines der vielversprechendsten österreichischen Talente auf dem Skateboard. Ob nach der Schule oder am Wochenende, der 16-jährige Handelsschüler aus Schwaz in Tirol, der schon sein halbes Leben lang auf dem Skateboard steht, nützt jede freie Minute zum skaten und fährt mittlerweile bei internationalen Contests mit.

Anfang April stellt Santino Exenberger ein Projekt auf die Sport-Crowdfunding-Plattform I believe in you : Er will bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokyo Österreichs erster Olympia-Teilnehmer im Skaten werden und bittet daher um Unterstützung, vor allem, um die Reisekosten zu Contests abdecken zu können.

Olympia wird der größte Skate-Contest auf der Welt werden, sagt Santino im Interview und findet es positiv, dass Skateboarden endlich in den Kanon der olympischen Sportarten aufgenommen wird: „Skaten wird viel berühmter werden. Viel mehr Leute werden zu skaten beginnen und Skaten wird viel mehr gefördert werden, wie Schifahren vielleicht.“

Santino Exenberger beim Skaten

Fabio Cracao

Santino Exenberger in der Skatehalle Innsbruck

Doch nicht alle in der Skate-Szene sehen das gleich wie Santino Exenberger. Für sein Crowdfunding-Projekt, das er erfolgreich abschließen konnte, wurde er teilweise auf Social Media sogar gedisst. Denn Olympia ist im Skateboarden ein Reizwort.

Skateboarden wird olympische Disziplin

Das Internationale Olympische Komitee hat 2016 entschieden, dass 2020 fünf neue Sportarten für die Olympischen Spiele in Tokyo zugelassen werden: Baseball/Softball, Karate, Klettern und die Boardsportarten Wellenreiten und Skateboarden.

Im Skateboarden wird es dabei zwei Disziplinen geben, Street und Park. 40 Skaterinnen und 40 Skater werden sich dafür qualifizieren können. Die Kriterien für die Qualifikation stehen noch nicht fest, fix scheint, dass es höchstens eine Handvoll AthletInnen aus Europa überhaupt zu den Spielen schaffen wird.

Fix ist auch, wer für die Qualifikation und Austragung der Bewerbe zuständig ist, der Internationale Rollsportverband FIRS, mit dem die International Skateboarding Federation vor Kurzem fusioniert hat.

„Skaten und Olympia passen nicht zusammen“

Einer derjenigen, der aufschreit, wenn er Skateboarden und Olympische Spiele in einem Satz hört, ist Christopher Gan: „Ich halte es für einen großen Fehler. Man wird ein Vehikel für etwas anderes, für das IOC und seine kommerziellen Interessen." Laut ihm würden hier zwei Sachen zusammengebracht, die allein schon von ihrem kulturellen Hintergrund nicht verschiedener sein könnten. Skateboarden, das sich aus einer Außenseiterposition und Protestkultur heraus entwickelt hat, wird nun vom Establishment vereinnahmt, die „Misfits“, die sich um nichts scheren, werden zu „Jocks“ gemacht. Dadurch würde der Kern des Skateboardens und vieles an „Skatekultur“ verloren gehen.

„Je mehr man sich dem Glitzern des Geldes hingibt, desto mehr muss man Kompromisse machen - und Kompromisse sind nicht, was Skateboarden ausmacht." (Christopher Gan)

Christopher Gan hat einiges an „Skatekultur“ eingesogen. Er hat bereits Mitte der 1980er in Wien zu skaten begonnen, eine der ersten großen Wiener Skate-Szenen auf der Donauinsel erlebt, für verschiedene, mittlerweile verschwundene Skate-Magazine geschrieben und immer wieder gefilmt. Was ihn außer dem Alter groß von Santino Exenberger unterscheidet ist, dass er nie einen Sponsor hatte und nie aktiv Contests gefahren ist.

SkaterInnen

Radio FM4 / Simon Welebil

Christopher Gan

Contests werden zu richtigen Wettbewerben

Skateboarden braucht eigentlich keine Wettbewerbe, sagt Christopher Gan, denn Skateboarden ist nicht unbedingt ein Sport, sondern mehr eine Ausdrucksform. Contests seien im Skaten immer mehr ein Zusammenkommen als ein Wettbewerb gewesen, bei dem es nie wirklich ums Gewinnen ging. Hauptsache, es hat eine gute Show gegeben, man hat viele Freunde getroffen und eine gute Party gefeiert. Und was Skateboarden schon gar nicht braucht, sind Wettkämpfe wie Olympia, bei denen AthletInnen für eine Nation antreten, ein Konzept, das dem Skateboarden total fremd ist. Terje Haakonsen hat Ähnliches immer über das Snowboarden gesagt.

Doch in den letzten Jahren haben sich Skate-Contests bereits verändert, meint Christopher Gan. Auf großen Contestserien wird anders geskatet als früher. Bei den Tricks wird viel mehr auf eine saubere Ausführung geachtet und ein Run muss möglichst flüssig und durchgängig sein. Für Olympia fürchtet er, dass sich das Ganze noch einmal zuspitzen wird, dass es ein einheitliches Regelwerk und Bewertungskriterien braucht, um wirkliche SiegerInnen zu küren. Das ist Gift für Kreativität im Skateboarden und nicht seine Vorstellung von Skateboarden.

Negativbeispiel Snowboarden

Bei der Sorge, dass Skate-Contests im Hinblick auf Olympia zu einem Einheitsbrei werden, trifft er sich mit Stefan Ebner, 38, der aber einen pragmatischeren Zugang zu Olympia hat und Wettbewerbsskaten eine Daseinsberechtigung einräumt. „Skateboarden braucht die Olympischen Spiele nicht, aber die Olympischen Spiele brauchen Skateboarden“, meint er - ein Satz, den man in der Diskussion öfter hört und liest - und will aus dieser Diskrepanz das Beste für Skateboarden herausholen. Der Innsbrucker Stefan Ebner ist ebenfalls ein Veteran der österreichischen Skate-Szene, fährt seit 27 Jahren Skateboard, in den Neunzigern mit Sponsor, jetzt ohne, ist aber tiefer in der Contest- und Veranstalter-Szene verankert. Er moderiert etwa fast alle wichtigen Skateboard-Contests in Österreich, den Skate-Weltcup in Graz, den Air+Style Skate Contest und das WUB-Open in Innsbruck.

SkateboarderInnen

Stefan Ebner

Stefan Ebner

Als Innsbrucker hat Stefan natürlich auch ein Auge für das Snowboarden und hat dort in den letzten Jahren den Eindruck bekommen, dass alle RiderInnen bei Contests die gleichen Tricks machen. Das soll im Skaten nicht passieren, sagt Stefan Ebner, und dafür bräuchte es ein entsprechendes Format, das Vielfalt zulässt, wobei ihm natürlich klar ist, dass über das Reglement für Skaten bei den Olympischen Spielen nicht in Österreich entschieden wird. Doch es sollen auch nicht Leute, die aus einer komplett anderen Sportart kommen, darüber bestimmen, wie Skateboarden aussieht, wie es etwa im Snowboarden passiert ist.

Als Snowboarden 1998 zur olympischen Disziplin wurde, hat der Schiverband FIS die Zuständigkeit für Snowboarden zugesprochen bekommen, im Skateboarden war die Horrorvorstellung, dass es der Radverband wird. Schlussendlich hat das Internationale Olympische Kommittee dem Internationalen Rollsportverband FIRS den Zuschlag für Skateboarding erteilt, die fachliche Kompetenz dazu sollte die International Skateboarding Federation ISF stellen, bei der unter anderem Skate-Legenden wie Tony Hawk, Bob Burnquist oder Eric Koston mit an Bord sind. Mittlerweile haben ISF und FIRS fusioniert.

Ein authentischer Skateboard-Verband

Auf internationaler Ebene scheinen die Verbandsfronten im Skateboarden zumindest vorübergehend geklärt, national sieht das noch anders aus. Zwischen Rollsportverband und SkateboarderInnen liegen Welten. Stefan Ebner liegt viel daran, aus den Fehlern, die Snowboarden gemacht hat, zu lernen. Er will versuchen, authentische Verbandsstrukturen für das Skateboarden zu schaffen. Seit zweieinhalb Jahren versucht er, die Szene zu vernetzen und einen Fachverband ins Leben zu rufen mit Leuten, die jetzt schon aktiv was für die Szene tun, Shop- und Hallenbetreiber, Contestveranstalter etc.

Ein authentischer Verband hätte für Stefan Ebner die Aufgabe, Skateboarden als Gesamtphänomen zu repräsentieren, in all seinen Facetten, vom Wettbewerbsskaten über die DIY-Kultur, Musik-, Video- und Fotoproduktion. Er sieht die größte Herausforderung durch Olympia darin, dass das mediale Bild von Skateboarden extrem reduziert wird.

„Damit Skateboarden in ein massentaugliches Format hineinpasst, muss es an mehreren Ecken beschnitten werden. Wenn dann in den Medien nur mehr dieser kleine Ausschnitt präsentiert wird, verarmt das Skateboarden als Ganzes.“ (Stefan Ebner)

Verband, Vorteile, Verantwortung

Obwohl Stefan Ebner sein Anliegen, Skateboarden, das aus einer Kultur der Regelfreiheit kommt, eine Organisation zu verpassen, selbst als Spagat begreift, sieht er keine bessere Möglichkeit, den Individualismus und die Vielfältigkeit des Skateboardens auch in Zukunft zu erhalten.

Dazu kommt, dass er bisher ganz gute Erfahrungen mit Strukturen im Skaten gemacht hat. Er ist Obmann des Vereins ZIP 6020, der sich der Förderung der Skateboardszene in Innsbruck und Umgebung verschrieben hat. Über den Verein hat er eine Kompromisslösung mit der Tiroler Politik erzielt, dass etwa am Innsbrucker Landhausplatz, dem fast schon ikonischen Skate Streetspot, mit Auflagen geskatet werden darf, und er war auch bei der Konzeptionierung der Skatehalle in Innsbruck involviert.

Der Sinn einer Organisation besteht für Stefan Ebner darin, besser mit öffentlichen Stellen in Kontakt zu kommen und dadurch leichter etwas erreichen zu können. Damit geht natürlich auch Verantwortung einher, die nicht alle tragen wollen. In Blickrichtung Olympische Spiele heißt das für ihn, dass es zumindest in begrenztem Rahmen öffentliche Mittel und Förderungen für das Skateboarden geben wird, und die gelte es einzusetzen, um die Gesamtheit des Skateboardens weiterzubringen.

„Es muss im Skateboarding Platz sein für den Top-Athleten, der einen Ernährungsplan hat und einen Trainer und der auf Trainingslager fährt, genauso wie für den, den - plakativ gesagt - nur das Skateboard von einem Sandler unterscheidet“. (Stefan Ebner)

Olympia besser links liegen lassen?

Christopher Gan findet den Ansatz Stefan Ebners, die Entwicklungen, die mit Olympia einsetzen, im Sinne der Skate-Tradition abzufedern, zwar löblich, glaubt aber nicht, dass sie erfolgsversprechend sind: „Ich glaube wir sitzen am schwächeren Ast“, sagt er und lehnt die Vorstellung, dabei zu sein sei jedenfalls besser, als Illusion ab. Etablierte Machtsysteme seien schwer zu durchbrechen, in dem Fall solle man es besser gar nicht versuchen. Er versucht seit Jahren die Szene dahingehend zu sensibilisieren, Olympia links liegen zu lassen und sich nur auf das eigene Skaten zu konzentrieren, doch das gelingt ihm nicht immer. Dass mehr Geld ins System kommt, stößt ihm sogar auf: „Dieses Verkaufen, das ist peinlich - das ist es einfach. Da muss man sich irgendwie rechtfertigen.“

Im Interview packt Christopher Gan noch ein Zitat des Skate-Profis Jason Jessee aus: „Skateboarding, I love it so much I want it to die.“ Christophers Auslegung dazu ist eindeutig. Skateboarden ist auch ihm selbst so viel wert, dass er gar nichts mit all dem „Schindluder“ zu tun haben will, das mit Skateboarden getrieben wird. „Hoffentlich wird’s wieder ganz am Boden sein, weil dann sind die Leute dabei, die’s wirklich Ernst nehmen.“

Puristisch oder pragmatisch?

Hinter so einem puristischen Ansatz, wie ihn Christopher Gan vertritt, wollen natürlich auch nicht alle Core-Skater stehen. Der Wiener Filmemacher und Skate-Veteran Johannes Wahl etwa findet Olympia positiv, es werde der Szene gut tun und auch Jobs generieren, etwa für Trainer, Funktionäre oder Videographer. Dass Olympia die Skatekultur zerstören könnte, findet er lächerlich. Sein Skaten wird Olympia nicht verändern, meint er und geht dabei d’accord mit Julia Brückler, wohl die einzige aus der Riege österreichischer SkaterInnen mit realistischer Chance auf eine Olympiateilnahme in Tokyo. „Etwas, das wir gerne machen, kann mir kein Event der Welt kaputt machen“, sagt sie in einer FM4 Talkrunde zum Status Quo des Skateboardens 2017.

SkaterInnen

Radio FM4 / Simon Welebil

Julia Brücker, Johannes Wahl und Lenni Pfeiffer, die am Donnerstag, 13.7. in einer Homebase-Spezialstunde zu Gast sind, um eine Bestandsaufnahme von Skateboarden 2017 zu machen.

Viel Lärm um Nichts?

Wenn man Santino Exenberger nach seinem Masterplan fragt, für den er mit seinem Crowdfunding-Projekt Geld eingesammelt hat, wird klar, dass es noch eine Weile dauern wird, bis sich die befürchteten Änderungen im Skaten niederschlagen. Santino hat weder Trainer noch Trainingsplan, sondern geht einfach in den Skatepark oder an Streetspots, wann immer er Zeit dafür findet, und lässt dann den Zufall und die Laune entscheiden, welche Tricks er gerade lernt. Er will sich auch nicht dreinreden lassen, was er tun und lassen, was er richtig oder falsch finden soll und stellt sich somit eigentlich ganz in die kulturellen Tradition des Skateboardens.

SkaterInnen

Radio FM4 / Simon Welebil

Santino Exenberger

Und die Aufregung über Olympia, die wird sich wahrscheinlich legen, wenn man wieder das Beispiel Snowboarden heranzieht. Fast 20 Jahre nach der olympischen Premiere von Snowboarden haben sich die Wogen großteils geglättet. Dass Snowboarder bei Olympia teilnehmen, ist mittlerweile selbstverständlich, es interessiert halt nicht alle in der Szene. Im Skaten wird das wohl nicht viel anders werden. Ein lockerer Zugang könnte also nicht schaden, wie Julia Brückler meint, denn es gilt immer noch: „Wer es nicht anschauen will, muss es ja nicht anschauen.“

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