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Pixx

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The Age Of Anxiety

Die englische Newcomerin Pixx und ihr Debutalbum „The Age Of Anxiety“. Alternative Pop inspiriert vom großen Lyriker W.H. Auden.

Von Eva Umbauer

Der Albumtitel „The Age Of Anxiety“ mag anglophilen Menschen vielleicht irgendwie bekannt vorkommen, ist „The Age Of Anxiety“ doch das wohl beste Gedicht des britischen Lyrikers W.H. Auden. Das Versepos aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt aber gleichzeitig auch viel Kritik. Auden war vor dem Zweiten Weltkrieg von England nach New York gegangen und erst wieder kurz vor seinem Tod Anfang der siebziger Jahre nach Großbritannien zurückgekehrt. „Das Zeitalter der Angst“ schrieb er in einer Bar in New York.

Welt in Aufruhr

The music must always play (...) Lest we should see where we are. Lost in a haunted wood. Children afraid of the night, heißt es etwa in Audens „The Age Of Anxiety“. In W.H. Audens großem Gedicht geht es um Veränderungen, im Besonderen um die Industrialisierung; es geht um die menschliche Isolation in der modernen Welt. Bei Pixx und den Songs von ihrem Album „The Age Of Anxiety“ geht es ebenfalls um die moderne Welt und die Schwierigkeiten, mit denen diese die Menschen konfrontiert, etwa der Druck auf junge Menschen, den Social Media mit sich bringen können, oder insgesamt Politik und der Zustand, in dem sich die Welt befindet.

Pixx mit apricot-farbener Kapuzer

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Pixx war der Kosename einer der beiden Großmütter von Hannah Rodgers.

Children afraid of the night heißt eine Zeile in Audens Gedicht. Als Kind hatte Hannah Rodgers, wie Pixx eigentlich heißt, eine Phase, in der sie nicht schlafen konnte, sie hatte Albträume. Durch den Schlafentzug verfiel sie in Tagträume. Träume sind für Rodgers mittlerweile etwas Faszinierendes. Der quasi passende Sound dazu, Dreampop, ebenso. Die schottische Band The Cocteau Twins etwa spielte Dreampop und war damit in den 80er und vor allem 90er Jahren abseits des Mainstream sehr erfolgreich. Sängerin Liz Fraser und ihre Texte, die oft keinen wirklichen Sinn ergaben, dazu der „Shoegaze“-Sound von Robin Guthrie und Simon Raymonde - ätherisch, engelsgleich, aber auch verwaschen und ins Lärmige gehend.

Die wunderbar verspielte Musik von Pixx bezieht sich auf eine Band wie die Cocteau Twins, aber sie erinnert hin und wieder - in ihrer gelegentlichen Aberwitzigkeit - auch an die kanadische Musikerin Grimes oder die englische Pop-Ikone Kate Bush. Den Folk hat Hannah Rodgers sowieso verinnerlicht - Joni Mitchell -, auch wenn sie „The Age Of Anxiety“ nicht in ein Indie-Folk-Gewand kleidet. Aber ein Rock-Vibe blitzt schon mal durch - bei „I Bow Down“. Und da sind süße Melodien, Vocal Loops und tolle Samples, soulige Refrains und new-wavige Keyboards. Und da ist bittersüße Melancholie, wenn Pixx in „Girls“ singt, dass sie auch einfach nur so tanzen können möchte wie die anderen Mädchen:

I wish that I could dance like the rest of the girls

Weil Pixx aber eben nun nicht zu all den anderen Mädels gehört, klingt Pixx, wie sie klingt. Da ist etwa auch etwas leicht Altmodisches in ihrem schönen Englisch, und in ihrer eher tiefen, aber klaren Stimme. Rodgers ist Absolventin der renommierten Londoner Musikschule BRIT School. Amy Winehouse war dort, ebenso gingen King Krule oder Kooks-Sänger Luke Pritchard zur BRIT School, genauso wie Adele, Kate Nash oder Jessie J, und Paul Godfrey von Morcheeba war - neben vielen anderen - ebenfalls an der London School for Performing Arts & Technology, wie die BRIT School in voller Länge heißt.

Eine Schule, die aus talentierten Vorstadt-Kids Popstars macht? Nun ja, schon, oder kommt darauf an, was man macht aus dem, was man dort gelernt hat. Auf jeden Fall war der Song, den Hannah Rodgers zum Vorsprechen an der Schule komponiert hatte, so gut, dass die Aufnahme keine Frage war. Dennoch ist man bei Pixx gewillt zu behaupten, es wäre auch ohne die BRIT School gegangen, denn wer Songs wie „Mood Ring Eyes“ oder „Baboo“ schreiben kann, braucht mehr als eine BRIT-School-Ausbildung, er/sie braucht viel von sich selbst, um Inspirationen zu finden, das Hineingreifen ins tief Persönliche, muss dann aber letztlich weitergehen und zu einer Art „social commentator“ werden. Im Song „Waterslides“ etwa ist Pixx in einem Wasser-Vergnügungspark gefangen - ein Albtraum von ihr - und wird dann von gesichtslosen Figuren in Businessanzügen umzingelt.

Auf das Gedicht von W.H. Auden kam Rodgers durch ihren Bruder, mit dem zusammen sie in einer Musik liebenden Familie südlich von London aufgewachsen ist. Der Ort Chipstead gehört zwar nicht mehr zu London, strahlt dörfliche Idylle aus, aber hat dennoch auch noch ein klein wenig etwas von London. Das Urbane und das Pastorale - für Pixx gehört es zusammen. Ihr erstes musikalisches Lebenszeichen gab die heute Anfang 20-Jährige schon vor zwei Jahren mit dem Minialbum „Fall In“, auf dem sich vier Songs befanden. Seither hat Rodgers intensiv an ihrer Musik weitergearbeitet.

Mit dem Song „Everything Is Weird In America“ lässt sich der Kreis zum vor 70 Jahren erschienen Gedicht von W.H. Auden schließen. Pixx schrieb diesen Song in New York. Sie war gerade auf US-Tour und machte sich Gedanken um so Manches, was um sie herum passierte, oder sie schaute einfach nur aus dem Fenster. Im Song heißt es dann:

We think our towers are tall, but don’t be fooled by the horns and lights. They like to say, „We don’t sleep at night“ (...) But be aware, it’s not all it seems, a vision built on movie screens. Hear me cry out. Everything is weird in America.

Pixx Plattencover: Büste mit Edelsteinen

4ad/Beggars

„The Age Of Anxiety“ von Pixx, erschienen am 2. Juni 2017

Tolles (poppiges) Debut

„The Age Of Anxiety“ ist ein tolles Debut. Wo wird Hannah Rodgers in zehn, fünfzehn Jahren sein? Diese Frage stellt sich jetzt nicht, denn ihr Album ist voller gegenwärtiger Dinge, die es zu verarbeiten gilt. Aber schnell noch ein paar Vergleiche vielleicht? Dubstar, die britische Band rund um Sarah Blackwood, die Ende der 90er Jahre erfolgreichen Alternative-Pop spielte, oder auch Morcheeba und Zero 7, oder Lush, jene Londoner Dreampop Band der zweiten Generation. Bei der Plattenfirma letzterer Band - dem legendären 4AD Label (Pixies etc.) - veröffentlicht Pixx nun auch ihr Album, das, ja ja ja, in Momenten vielleicht ein klitzeklein wenig zu poppig geraten ist - blame it on the BRIT School! -, aber insgesamt, wie gesagt, ein tolles Albumdebut ist. Rave on, Pixx, wir freuen uns schon jetzt auf noch mehr von dir.

Wenn dir Pixx gefällt, könnten dir vielleicht auch Pumarosa, Daughter und Austra gefallen.

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