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Die Ausgelöschten

Heute vor 26 Jahren hat der Balkankonflikt mit dem Zehn-Tage-Krieg in Slowenien begonnen. Heute weiß man: Es wurde der schwerste bewaffnete Konflikt in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Andere historische Fakten sind weit weniger bekannt. Dino Bauk macht mit seinem tollen Roman „Ende. Abermals.“ auf die Geschichte der sogenannten „Ausgelöschten“ aufmerksam.

Von Maria Motter

Ljubljana, 1989. Denis ist siebzehn, er hat einen Bass, der seine Eintrittskarte in den Bandproberaum zu Peter und Goran ist, und einen Vater, dem seine Ausgehfreude Sorgen macht. Denis hingegen ist ein aufgewecktes, lebensfrohes Kerlchen, neben der Musik gilt seine größte Aufmerksamkeit den Mädchen. Nichts Ungewöhnliches an sich.

“Doch diesmal ging es um eine Mormonin: Wahrscheinlich war es schwieriger dem Kontakt mit ihr zu entgehen als ihn herzustellen.“

Es ist entzückend und lustig, wie der Autor Dino Bauk in seinem Roman „Ende. Abermals.“ seine Hauptfigur Denis mit einem amerikanischen Mädchen namens Mary – “Of course, Virgin Mary, what else?“ – auf ein erstes Date zu einem Rockkonzert führt. Ausgerechnet im kommunistischen Jugoslawien ist die junge Mormonin auf ihrer Mission in Europa gelandet, die sie sich insgeheim als Trip in die Freiheit vorgestellt hatte. Allein die Konstellation wäre ein Ausgangspunkt für Abenteuer. Aber die Geschichte hat ganz anderes vorgesehen.

Am 25. Juni 1991 erklären die Parlamente Sloweniens und Kroatiens ihre Unabhängigkeit vom jugoslawischen Bundesstaat. Der Zerfall Jugoslawiens beginnt. Die Unabhängigkeitserklärungen sind einseitig und unmittelbar darauf folgt am 26. Juni die Intervention der von Serben geführten jugoslawischen Volksarmee. In Slowenien wird sich das Militär rasch zurückziehen, in Kroatien werden die Kämpfe bis 1995 andauern. All diese Jahre des Umbruchs und der Kriege und noch ein Jahrzehnt hat Dino Bauk in seinen erstaunliche 200 Seiten kurzen Debütroman „Ende. Abermals.“ gepackt.

Dino Bauk

Uroš Hočevar

Dabei erzählt Dino Bauk eine gar unglaubliche, aber von historischen Fakten inspirierte Geschichte, indem er die Handlung auf das Leben der vier jungen Menschen Denis, Goran und Peter sowie Mary beschränkt. Eine Playlist ließe sich aus den eingebauten Song-Titeln erstellen, von Ekaterina Velikas Album „Ljubav“ zu John Lennons und Yoko Onos „Woman ist the N* of the World“. Aber das nur nebenbei. Die Konstruktion des Romans ist komplex, das stört aber beim Lesen überhaupt nicht, sondern steigert die Spannung. Die Kapitel springen in der Zeit vor und zurück und sie fokussieren abwechselnd auf die Ereignisse, die schließlich den lebensfrohen Denis treffen.

An einem Nachmittag werden die drei Bandkollegen von Polizisten aufgehalten. Sie sollen sich ausweisen. Denis hat nur einen Führerschein dabei. Er sei illegal in Slowenien, so die Exekutive.

“Peter und Goran standen da und blickten dem Trio nach, das sich vom Preseren-Denkmal Richtung Polizeistation auf der Trdinova aufmachte: links der kleine, grantige Polizist, rechts der gutmütige Riese, zwischen den beiden Denis, die Hände in die Taschen seiner Jeans gesteckt, den Kopf zwischen die Schultern gesenkt und den Kragen der Vietnam-Jacke hochgeklappt.“

Die Freunde werden nichts mehr von Denis hören. Die Erinnerung an ihn quält sie noch fünfzehn Jahre später und auch Mary, längst zurück in den USA, beginnt zu recherchieren.

Buchcover mit Musikkassette

Hollitzer Verlag

Dino Bauk: „Ende. Abermals.“, aus dem Slowenischen übersetzt von Sebastian Walcher, Hollitzer Verlag 2017.

Genau das macht man auch, wenn man den Roman zu Ende gelesen hat. Beeindruckend unterhaltsam schreibt Dino Bauk und erzählt doch abgrundtief Trauriges. Es verwundert, dass die deutsche Ausgabe am Ende zwar gute Anmerkungen des Übersetzers aufweist, aber die zentrale Erläuterung ausspart:

Mit der Unabhängigkeit Sloweniens sollten die BürgerInnen aus anderen Teilrepubliken Jugoslawiens, die in Slowenien damals lebten, innerhalb einer bestimmten Frist die slowenische Staatsbürgerschaft beantragen. Taten sie das nicht, verloren sie das Aufenthaltsrecht und wurden ohne Vorwarnung aus dem Bevölkerungsregister gelöscht. Das betraf 25.000 Menschen. Jene, die abgeschoben wurden, wurden vielfach von den Armeen der anderen vormals jugoslawischen Teilrepubliken eingezogen. 2003 hat der Slowenische Verfassungsgerichtshofes die Streichung der Ex-Jugoslawen aus dem Bevölkerungsregister für rechtswidrig erklärt.

Während sich die Vorgeschichte im Realen abspielt, kippt die Erzählung für ihren großen, langen Showdown ins Fantastische. „Er legte das Buch zurück auf das Regal und ließ sich wortlos weiter durch den Tunnel führen, dessen Wände mit Werken befüllt waren, die erst erscheinen würden. Das beklemmende Gefühl, er ginge an Büchern vorüber, die er niemals lesen würde, schnürte ihm den Hals zu. “

Weiterlesen:

  • „Darkroom“ von Rujana Jeger
  • „Der Baum ohne Namen“ von Drago Jančar
  • „Vaters Land“ von Goran Vojnović

Dino Bauk, der hauptberuflich als Rechtsanwalt arbeitet und Kolumnen für die slowenische Wochenzeitung „Mladina“ schreibt, ist mit seinem Debüt „Ende. Abermals.“ eine intensive Auseinandersetzung mit der Ungewissheit über den Verbleib Verschwundener gelungen. Es geht um Erinnerung und Täuschung, schließlich um die Möglichkeit der Rekonstruktion und die eines Abschlusses einer Geschichte. Noch heute sind Tausende Menschen in Kroatien und Bosnien vermisst.

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