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Wenn das Minus immer größer wird

Wenn Schulden in Höhen steigen, die nicht mehr zu bewältigen sind, bleibt manchmal nur der Privatkonkurs. Diesen Weg sind letztes Jahr 7.855 Personen gegangen. Ab November wird es für Menschen mit besonders wenig Einkommen oder besonders hohen Krediten leichter, aus den Schulden herauskommen.

Von Irmi Wutscher

Ein Vormittag im Büro der Wiener Schuldnerberatung: im Stundentakt kommen Klient_innen, die Termine der Schuldnerberatung sind ausgebucht. Ein junger Mann ist heute zum ersten Mal da. „Man fängt klein an, mit kleineren Überziehungsrahmen“, erzählt er. „und dann wird es von selbst immer mehr. Zinsen zum Beispiel, auch Kreditzinsen. Wenn man schon in der Scheiße ist, nutzen die Banken das aus und vergeben hohe Zinsen, das reitet einen immer mehr hinein.“ Er hat das Gefühl, jetzt stehe er an der Kippe - er verdiene zwar gut, aber trotzdem müsse er etwas unternehmen.

Es gibt in Österreich die staatlich anerkannte Schuldenberatung, sie hilft Klient_innen kostenlos dabei und ist öffentlich gefördert.

Die Schuldenberatung hat Beratungsstellen in allen neun Bundesländern. 70 Prozent aller Privatkonkurse 2016 wurden von einer der Schuldenberatungen begleitet.

Bei der Schuldnerberatung werden Menschen mit hohen Schulden beraten und gemeinsam mit ihnen werden Konzepte entwickelt, wie sie aus den Schulden wieder herauskommen.

Der mit Abstand häufigste Grund für Überschuldung - quer durch alle Altersstufen - ist Arbeitslosigkeit. So wie bei einem anderen Klienten heute Vormittag: „Ich bin arbeitslos geworden und jetzt kann ich die Raten von meinem Kredit nicht zahlen und komme so immer weiter ins Minus“, sagt er. Schulden vermehren sich schnell – und das Rauskommen wird mit der Zeit immer schwerer. Überschuldung heißt, dass jemand die monatlichen Verpflichtungen nicht mehr einhalten kann. Und in diese Situation kommt man relativ schnell.

Auch Schulden haben mal klein angefangen

Natürlich gibt es Fälle von Spielsucht, Drogen, Spekulationsgeschäften und missglückten Unternehmensgründungen. Aber bei den meisten Menschen, die ins große Minus rutschen, steht am Beginn der Schuldenkarriere kein großer Verlust, sondern ein kleines Minus am Konto. „Das beginnt ganz unauffällig - man überzieht das Konto, kann es nicht abdecken, muss dafür vielleicht einen Kredit aufnehmen. Vielleicht kommt dann eine größere Anschaffung dazu, für die man noch einen Kredit braucht, so summiert sich das alles“, sagt Alexander Maly, Geschäftsführer der Schuldnerberatung Wien. Er kennt solche Fälle aus der Beratungspraxis.

Kommt dann noch ein beschleunigender Faktor wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Trennung dazu, kann es schnell bergab gehen: „Wenn ich mein Konto mit 1.000€ überzogen habe und dann werde ich überraschend arbeitslos, weiß ich nicht einmal, wie ich die Miete im nächsten Monat zahlen soll. Dann hab ich ein echtes Problem. Wenn Schulden einmal in Verzug geraten, explodieren sie. Da gibt es Verzugszinsen, Mahngebühren, Gerichtsgebühren und plötzlich werden aus den 1.000€ Schulden 5.000€.“

„Schuldenfalle Handy“ im neuen Gewand

Fast ein Viertel der Menschen, die letztes Jahr zum ersten Mal zu einer Beratung zur Schuldnerberatung gekommen sind, waren jünger als dreißig Jahre. Bei jungen Menschen, das ergeben Erhebungen der Schuldnerberatung, tragen vor allem Kosten für die erste eigene Wohnung oder das erste Auto oder Moped zum Schuldenmachen bei. Oft verdienen die Jungen
wenig oder finden keine Lehrstelle, gleichzeitig gibt es aber gewisse Dinge, die sie haben wollen, um im Freundeskreis anzukommen. Deswegen haben viele junge Menschen zuallererst Konsumschulden.

Die Schuldenberatung erhebt Daten zum Thema Verschuldung in Österreich, im Schuldenbericht 2017 kann man sich genau informieren. Auch zur Jugendverschuldung gibt es ein Infoblatt.

Das Smartphone wäre so ein Beispiel. Früher hat man von der „Schuldenfalle Handy“ gesprochen – dabei ging es um die Gesprächskosten und um teure Downloadpakete. Das hat sich mit den Pauschalangeboten entschärft. Jetzt geht es darum, ein Smartphone zu besitzen. Und wer nicht gerade 500 bis 800 Euro auf der Kante hat, geht auf ein angebliches „Gratis-Angebot“ ein. Was bedeutet: Offenbar keine Anschaffungskosten fürs teure Handy, aber dann z.B. ein 2-Jahres-Vertrag über 50 Euro monatlich. „Das sind natürlich Kreditverträge! Wenn ich nicht zahlen kann, wird die gesamte Summe sofort fällig gestellt und ich habe plötzlich 1.500€ Schulden.“

Das Überziehen des Kontos beginnt oft genau mit der Volljährigkeit, sagt Alexander Maly. „Die größte Gruppe der Menschen, die zu uns kommen, ist zwischen 40 und 45 Jahre alt. Wenn man aber schaut, wann das Problem angefangen hat, dann war das meistens im frühen Erwachsenenalter. Schulden werden zwischen 18 und 25 Jahren gemacht.“ Junge Menschen sind auch deswegen mehr gefährdet, weil ihnen die Erfahrung im Umgang mit Geld fehlt. Schon lange fordert die Schuldnerberatung eine bessere finanzielle Allgemeinbildung – zum Beispiel als Schulfach.

Letzte Möglichkeit: Privatkonkurs

Überschuldet ist man, wenn eine Zahlungsunfähigkeit nicht nur vorübergehend ist, sondern wenn es so aussieht, als würde sie das nächste halbe Jahr oder Jahr andauern. Oft hilft dann nur noch der Privatkonkurs. 7.855 solche Privatinsolvenzen hat es im letzten Jahr in Österreich gegeben. Dabei erklärt sich eine Person als zahlungsunfähig und vereinbart einen Zahlungsplan mit den Gläubigern. Klappt das nicht, gibt es eine so genannte Abschöpfungsphase. Dabei wird das gesamte Vermögen und das Einkommen bis auf das Existenzminimum gepfändet.

Privatkonkurs gibt es in Österreich seit 1995, die Regelung wurden jetzt zum ersten Mal geändert.

Wie der Privatkonkurs - derzeit - ganz genau abläuft, gibt’s z.B. auf help.gv.at. Die Änderungen und Übergangsfristen in einem Factsheet von der Schuldenberatung.

Bisher hat diese Phase sieben Jahre gedauert und man musste mit diesen Pfändungen zumindest zehn Prozent der Schulden abbezahlt haben. Das ändert sich jetzt: „Die Laufzeit wurde von sieben auf fünf Jahre verkürzt. Und die Mindestquote von zehn Prozent der Schulden fällt ganz weg“, sagt Alexander Maly. „Das heißt, auch Menschen die in ihrem Leben nie wieder ein pfändbares Einkommen haben werden, wie zum Beispiel Mindestpensionisten, können in Privatkonkurs gehen.“

Die neuen Regelungen für den Privatkonkurs sind letzte Woche im Nationalrat beschlossen worden und treten am 1. November in Kraft.

Schub für Start-Ups?

Die Schuldenberatung freut sich über die Erleichterungen, denn Schuldner_innen mit sehr niedrigem Einkommen oder mit sehr hohen Schulden hatten bisher kaum eine Chance auf einen Neustart. Die Banken oder den Gläubigerschutzverband freut diese Änderung natürlich weniger. Vor allem die Gläubigerverbände befürchten Missbrauch.

Die Maßnahme ist aber nicht nur eine sozialpolitische Idee, um Menschen neue Perspektiven zu geben. Sie soll auch der Wirtschaft helfen: Unternehmen oder Start-Ups zu gründen soll erleichtert werden. Gescheiterte Unternehmensgründungen sind derzeit der zweithäufigste Grund, warum jemand in Privatkonkurs geht. Etwas Ausprobieren ist natürlich leichter, wenn man die Aussicht hat, die Schulden wieder los zu werden. Die Start-Up-Szene sei in den USA oder Großbritannien auch deswegen lebendiger und experimentierfreudiger. „Wenn man sich die Gründer aller großer Unternehmen anschaut, Google und Co., dann haben die oft schon fünf Pleiten hinter sich gebracht.“

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