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Splash Festival

Radio FM4 / Alex Hertel

Das Splash! Festival ist 20

Einmal im Jahr verwandelt sich Gräfenhainichen im Osten Deutschlands zum internationalen Hip Hop-Mekka. Mit Travis Scott, Nas, Post Malone, UFO361, Marteria und unzähligen anderen wurde am Wochenende der 20. Geburtstag gefeiert.

Von DJ Phekt

Früher wurde am Ferropolis-Gelände, etwas außerhalb von Dessau gelegen, Kohle abgebaut. Die riesengroßen rostigen Metallgiganten, die noch am Gelände stehen, verleihen dem ehemaligen Industrieareal eine ganz besondere Atmosphäre.

Seit Jahren finden dort Konzerte und Festivals wie das Splash! oder Melt statt. Statt Maschinenlärm und Hammerschlägen pumpen jetzt in erster Linie Beats und wummernde Bässe über den angrenzenden Badesee.

Treffen der Generationen

Schon bei der Anreise, im Zug von Berlin nach Dessau, lande ich in einem Großraumwagen, dessen Gepäckablagen vollgepackt sind mit Schlafsäcken, Zelten, Bierpaletten und anderen Festival-Utensilien. Meine Sitznachbarn sind Jungs aus Berlin, 19 Jahre alt und sprachlich ganz offensichtlich von deutschsprachiger Rap-Musik sozialisiert. Ich lerne, dass man das Wort „Digger“ tatsächlich konsequent hinter jeden gesprochenen Satz hängen kann, manchmal kombiniert mit einem „Alter“. Und dass mittlerweile auch Rap aus Österreich Gesprächsthema in Berlin ist: „Alter Nice Digger. Crack Ignaz heute live, Digger. Baba, den will ich hören, Digger. Alter. Da müssen wir hin, Digger.“ Die Weißwurstgrenze ist offiziell geöffnet und es herrscht sprachliche Bewegungsfreiheit im deutschsprachigen Raum.

Staub, Sonne und Beats

Den Jakobsweg brauch ich nicht mehr gehen. Denn ich bin gleich nach meiner Ankunft von der Presseakkreditierung des Festivals, an den Camping-Plätzen und an einem Badesee vorbei, zu Fuß zum Haupteingang gewandert. Ausgestattet mit einem kleinen Aufnahmegerät, um quasi im Vorbeigehen die Stimmung der Splash! Besucherinnen und Besucher fürs Radio in Österreich einzufangen. K.I.Z., UFO361, Kool Savas und Travis Scott werden am meisten genannt, wenn ich frage, auf wen sich die Leute besonders freuen. Kool Savas fährt „diskret“ im Schritttempo in einem matt-schwarzen Bentley vorbei, der so viel Staub aufwirbelt, dass man auch hingesehen hätte, wenn er in einem kleinen Fiat gekommen wäre. Das Geld muss weg.

Turn Up & Lit

Ausdrücke, die ich beim 20. Geburtstag vom Splash! öfter höre. Ehrlich gesagt war das Pulikum auch ziemlich „lit“. Wo früher Kreise für B-Boys & B-Girls gemacht wurden entstehen jetzt Moshpits zum Pogen in 70 BpM. Bausa, SXTN und Rin sorgen an Tag 1 schon am frühen Abend mit ihren Auftritten für euphorisch energetische Vibes im überwiegend jungen Publikum. UK-Grime Held Kano aus England erzählt im Interview, dass er bei seiner Show auf der Hauptbühne großen Spaß hatte. Der Platz vor der Bühne will sich während seiner Show allerdings nicht so richtig füllen.

Es gibt insgesamt 6 Bühnen beim Splash! Um die Shows von Mac Miller, Travis Scott, K.I.Z., Lil Yachty, Kollegah oder Illa J neben den vorhin erwähnten zumindest in Teilen zu sehen, lege ich weitere Kilometer zurück und verbrenne das Festival-Fast Food in meinem Körper. Den Auftritt von Crack Ignaz um 00.50 Uhr verpasse ich leider knapp.

Moshpits, Autotune, Playback

Ein paar Dinge, die mir von Tag 1 besonders in Erinnerung geblieben sind:

Der unfassbare Moshpit beim Auftritt von Travis Scott. Und die abenteuerlichen Stagediver, die ihre Körper mit großem Anlauf - begleitet von Explosionen während ihres Absprungs - ins Publikum schmeißen.

Rin zieht zu seiner Show mehr Menschen an als Nas am Tag darauf und es gelingt ihm auch besser, die Crowd zu euphorisieren. Dass er im Unterschied zum New Yorker Rap-Urgestein in erster Linie über seine eigenen Playbacks hosted, stört niemanden.

Die Verwendung von Autotune und Playback während der Konzerte juckt heute niemanden mehr. Wer sich davon provoziert fühlt, ist offiziell alt. Ich ertappe mich dabei, wie ich mir bei manchen Konzerten vorstelle, wie sie ohne Playback klingen würden. Turn down?

Refrains, Refrains und nochmal Refrains. Jene Acts, deren Hits auf catchy Hooklines basieren, dürfen sich über die meiste Publikumsinteraktion freuen.

Kollegah spaziert in Begleitung mehrerer auftrainierter, Gold-behangener, vollbärtiger „Henker“ an mir vorbei. Das erinnert mich daran, dass mein Abo beim Kieser-Training abgelaufen ist. Und dass ich die Batterie meiner alten Uhr wechseln muss. Seine glänzt so schön.

Im Shuttle-Bus mit J-Dilla’s Bruder

Eher zufällig lande ich irgendwann bei der abgelegenen Green Stage, die etwas versteckt in einem Wald liegt. Ich komme gerade rechtzeitig zum Auftritt von Illa J aus Detroit (der Bruder des verstorbenen Produzenten J-Dilla). Seine intime Show wird überraschend zu einem meiner Highlights von Tag 1. Der Mann hat gerade eine neue Platte namens „Home“ beim deutschen Label „Jakarta Records“ veröffentlicht, darauf ist er unter anderem als extrem begabter Falsetto-Sänger zu hören.

Wir sitzen um 1.30 Uhr im selben Shuttle-Bus zurück ins Hotel nach Dessau. Völlig ungezwungen nehmen wir spontan ein Interview im Taxi auf, das demnächst in FM4 Tribe Vibes zu hören sein wird. Ich kaufe ihm noch ein Vinyl-Exemplar seines neuen Albums ab und verabschiede mich. Der Arme muss drei Stunden später schon wieder im frühen Zug nach Düsseldorf zum nächsten Festival los. It’s a hard knock Festival-life.

Splash Festival

Radio FM4 / Alex Hertel

Illa J

Der zweite Tag

3Plusss eröffnet bei strahlender Sonne mit einer charmanten Show die Mainstage und verschenkt den Inhalt eines großen Kartons mit T-Shirts und Pullis ans Publikum. Sein persönlicher Protest gegen die 25% Gebühr, die das Splash! (so wie viele andere Festivals) von allen Acts verlangt, die ihren Stuff beim offiziellen Merchandise-Stand verkaufen wollen.

Ich treffe einen extrem entspannten und netten Loyle Carner aus England. Der war am Vortag in Paris, fühlt sich im Areal vom Splash! sichtlich wohl und beklagt sich, dass er gleich nach der Show schon wieder mit dem Tourbus nach England weiterfahren muss. Wir reden über sein Album „Yesterday’s Gone“, sein Leben mit ADHS und über Kochkurse für Kids mit ADHS, die er in seiner Heimat hält. Kochen und rappen haben mehr miteinander zu tun, als ihr denkt.

„Witten Untouchable“, die Kings aus Witten, genießen bei einem großen Teil des Publikums Kultstatus. Ihr Auftritt um 17 Uhr zieht viele textsichere Menschen vom Zeltplatz zur Bühne.

Ich bleibe und schau mir danach die gesamte Show von Post Malone aus Amerika an. Der 22-jährige, der aussieht wie ein Redneck mit Goldzähnen in Rapper-Verkleidung, verwirrt mich irgendwie. Seine Ohrwürmer wie „White Iverson“ oder „Congratulations“ mit Quavo von Migos zählen hunderte Millionen Views im Netz und werden vom Publikum unfassbar lautstark mitgegröhlt. Bei „White Iverson“ erlebe ich den ersten Moshpit zu einem Acappella. Danach performt Post Malone einen Song, den er mit Justin Bieber aufgenommen hat. Wieder so ein Moment, indem ich mir kurz alt vorkomme. Beim ersten Splash war Post Malone 2 Jahre alt, ein Großteil des Publikums noch nicht geboren.

Der Platz vor der direkt am Wasser gelegenen „Splash! Mag-Stage“ füllt sich am frühen Abend vor der Show des Berliners UFO361 mit so vielen Menschen, das ich mich frage, ob der Rest des Festival-Geländes leer ist. Ja ja ja ja ja…der Mann hätte wahrscheinlich den Headliner-Slot auf der Hauptbühne bespielen können.

DCVDNS und Megaloh versäume ich leider. Angeblich waren ihre Shows aber sehr gut. Der Wiener Produzent Wandl spielt laut Dexter, der beim Splash! mit seinem neuen Album „Haare Nice, Socken Fly“ auftritt und an weiteren Tagen auflegt, ein wirklich gelungenes Set auf der „Green Stage“. Dexter sagt, er würde sich in Wandl verknallen, wenn er eine Frau wäre.

Abriss

Ich pendle zwischen den Shows von Desiigner und Kool Savas, der gemeinsam mit den Mädls von SXTN einen LMS-Remix performt, hin und her und lande danach beim Konzert von Nas. Der hat die schönsten Visuals passend zu seinen Songs mit dabei und ich höre endlich einen DJ während einer Show scratchen. Alte Klassiker wie „Represent“, „Live from the BBQ“, „I Can“, „If i ruled the world“ oder „Street Dreams“ werden mit neueren Songs kombiniert. Besonders schön sind die Mixes mit Original-Samples von Michael Jackson oder Bob Marley.

Pusha T kommt etwas zu spät, spielt dafür aber kürzer. Erstaunlicherweise ist bei ihm der Platz vor der „Splash Mag Stage“ am See nicht annähernd so gefüllt wie bei UFO361. Wahrscheinlich liegt es an Marteria.

Der hat mit „Roswell“ ein neues Album am Start und liefert eine würdige Headliner-Show. Er zollt dem verstorbenen Mobb Deep-Rapper Prodigy mit einem Tribute-Song Respekt und beendet sein Set traditionell mit mehreren „letzten 20 Sekunden“, bei denen er die Publikumsmasse zum einsetzenden Techno-Beat an den Rande der Erschöpfung treibt. T-Shirts werden auf Kommando in die Luft geschmissen und die letzten Kraftreserven verbraucht.

Mein zweiter Splash-Abend endet vor der „Playground“-Bühne, die an diesem Tag von Kitschkrieg gehosted wird. Trettmann und Haiyiti, eine der wenigen Frauen am diesjährigen Line-Up, machen ihren Job gut und Hayitis Songs begleiten mich immer leiser werdend im Hintergrund während ich zum Taxi spaziere.

Splash Festival

Radio FM4 / Alex Hertel

Haiyiti

Noch einmal die Kräfte mobilisieren

Es ist schwer, bei einem derart umfangreichen Line-Up keinen Musik-Overkill zu bekommen. Meine Aufmerksamkeitsspanne an Tag 3 sinkt und während ich diese Zeilen schreibe, versäume ich den Auftritt von „Goldroger“. Davor war ich kurz bei einer öffentlichen Interviewrunde von Niko Backspin mit Audio88 & Yassin und Marcus Staiger, dem ehemaligen Royal Bunker-Labelbetreiber, der heute als Journalist und Buchautor aktiv ist.

Während der Suche nach Nahrung spaziere ich an den Graffitis von Can2, Slider & Co. vorbei und bleibe kurz vor einer K.I.Z.-Installation stehen: 4 Särge, dahinter jeweils eine große Statue. Die Festival-Besucher pilgern zu dieser Stätte und machen Selfies vor den Särgen.

Um 20 Uhr betreten Audio88 & Yassin mit ihrem DJ die sakral dekorierte Bühne in Pfarrer-Kostümen, um von zwei Kanzeln ihre Rap-Messe abzuhalten. Hallelujah. Sie weihen ihr Publikum mit Wasser aus einem Feuerlöscher und erwähnen, dass sie zum gefühlt fünften Mal auf der selben Splash-Bühne am Badesee auftreten.

Yassin stellt fest, dass Trap heuer die meiste Publikumsresonanz bekommt, es folgt ihr Track „K.R.A.U.M. (Kohle regiert alles um mich herum)“. Die Auftritte von Machine Gun Kelly und G-Eazy verpasse ich. Ebenso den von Lil Dicky. Freunde aus München schwärmen später von dessen Showcase.

No Flex Zone

Rae Sremmurd, die Jungs, die mit „Black Beatles“ letztes Jahr den Soundtrack zur Mannequin Challenge geliefert haben, sind am Sonntag der erste Act, bei dem die Stimmung so richtig explodiert. Turn Up ist fast eine Untertreibung. Zu Hits wie „No Type“ oder „No Flex Zone“ entstehen wieder überdimensionale Moshpits, es fliegen T-Shirts, Kappen, Bierbecher und eine Ananas durch die Luft. Die Crowd gröhlt alles mit, Rae Sremmurd sind sichtlich happy und wollen die Bühne am liebsten nicht mehr verlassen.

Mein persönliches Highlight im Abseits

Fast unbemerkt von den Massen betreten um 21.40 Uhr meine Helden Mayer Hawthorne und Jake One (Produzent aus Seattle) in den coolsten Outfits des Festivals die Bühne. Ihr gemeinsames Projekt „Tuxedo“ ist eine Hommage an Boogie Funk und Disco, ihr Album wurde von Disco-Legende John Morales gemischt.

Vor der „Backyard-Stage“ finden sich vielleicht 80 Leute ein. Ein Großteil davon sind selbst Künstler und DJs, die hier in der Nische offensichtlich das finden, was ihnen auf den große Bühnen ein wenig fehlt. Es gibt bei Tuxedo zwar keine Moshpits, dafür aber den tanzbarsten Sound des Festivals mit den breitesten Grinsern in den Gesichtern. Ich fühle mich wie eine Pflanze, die nach Tagen endlich gegossen wird und bin mit diesem Gefühl nicht alleine. Meine Erschöpfung ist während der Tuxedo-Show weggezaubert.

Splash Festival

Radio FM4 / Alex Hertel

Tuxedo

Palmen aus Plastik

Der Wiener Raf Camora & und sein Hamburger Kollege Bonez MC haben mit „Palmen aus Plastik“ ein Hit-Album veröffentlicht, auf dem sie deutschsprachigen Rap mit jamaikanischer Dancehall-Ästhetik und Afrotrap-Einflüssen („Ohne mein Team“)kombinieren. Gemeinsam mit den Jungs von der 187 Straßenbande sind sie an Tag 3 die Headliner auf der „Splash! Circus“-Bühne, dort wo am Tag davor Nas aufgetreten ist.

Ich treffe ein paar Stunden davor alte Freunde aus Wien, die in der Band von Raf Camora & Bonez MC mitwirken: die beiden Brüder der „Twin Towers“ (früher im Supercity/Waxos-Umfeld aktiv) sind als Schlagzeuger und Bassist mit dabei, Nvie Motho (Produzent für unter anderem Gerard) als DJ und Benjamin „Mu“ Zangerl (aus dem Duzz Down San-Umfeld) als versierter Tontechniker. Seit Monaten touren sie durch ausverkaufte Hallen und sind über den Umweg Berlin mitten in der Champions League der deutschen Musikwelt angekommen. Als Gäste sind noch GZUZ („Ahnma“), Maxwell und der Rest der 187 Straßenbande mit auf der aufwändig dekorierten Bühne.

Zeitreise mit Sido

Sido ist am Sonntag auf der Hauptbühne der Headliner. Parallel dazu spielt Gucci Mane, den ich mir nur kurz anschaue. Meine Playback-Toleranz-Grenze ist längst überschritten.

Sido braucht das nicht. Der Mann kann rappen. Seit 12 Jahren hat er nicht mehr am Splash! gespielt, für das Finale am Sonntag hat er sich eine spezielle Show überlegt.

Unterstützt von DJ Desue und seinem langjährigen DJ Werd nimmt er die zigtausend Festival-Besucher mit auf eine Zeitreise in sein musikalisches Werk. Alte Hits werden mit neuen kombiniert. Die Maske ist mit dabei. Es kommen alte Weggefährten und Überraschungsgäste wie Haftbefehl auf die Bühne und am Ende dann der große Knall: ein eingespielter Film zeigt Sido mit Kool Savas während sie gemeinsam an Songs arbeiten. Danach kommt Kool Savas auf die Bühne und die beiden performen einen Song der schon ein Teaser für ihr bald erscheinendes gemeinsames Album ist. Unter einem beeindruckenden Feuerwerk verlassen sie die Bühne und das 20. Splash! Festival ist offiziell vorbei.

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