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Der Computer schaut zurück

Der Eyetracker von Tobii verspricht ein tieferes Immersionserlebnis in Computerspiele. Doch in Wirklichkeit bleibt er weit hinter den Erwartungen zurück - weil sich die Spiele nicht trauen, ordentlich hin zu schauen.

Von Felix Knoke

Ich hatte mich über lange Texte und tiefe Gedanken zum Pupillentracker der schwedischen Firma Tobii gefreut: Wie ist das, wenn der Computer zurückschaut?

Leider bin ich nach ein paar Testtagen an dem Punkt angekommen, an dem man mit neuer Hardware all zu oft angelangt: Das Gerät, auf das man sich so freute, liegt in der Schublade. Die Software bleibt installiert. Das Vergessen wächst.

Ich habe ein paar Wochen gebraucht, um das zu verstehen.

Sensorleiste vs. Sensorkugeln

Tobiis bietet zwei Eyetracker für Computerspieler an, den Eye Tracker 4C (160 Euro) und den EyeX (110 Euro). Beide Geräte sind schmale Sensorleisten, die man unter dem Bildschirm anbringt und per USB-Kabel mit dem Rechner verbindet. Nach der Kalibrierung erkennen sie ein Augenpaar, das auf den Monitor starrt, und können die Pupillenbewegungen nachverfolgen. An ein paar Demo-Anwendungen erkennt man, wie überraschend präzise das ist. Mein Gefühl: Auf Daumennagelgröfe genau - wenn nur das Auge sich nicht ständig bewegen würde...

Die beste Anwendung des Augentrackings liegt auf der Hand: Es bietet sich als fantastisches Eingabemedium an für Menschen, die außer ihren Augen nicht viel bewegen können. Ein Cursor kann damit über eine vereinfachte Nutzeroberfläche oder eine Bildschirmtastatur gelenkt werden. Zwinkert man oder verharrt man mit dem Blick auf einem Icon, wird dieses angeklickt. Kein Wunder, dass Tobiis erste Produkte sich an den Hilfsmittelmarkt und die Marktforschung richteten (wohin schauen potenzielle Kunden auf einer Website, einer Verpackung, einem Menschen?). Eine Anwendung, die ich bei Windows ganz lustig - aber tatsächlich unnütz - fand, war die Mausbeschleunigung: Schaute ich auf eine bestimmte Stelle des Bildschirms und bewegte darauf die Maus grob in diese Richtung, sprang der Cursor direkt dorthin.

Aber was wäre mit Augentracking auf dem Gadget-freundlichen Spielemarkt möglich? Ich kann mir förmlich vorstellen, wie die Produktverantwortlichen bei Präsentationen diffus vom Potenzial für Spiele schwärmten. Wenn man es nicht ganz konkret ausprobiert, merkt man ja auch nicht, woran es scheitern muss, wenn man nicht grundsätzlich andere Spiele macht.

Dürres Angebot

Für mich sah die Situation so aus: Die Liste der Spiele, die Augentracking unterstützen, ist mit 85 Spielen zwar nicht all zu kurz - viel zu kurz aber ist die Liste der Spiele, die diese neue Funktion zu mehr als ein paar Zaubertricks benutzen. Und das ist das Problem: Einen wirklichen Nutzen hat die Technik nur, wenn ein Spiel das Augentracking zur spielmechanischen Grundlage macht und nicht nur als Gimmick obendrauf setzt.

Man kann das ganz gut an dem etwas verzweifelten Werbevideo für die Tobii-Integration in Tom Clancy’s „Ghost Recon: Wildlands“ ablesen:

Das Spiel nutzt den Augentracker, um den Bildausschnitt in Blickrichtung zu schwenken, also die ganze Spielfigur zu drehen, wenn man mit den Augen an den Bildschirmrand schielt. In anderen Fällen werden Bildschirmaktionen ausgelöst, wenn man bestimmte Teile des Bildschirminterfaces anstarrt, zum Beispiel die Landkarte oder ein Befehlsmenü.

Schlechter geht es nicht - aber viel besser eben auch nicht: Denn dieses Schielen widerspricht allen Erfahrungen, die man mit Bildschirmspielen hat. Im üblichen Spiel ist der eigene Kopf recht starr, man fokussiert nur einen recht kleinen Teil in der Mitte des Monitors und blickt zwischendurch nur kurz und mit extrem schnellen Augenbewegungen an interessante Punkte des Bildschirms.

Das neuere, teurere Gerät erkennt nicht nur die Blickrichtung, sondern auch Kopfbewegungen, was eine “noch natürlichere” Verwendung der Daten zum Beispiel in Spielen ermöglichen soll.

In manchen Gaming-Laptops und -Monitoren ist Tobiis Technik bereits eingebaut, so bei den Laptops Acer vNitro, Alienware 17, Predator 21X und MSI GT72 und den beiden Predator-Monitoren XB27HUT und Z271T.

Gerade im 3D-Spiel wählt man den Bildausschnitt über die Körperbewegung der Spielfigur, also mit Pfeiltasten und Maus oder dem Gamepad. Diese harmonische Bewegung aus Hand und Auge ist extrem effizient, schnell und präzise. Ersetzt man sie durch ein etwas träges, auf Ausharren beruhendes Blick-System, ist das ein Rückschritt. Und es funktioniert noch nicht mal besonders gut als immersionssteigerndes Mittel, da diese verknüpften Bewegungen der Augen- und Spielfiguren gänzlich unnatürlich sind: Blickt man an den Bildschirmrand, dreht sich mit einiger Verzögerung die Spielfigur. Was soll mein Blick sein, ein schlechter Joystick?

Was es bräuchte, wäre ein Umblicken - doch das setzte voraus, dass man den Blick vom Bildschirm wendet oder der Bildschirm mitschwenkt. Dafür bräuchte es aber eine VR-Hardware - mit der wiederum ein Pupillentracking ganz unnötig wäre, weil die ganze Welt ständig vor die starrende Pupille gerückt wird.

Eyetracker von Tobii

Tobii

So sieht der Eyetracker aus

Es ist nicht alles schlecht

Das Spiel SOMA hingegen zeigt, wie es besser geht - leider nur in einem Moment: Die EntwicklerInnen haben nämlich ein Monster angelegt, vor dem man sich verstecken kann, indem man es nicht anschaut. Aha, macht es da in meinem somatosensorischen Cortex, nachdem sich der visuellen Kortex in synästhetischer Verwirrung an ihn gekuschelt hat: Zusammen mit dem Bildschirmfeedback (schaukeln, blitzen, zittern) ergibt sich eine Gefühl der Körpererschütterung durch meinen Blick. Mein Blick löst ein Körpergefühl aus - das hat was.

Jetzt ist so ein Gefühl aber im Kontext eines Spiels auch nur eine Kleinigkeit, eine Verzierung zur Intensivierung des Spielgefühls (bei SOMA ist es eine Art Bestrafung für das Anschauen des Monsters). Viel interessanter sind die Möglichkeiten, die sich durch das Messen des Weg- oder Hinschauens ergeben, finde ich. Ich schieße aus der Hüfte: Spiele könnten Mut belohnen, indem bestimmte wichtige Bildschirmbereiche für einen längeren Zeitpunkt nicht angeschaut werden. Oder sie könnten SpielerInnen foppen, indem sie ihren Blick ablenken und außerhalb ihres Blickes eine Gefahr anwachsen lassen. Oder sie könnten es zur Paranoiasteigerung nutzen, indem Blickmuster von SpielerInnen gemessen und gegen sie verwendet werden. Oder einfach: Wenn sie nicht grob auf den Monitor hinschauen, das Spiel pausieren.

Einige Spiele mit Tobii-Unterstützung wissen, dass dem Blick eine geheime Energie inne wohnt, ein Magnetismus, den man beim Einrasten zweier entgegengesetzter Blicke spürt. Das - wie das ein paar Spiele machen - nur zur Verstärkung des Gefühls zu nutzen, von einer Computerperson angeschaut zu werden, ist mir aber zu wenig.

Erblickt werden

Bevor ich den Sensor an meinen Rechner anschloss, erhoffte ich mir ein Gefühl, von meinem Computer angeschaut zu werden. Und ich glaube auch noch immer, dass das möglich ist. Denn auch wenn einige Spiele ganz gut mit Paranoia gegenüber Computersystemen spielen und manche Spiele sogar die Grenzen zwischen Spieler und Spielfigur, Hardware, Spielwelt und Spielerwelt überschreiten: Wirklich beobachtet fühlte ich mich als Spieler nie. Dabei wäre der Augentracker doch zumindest dazu wie gemacht: Das Spiel müsste ein Gefühl von Paranoia schaffen. Etwa, indem es hin und wieder signalisiert, dass es weiß, wohin ich schaue und das auch gegen mich verwenden kann. Und sei es nur, dass es mir zeigt, dass es weiß, dass es gerade angeschaut wird - und eventuell einfach nur meinen Blick, für den ich mich schämen müsste, es aber am Monitor nicht tue, für ungut befindet. Denn mein Blick, und das ist ja sein größtes Geheimnis, unterliegt nur teilweise meiner Kontrolle.

Sich in diese Grauzone einzumischen, wäre eine Leistung für ein Spiel, das ohne Augentracker gar nicht möglich wäre - aber wie es beispielsweise in der Konsumentenforschung ja ständig benutzt wird. Dieses Misstrauen, geschürt vom Gefühl manipuliert zu werden, auszunutzen und damit wiederum die Nutzungsgrenzen der Hardware als sowohl Spiel- als auch Forschungsinstrument zu verwischen - das wäre doch etwas.

Aber so wie es derzeit mit dem Spieleangebot aussieht, bleibt mein Augentracker erstmal in der Schublade: Ich will nicht einfach NOCH MEHR blicken können - ich will erblickt werden.

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