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HAIM

Laura Coulson

Bitte bleib heut Nacht bei mir

Die große Liebessülze aus der Poprock-Manufaktur, heiße Luft: „Something to tell you“, das zweite Album von HAIM.

von Philipp L’heritier

Das neue, zweite Album von HAIM ist leider zu gut. Zu gut gemeint und gemacht. Die drei hochtalentierten Schwestern Haim aus Los Angeles haben da mit ihrem Team eine Platte mit allen fünfdimensionalen Harmonie-Gesängen, Hauch- und Fauchgeräuschen, Tschaka-Tschakas, federleichten Gitarrenlicks und Glockenspielglöckchenklängen zusammenkonstruiert, die so smooth die Gurgel runtergeht, dass kaum ein Nachgeschmack übrigbleibt.

Musik wie fades Öl und müder Salat. Musik als Softeis, das nach leichtem Liebesschmerz und Sehnsucht duftet, gegossen für kalifornische Menschen aller Welt in superstonewashed Mumjeans und engen Lederjäckchen in teurem Vintage-Look.

Vermissen, vergehen

Es ist ein Jammer, was ist mit dieser sehr guten Gruppe HAIM passiert? Alle Ecken weggebügelt, kein Leben, keine Reibung mehr drin in der neuen Konfektion. HAIM haben ihrem neuen Album den Titel „Something to tell you“ gegeben – was haben sie der Welt also zu sagen?

Wenig, wenig, nahezu alle der elf hier versammelten Lieder handeln davon, wie zerknautscht die Erzählerin ist, dass ihr geliebtes Gegenüber jetzt leider weg ist. Dass sie sich doch hingeben würde, alles für ihn tun würde, auf ihn warten würde, sich bemühen würde, versuchen würde, seine Gedanken zu lesen, um ihm alles rechtzumachen.

„Want you back“ heißt die erste Vorabsingle und die Eröffnungsnummer der Platte: Dieses Thema und ehrliche Gefühl wird in Folge auf dem Album wieder und wieder durchvariiert, ohne neue Erkenntnisse. Im Song „Night so long“, der weihevollen Abschlussballade des Albums, lautet die zentrale Zeile: „In loneliness my only fear“.

Es ist alles eine gar traurige Hingebungs- und Opferlyrik in soundsoviel Zeilen und ohne ein einziges spannendes oder irgendwie interessantes Bild auf der gesamten Platte.

HAIM

Laura Coulson

Este Haim, Alana Haim, Danielle Haim: HAIM

Girls of Summer

Alana, Este und Danielle Haim sind als Band HAIM nach wie vor ein großes Versprechen, das nie ganz eingelöst wird. Großes Wissen und Können. Finesse und Feeling, die Ahnung von der ansteckenden Melodie. Und eine hochdynamische Live-Band.

HAIM haben schon im Kindesalter die Musik trainiert und in einer Familienband das goldene Handwerk erlernt, Danielle Haim ist später dann unter anderem Tourgitarristin bei Strokes-Sänger Julian Casablancas und in der Gruppe von Jenny Lewis - einst die Chefin in der Band Rilo Kiley - gewesen.

HAIM wissen, wie ein Lied gehen kann, verlieren sich dann oft in technischem Feinschliff und soundverliebtem Bastelwahn und gehen nicht ganz über die Klippe.

HAIMs Debütalbum „Days are gone“ war im Jahr 2013 ein zärtlicher Blitzschlag. Zwar auch durchwachsen und mit einigen Fillern gefüllt, aber doch voller Hits, Mitsumm-Songs, Sonnenscheinliedern und Luftmatratzen-Hits.

Eine gut durchgelüftete Pop-Platte als Mischung aus Spät-Siebziger-Westküsten-Softrock in ewiger Dankbarkeit für Fleetwood Mac und Tupfern von silbrigem Neunziger-R’n’B im Geiste von TLC und Destiny’s Child.

Es war das Erscheinen einer frischen Band neuen Typs, völlig Pop, dabei doch cool und noch von ungefährer Hipness, schick angezogen, aber gerade noch normal, sympathisch, gut gelaunt, voller Elan.

Qualitätshandwerk Pop

Daran hat sich auf „Something to tell you“ nun wenig geändert, das System HAIM hat sich bloß aufgeblasen und hart aufpoliert, der Glanz glänzt gut, klangtechnisch funkelt und zischelt und rasselt es an allen Ecken und Enden gar eindrucksvoll, es gibt Melodien, es gibt Hooks. Lieder, die irgendwelche Gefühlregungen erwecken, sei es Wonne, sei es Verwirrung, sei es Verstörung, sei es Unbehagen, hat man bis auf wenige Fälle vergessen.

Zweimal Strophe, zweimal Refrain, vielleicht eine halbe Bridge, dann noch ein paar Mal Refrain, meistens nicht modifiziert, die Lieder sind fast immer eine gute halbe Minute zu lange, man hat sie schon früher begriffen.

Albumcover von "Something to tell you"

Vertigo Berlin / Universal Music

„Something to tell you“ von HAIM ist über Vertigo/Universal erschienen.

Diese elf Lieder sind allesamt keine schlechten Lieder – vorausgesetzt man hört ein bisschen geistesabwesend an der dünnen Poesie vorbei. Es sind liebe Lieder, geschmiedet in hochfunktionaler Zweckfabrik.

A-Team

An den Studioreglern ist der verlässliche Typ gesessen, der aktuell kontaktiert werden muss, wenn man supergute Popmusik machen will, die sich zwischen schick-avanciertem Mainstream und catchy Indiepop abspielt: Ariel Rechtshaid.

Der hat mit Heroin-Pop-Prinzessin Sky Ferreira gearbeitet, mit Vampire Weekend, mit Madonna, mit Carly Rae Jepsen, Brandon Flowers von den Killers oder Solange Knowles. Auch das erste Album von HAIM hat Rechtshaid betreut, auf „Something to tell you“ hat er jetzt so gut wie alle Songs mitgeschrieben und mit seinen multiinstrumentalen Fähigkeiten unterstützt.

Auch der ehemalige Vampire-Weekend-Keyboarder Rostam Batmanglji ist hier an Bord gewesen, ebenso wie der smoothe Tausendsassa Dev Hynes, der neben seinem eigenen Projekt Blood Orange auch mal gerne Stücke für Ferreira, Solange oder Florence and the Machine schreibt.

Am Ende kommt aus der Allstar-Manufaktur eine genau ausgemessene Platte heraus, die die HAIM’schen Vorzeichen stärker Richtung Achtziger-Kuschelrock schiebt, den Einfluss von R’n’B deutlicher herausarbeitet und an einer jugendlichenfreundlichen Variante von Prince und Funkrock lite interessiert ist.

Video super, Lied so mittel: HAIM

Manchmal leuchtet es

Meisterlich sind hier wieder die gesanglichen Wechselspiele und Überlagerungen zwischen den Stimmen der drei Schwestern, auch Danielles wunderlich atemloser Vortrag, ihre Phrasierung, die rhythmischen Verschiebungen, die sich nicht selten souverän und eindrucksvoll Richtung HipHop-Sprechsingsang lehnen, bringen Freude.

Es gibt wenige Highlights: Die Nummer „Little of your Love“ ist ein alberner Schunkelhit, eine gewitzte Country-Pop-Aneignung, inklusive Bläsern, Honky-Tonk-Piano, Handclaps und fidelem Gitarren-Gedaddel. Der beste Song, den Sheryl Crow und Shania Twain nie geschrieben haben.

Der Song „Found it in silence“ ist mächtiger Powerpop, der auf Streicherteppich dahinrollt. Hier erkennt die Erzählerin immerhin einmal, dass sie auch ohne den doofen Typen ihr Glück finden kann. So auch in „Right now“, wo ausnahmsweise der Mann der schwer angeschlagene und liebesbedürftige Part der Beziehung ist. Es sind Ausnahmen.

Alles auf „Something to tell you“ schwebt, ist leere Phrase, herrlich ausgeleuchtet, alles ist Luft. Diese Platte ist Produkt, perfekt für Werbespots gezimmert, in denen junge und schöne Menschen mit schönen Kameras Super-8-Filme drehen und tragbare Plattenspieler mit sich führen. In einem Stück auf „Something to tell you“ singen HAIM ganz am Ende Folgendes: „So tired of trying to show you I work so hard“. Als Leitsatz für die Platte ist diese Zeile nicht tauglich.

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